- Politik
- US-Afroamerikaner und Covid19
Nur ein »kleiner Einblick« in die rassistische Realität und Ungleichheit
Schwarze in den USA sind etwa doppelt so häufig von Covid-19 betroffen wie Weiße
Ja, das Coronavirus macht weder vor Landes- und Klassengrenzen halt, aber manche leiden stärker unter den Folgen und erfahren weniger Hilfe. Arme in Deutschland etwa – und Afroamerikaner in den USA. In den letzten Tagen sind langsam immer mehr Daten bekannt geworden, die zeigen: Überall in den Vereinigten Staaten erkranken und sterben Schwarze deutlich häufiger an Covid-19 als weiße US-Amerikaner. Louisiana und Mississippi im Süden, North Carolina an der Atlantikküste oder im mittleren Westen in Michigan, in Städten wie Chicago und Miami: Überall dort, wo es bereits Covid-19-Daten aufgeschlüsselt nach »race« gibt, sind Afroamerikaner deutlich stärker betroffen.
Die Angaben, die von der Nachrichtenagentur Associated Press zusammengetragen worden sind, stammen aus acht Staaten, sechs Großstädten und sechs Landkreisen in Florida. Obwohl in den untersuchten Gegenden Afroamerikaner nur 21 Prozent der Bevölkerung stellen, sind sie mit 44 Prozent unter den 3300 Todesopfern im Datensatz deutlich überrepräsentiert. Andere Daten zeigen ähnliche Befunde. Doch die Informationslage ist noch sehr unvollständig. Deswegen ist einer Forderung der National Association of the Advancement of Colored People (NAACP), dass überall in den Vereinigten Staaten Statistiken zum Thema veröffentlicht werden.
Seit Wochen hat die älteste Bürgerrechtsorganisation mit rund 2200 Ortsgruppen im ganzen Land ihren Aktivismus relativ weitgehend auf den Kampf gegen das Coronavirus in der Community umgestellt. »Die Pandemie hat die Ungleichheit, die überall in den USA herrscht, besonders deutlich bloßgestellt. Sie ist besonders groß im Gesundheitssektor und sie trifft vor allem Afroamerikaner dramatisch«, erklärte NAACP-Präsident Derrick Johnson. Die aktuellen Daten zur Covid-19-Betroffenheit seien nur »ein kleiner Blick« auf die Realität in der Community und auf die Probleme die sie schon seit Jahrzehnten plage, so Johnson. Die NAACP fordert im Zuge der bereits laufenden Verhandlungen um ein fünftes Hilfspaket gegen die Coronavirus-Krise zusätzliche Mittel vom US-Kongress, damit der besonders betroffenen Community besser geholfen werden kann.
Es gibt drei konkrete Gründe, warum schwarze US-Amerikaner so stark unter Covid-19 leiden. Zum einen haben sie mehr Kontakt mit anderen Menschen, weil sie häufig in systemrelevanten Berufen arbeiten, etwa als Verkäufer und Busfahrer, im Bildungs- oder Gesundheitssystem. Zudem ist ein größerer Anteil von ihnen auf die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen und lebt in beengten Wohnungen – die Gründe dafür sind historische Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und jahrzehntelange Segregation. Auch weil es in der Community viel Armut gibt, sind Krankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes weiter verbreitet – das Virus trifft also auf eine bereits verwundbare Gruppe. Die hat zudem nicht immer Zugang zu Krankenversicherung, zu Vorsorge und muss, wenn zu spät entdeckte Krankheiten behandelt werden, mit weniger guter medizinischer Versorgung leben und dafür dann mehr zahlen.
Hinzu kommt generell und in der Coronakrise noch ein weiteres Problem: Misstrauen gegenüber dem Staat und speziell weißen Medizinern. Die hat historische Gründe. Auch Jahrzehnte später erinnert man sich noch an das »Tuskegee Experiment«. Bei dem medizinischen Versuch waren 400 afroamerikanische Männern in Alabama, die an der Geschlechtskrankheit Syphilis litten, in einer Langzeitstudie von 1932 bis 1972 untersucht worden – ohne sie zu informieren.
Das Experiment an den Männern, denen nur erklärt wurde, sie würden auf »schlechtes Blut« untersucht, ging auch dann weiter, als 1947 Penicillin als Heilmittel gegen Syphilis entdeckt wurde. Journalisten deckten das Experiment erst 1972 nach Hinweis durch einen Mitarbeiter aus der US-Seuchenschutzbehörde auf. Noch 2006 zeigte eine Studie, dass in mehreren schwarzen Communities in Chicago der Verdacht herrschte, im Zuge routinemäßiger medizinischer Hilfe sei an schwarzen US-Amerikanern experimentiert worden.
Deswegen arbeitet die NAACP mit einer eigenen Aufklärungskampagne, um die afroamerikanische Community zu sensibilisieren. Tausende Menschen haben bei den virtuellen »Townhall-Sendungen« eingeschaltet, wo prominente Politiker und schwarze Autoren über das Thema reden. Vor Ort leisten NAACP-Ortsgruppen Hilfe, verteilen etwa Schutzmasken.
NAACP-Präsident Johnson verbreitete bei einem Fernsehhautritt sowohl Trotz als auch schwarze Bürgerrechtstradition zum Selbstempowerment: »Weil die Regierung uns nicht hilft, müssen wir uns selbst helfen«. Und er verbreitet auch Zuversicht. Am Dienstag schickte NAACP-Präsident Johnson ein Bild des berühmten schwarzen Appollo-Theater in Harlem und dessen Ankündigungstafel über seinen Twitter-Account. Die ermutigende Message der schwarzen Hip-Hop-Legende Tupac auf der Tafel: »Keep ya head up!«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.