Hingerichtet für Hitlerwitze

Die Biografie des linken Schriftstellers Erich Knauf wurde neu herausgebracht

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Ehemalige Häftlinge waren dabei, als in den Jahren 1959 und 1961 die KZ-Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen eröffnet wurden. Sie kamen danach immer wieder zu den Jahrestagen der Befreiung. Ausgerechnet zum 75. Jahrestag, der an diesem Wochenende mit nun noch 50 Überlebenden gefeiert werden sollte, mussten die geplanten Veranstaltungen wegen der Coronakrise abgesagt werden. Auch die Gedenkstätte Zuchthaus Brandenburg musste ihre Gedenkfeierlichkeiten zum Jahrestag der Befreiung in der kommenden Woche absagen.

Gemeinsames Gedenken sei leider nicht möglich, bedauert Brandenburgs Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD). Um individuell dennoch die Erinnerung an die Naziopfer wachzuhalten, hat sie drei Ideen: Blumen niederlegen an einer geeigneten Stelle entlang der historischen Todesmarschrouten, sich mit der Familie über die Geschichte unterhalten, ein Buch zum Thema lesen.

Online-Gedenken

75 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück und des Zuchthauses Brandenburg veranstaltet die Stiftung brandenburgische Gedenkstätten am 19. April 2020 auf ihrer Internetseite stiftung-bg.de einen Online-Jahrestag mit einem »dichten und facettenreichen Programm«, wie Direktor Axel Drecoll ankündigte. »Es entstehen virtuelle Räume der Begegnung und des Austauschs, die zu einer ebenso kritischen wie kreativen Beschäftigung mit der Geschichte der nationalsozialistischen Verbrechen einladen. Wir freuen uns auf rege Teilnahme!«

Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit nimmt den 75. Jahrestag der Befreiung Berlins vom Faschismus am 2. Mai zum Anlass, im Internet zu dokumentieren, was die 370 000 Zwangsarbeiter erlebten, die sich damals in der Stadt befanden. Unter zwangslager-berlin-1945.de werden Zeitzeugenberichte, Tagebuchauszüge, Briefe und Erinnerungen veröffentlicht.

Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit zeigt die Ausstellung »Zwangsarbeit in Berlin 1938-1945« am Zaun des Geländes in der Britzer Straße in Berlin-Schöneweide. So können sich Besucher informieren, obwohl das Museum geschlossen ist. af

Unter den unzähligen Büchern, die sich dafür anbieten, sei hier eins empfohlen: Es ist die Biografie des Schriftstellers Erich Knauf, die Autor Wolfgang Eckert damit beginnt, dass er den Anfang vom Ende erzählt: »In den Morgenstunden am 28. März 1944 halten nahe des Gebäudes Am Feldberg 3 in Berlin-Kaulsdorf zwei Personenautos. Heraus steigen einige Zivilisten und nähern sich schweigend dem gut gepflegten Einfamilienhaus. Es ist Dienstag. Also ein ganz gewöhnlicher Wochentag, obwohl in dieser immer zerbombter aussehenden Reichshauptstadt nichts mehr als gewöhnlich bezeichnet werden kann ...«

Erich Knauf ist ausgebombt. Er schlüpft in Kaulsdorf unter, wohnt hier unter einem Dach mit seinem guten Freund Erich Ohser, bekannt als Karikaturist unter dem Namen e.o.plauen, und mit dem Aktfotografen Bruno Schultz nebst Ehefrau. Schultz ist Hauptmann der Reserve und beim Oberkommando der Wehrmacht tätig. Dort hat er nun Knauf und Ohser bei einem Vorgesetzten verpfiffen, weil sie im Luftschutzkeller bitterböse Witze über Hitler, Goebbels und deren kommende Niederlage im Weltkrieg gerissen haben.

Am 28. März 1944 werden sie von der Gestapo verhaftet. Am 6. April wird Knauf vor den Volksgerichtshof gestellt und zum Tode verurteilt. Dort erfährt er, dass sein Freund Erich Ohser in seiner Zelle Selbstmord begangen hatte. Ihm wird nicht gesagt, dass Ohser in einem Abschiedsbrief das seinen Freund Knauf belastende Geständnis zurücknahm, das offensichtlich durch Folter erpresst worden war. Am 2. Mai 1944 wird Knauf dann im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. Ein Jahr später, am 27. April 1945, befreien sowjetische Truppen das Zuchthaus, am 8. Mai kapituliert Hitlerdeutschland. Für Erich Knauf, der das Ende der Nazidiktatur herbeisehnte und so lange durchhalten wollte, kommt das zu spät. In einer langen Rückblende erzählt Eckert mitfühlend den Lebensweg des Ermordeten.

Erich Knauf kam 1895 im sächsischen Meerane zur Welt. Der Vater, ein Schneidermeister, engagiert sich in der SPD. Auch der Sohn wird Sozialdemokrat - ein linker, oder, wie man damals sagte, ein unabhängiger. Im Ersten Weltkrieg stellt sich Erich Knauf nach der Art des braven Soldaten Schwejk dumm und wird in eine Strafkompanie gesteckt, als das auffliegt. 1920 führt er im Raum Gera einen Stoßtrupp der Arbeiterwehr gegen den Kapp-Putsch. Danach leitet er bis 1922 das Presseamt der thüringischen Landesregierung, wird schließlich Feuilletonredakteur der »Volkszeitung für das Vogtland«. Seine spöttischen, intelligenten Theaterkritiken sind bei den Schauspielern gefürchtet.

1928 wechselt Knauf als Cheflektor zur Büchergilde Gutenberg, die Arbeitern anspruchsvolle Literatur zu erschwinglichen Preisen zugänglich macht. Er kümmert sich um die Veröffentlichung sozialkritischer Bücher und schreibt selbst eins - den Reportageroman »Ça ira«, in dem er seine Erlebnisse während des Kapp-Putsches verarbeitet.

1933 besetzt die SA die Büchergilde und wirft ihn raus. Nach einer im 8-Uhr-Abendblatt veröffentlichten Kritik einer Aufführung der Oper »Carmen«, die Hermann Göring missfällt, landet Knauf im KZ Oranienburg und wird von dort ins KZ Lichtenburg verlegt. Nach seiner Entlassung versucht er, politisch nicht mehr aufzufallen. 1936 bekommt er den Posten des Pressechefs der Terra-Film GmbH, die zunächst noch anders heißt. Die Firma produziert leichte Unterhaltung, aber mit Regisseur Veit Harlan auch den antisemitischen Propagandafilm »Jud Süß«.

Für den Streifen »Quax, der Bruchpilot« mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle schreibt Knauf den Text des Schlagers »Heimat, deine Sterne«, der sich auf Schallplatte 90 000 mal verkauft. Es ist an sich eine harmlose Schnulze voller Sehnsucht, die aber im Radiowunschkonzert dazu verwendet wird, die Wehrmachtssoldaten im Schützengraben zum Durchhalten zu animieren. Noch dicker kommt es mit dem Lied »Glocken der Heimat«, dessen Text Knauf für den Film »Fronttheater« beisteuert. Im Refrain heißt es da: »Ein Kampfgebet, ein Losungswort,/ ein Marschbefehl von Ort zu Ort:/ Kamerad, es geht um die daheim.« Hier überschreitet Knauf nach Einschätzung seines Biografen Eckert eine Grenze, denn mit seiner eigentlichen Gesinnung müsste er es besser wissen. Er hasst den Krieg und die Nazis, aber er will auch überleben.

Eckert hat noch mit der Witwe Gertrud Knauf gesprochen, die im Jahr 2000 verstarb und die 1944 noch 585,74 Reichsmark Gerichts- und Hinrichtungskosten für ihren Mann bezahlen musste, inklusive 2,18 Reichsmark für die Verpflegung des Scharfrichters und seiner Gehilfen. 1998 ist die Biografie im Chemnitzer Verlag erschienen. Der Vergangenheitsverlag hat sie dankenswerterweise zwei Jahrzehnte später in aktualisierter Version neu aufgelegt. 75 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus ist das ausgezeichnet geschriebene Buch nach wie vor lesenswert. Ein Jahr nach Knaufs Todesurteil erreichten sowjetische Truppen Kaulsdorf. Im Juli 1945 wurde Denunziant Schultze abgeholt. Er soll in einem Kriegsgefangenenlager an Typhus gestorben sein.

Wolfgang Eckert: »Heimat, deine Sterne. Leben und Sterben des Erich Knauf«, Vergangenheitsverlag, 260 Seiten, 19,99 Euro

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