Es geht um Zukunftsfähigkeit
Olaf Bandt (BUND) fordert, dass wir in der Coronakrise den Umbau des Wirtschaftssystems im Blick haben
Die Verhinderung der Ausbreitung der neuen Lungenkrankheit Covid-19 und die Versorgung der von ihr Betroffenen muss im Moment die oberste Priorität haben. Wir sollten in Zeiten der Krise aber auch die Zukunft im Blick haben und uns fragen, wie wir den Umbau zu einem krisenfesteren Wirtschaftssystem gestalten.
In der aktuellen Krise sind die am wenigsten Privilegierten wie so oft am stärksten betroffen. Viele Zufluchtsorte für Wohnungslose sind derzeit geschlossen. In Unterkünften für Geflüchtete können die Abstandsregeln kaum eingehalten werden. Viele Menschen haben ihre Arbeitsplätze verloren und wissen nicht mehr, wie sie ihre nächste Miete zahlen sollen.
Große Konzerne mit riesigen Gewinnsummen hingegen missbrauchen gerade Regelungen, um für ihre Geschäftsräume keine Miete zu zahlen. Zusätzlich machen an den Finanzmärkten große Hedgefonds abenteuerliche Gewinne, indem sie mit sogenannten Leerkäufen auf fallende Aktienkurse spekulieren. Die Autokonzerne wollen im Mai riesige Ausschüttungen an ihre Aktionäre beschließen.
Gleichzeitig wird in diesen Tagen davon gesprochen, dass Natur und Umwelt sich in der Krise weltweit erholen. Das ist nicht nur angesichts der schlimmen gesellschaftlichen Auswirkungen kein Grund zur Freude. Denn wir müssen davon ausgehen, dass diese Erholung nur temporär ist und mit einem Nachholeffekt zu rechnen ist. Sobald die gesundheitliche Krise überstanden sein wird, werden die Rufe nach einem Wirtschaftswachstum um jeden Preis schnell wieder laut werden. Ich befürchte ein Wachstum, in dessen Namen schon in der Vergangenheit die Umwelt zerstört, der Planet ausgebeutet und Sozialstandards gesenkt wurden.
Hier sollten wir bei den Wegen aus der Krise die Weichen neu stellen. Denn die Corona-Pandemie hat auch ein Bewusstsein dafür geschaffen, welche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche wirklich zählen.
Um die Neuausrichtung für ein widerstandsfähiges sowie sozial und ökologisch gerechtes Wirtschaftssystem voranzubringen, sollten wir uns ein paar grundsätzliche Fragen stellen: Welche Bereiche unserer Gesellschaft und Wirtschaft erfüllen überhaupt menschliche Bedürfnisse und nicht die von Investoren? Welche Bereiche sind systemrelevant und sollten unbedingt aufgewertet und gestärkt werden? Wie können der Zugang und die Versorgung mit Lebensmitteln, Wohnraum, Gesundheitsfürsorge und Bildung sowie Mobilität und Energie gleichzeitig krisensicher, gerecht und ökologisch verträglich ausgestaltet werden? Wie können gute Arbeit und der Lebensunterhalt aller Menschen auch unabhängig von Erwerbsarbeit gesichert werden? Wie erhalten wir unsere Umwelt und bekämpfen die Klimakrise?
Eine fortschreitende Ökonomisierung aller Lebensbereiche vom Gesundheitssystem bis hin zum Natur- und Klimaschutz, von der letztlich nur sehr wenige Menschen profitieren, muss unbedingt beendet werden. Ein Wirtschaftssystem, das freie Märkte predigt, aber alle paar Jahre nach Verstaatlichungen ruft, um gerettet zu werden, ist weder krisenfest noch zukunftsfähig - geschweige denn gerecht und nachhaltig.
Statt hauptsächlich Konzerne und Kapitalmärkte zu schützen, muss es jetzt darum gehen, weitsichtig und nachhaltig zu handeln. Kein Konzern sollte einfach so Geld erhalten, ohne Nachhaltigkeitskriterien wie beispielsweise Klimaneutralität im Einklang mit dem weltweiten 1,5-Grad-Ziel und ohne gute Arbeitsbedingungen auch in globalen Lieferketten umzusetzen. Außerdem braucht es langfristige Investitionen in öffentliche Versorgungsinfrastrukturen. Hier sollten vor allem Investitionen in mehr Personal und bessere Bedingungen und Bezahlung im Gesundheits- und Pflegebereich vorangebracht werden. Außerdem müssen wir regionale und dezentrale Versorgung im Bereich der Energie und Landwirtschaft sicherstellen.
Dies wäre nicht nur klima- und umweltfreundlicher, sondern auch resilienter gegenüber Schocks wie Naturkatastrophen, Pandemien und Finanzkrisen. Nur so kann eine umweltverträgliche Wirtschaft und Gesellschaft geschaffen werden, die krisensicher ist, sich am Gemeinwohl orientiert und der Umwelt zugutekommt. Gerade in Zeiten einer Krise braucht es eine solche Politik der Zukunftsfähigkeit!
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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