Maßnahmen zeigen Wirkung
In Griechenland kommt konservativer Regierung Rolle als Krisenmanager zugute
»Wir bleiben zu Hause«, so der Slogan der Kampagne, die sich die griechische Regierung elf Millionen Euro hat kosten lassen. Seit dem 23. März gilt eine allgemeine Ausgangssperre im Land. Per Kurzmitteilung muss man einen von sechs Gründen für den Ausgang melden und sich draußen gegebenenfalls vor Polizeibeamten ausweisen. Die strikten Maßnahmen verhelfen Griechenland derzeit zu einer bewundernswert geringen Zahl von 2170 Corona-Fällen mit 102 Toten.
Angesichts des erfolgreichen Krisenmanagements steht Premierminister Kyriakos Mitsotakis von der rechtskonservativen Nea Dimokratia laut Umfragen in der Wählergunst glänzend da. Das große Sterben im emotional und geografisch nahen Italien nahm Griechenland als Warnsignal. Die Schwächen im System sind allgemein bekannt: Eine Gesundheitskrise mit diesem potenziellen Ausmaß könnte man mit den nur 250 Beatmungsgeräten im Land mitnichten stemmen. Es wäre schlimmer als in Italien gekommen, fürchteten viele.
Wer Symptome aufweist, kontaktiert von Zuhause aus einen Allgemeinarzt und die Behörden. In der Selbstisolation besteht allerdings die Gefahr, den Zeitpunkt, an dem eine stationäre Behandlung erforderlich wird, zu verpassen - kein speziell griechisches Problem, aber so starb eine Person im Zusammenhang mit Corona im Norden. Ein weiterer Fall, der »typisch griechisch« zu verallgemeinern ist, erregte die Gemüter Ende März: Der 25-jährige Sohn eines griechischen Reeders reiste von London nach Athen. Dort begab er sich nicht in die vorgeschriebene Quarantäne, sondern beschloss, die Familienvilla auf der Insel Ikaria zu besuchen. Auf dem Weg nach Ikaria, ausgerechnet bekannt für die Langlebigkeit seiner Bewohner, und vor Ort kam er in Kontakt mit Einheimischen und Reisenden. Als sich herausstellte, dass er mit Corona infiziert ist, wurde er mit einem Armeehubschrauber mit Sicherheitskapsel nach Athen ausgeflogen. Hunderte Insulaner mussten daraufhin in Quarantäne.
Der Vorteil der Inseln aufgrund ihrer abgeschotteten Lage kann sich so ins Gegenteil verkehren, denn für Intensivpflege fehlt die Struktur vor Ort gänzlich. Der Vorfall führt zu der Frage, wen der Staat eher bereit ist zu retten. In der vergangenen Woche forderten Anwälte, dass der Betroffene für die Transportkosten aufkommen solle, seitdem ist die Sache medial verebbt.
Auch diese Krise macht offensichtlicher, was vorher eher selektiv wahrgenommen wurde. Etwa fehlende Zugänge zu Wasser, die schlechten hygienischen Bedingungen in Roma-Siedlungen und die sich seit über einem Jahrzehnt verschärfende prekäre Situation der Schutzsuchenden in Lagern auf Inseln und dem Festland. Nicht zu vergessen die massiven Kürzungen im Öffentlichen Gesundheitssystem.
Am Weltgesundheitstag, dem 7. April, demonstrierte die Ärzteschaft in Athen für bessere Ausstattung und mehr Personal in den Kliniken. Von der Polizei wurde das unter Androhung von Geldstrafen gestoppt. »Wir sind kein Polizeistaat« betonte Regierungssprecher Stelios Petsas an diesem Mittwoch - mit Hinblick auf die Kirchgänger.
Erst in dieser Woche feiert man in Griechenland Ostern. Es ist das größte Fest des orthodoxen Christentums, dem formal mehr als 95 Prozent der Bevölkerung angehören. Besonders zur Samstagsmesse strömen regelmäßig nicht nur die Gläubigen in die Kirchen. Heikel für die Corona-Bilanz und somit das Narrativ des »mutigen Machers« Mitsotakis. Die Regierung steckt in der Zwickmühle: Zunächst hieß es, dass man einen anderen Ausgangsgrund per SMS senden könne, um zum Beten zu gehen. Nach anfänglichem Widerstand hatte die Kirche den Besuch der Messen untersagt, aber Ostern lockert man diese Regelungen. Am Karfreitag öffnen die Kirchen für einige Stunden ihre Pforten für »einzelne Gebete«. Priester geben unschuldig zu verstehen, dass sie nichts dagegen tun können, wenn die einzelnen dann massenhaft erscheinen.
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