Prostituierte fallen aus dem Raster

Manche Frauen müssen trotz der Corona-Kontaktbeschränkung weiter anschaffen

Die Kontaktbeschränkung während der Coronakrise gilt auch für Prostituierte. Prostitutionsstätten wurden geschlossen und in fast allen Bundesländern gilt zusätzlich ein generelles Berufsverbot. Für viele bedeutet das, kein Einkommen mehr zu haben und in existenzieller Not zu sein.

Besonders Frauen, die nicht offiziell als Prostituierte arbeiten, die weder in Deutschland gemeldet sind, noch eine Krankenversicherung besitzen, leiden unter der Krise. Sie können kein Geld aus dem Soforthilfeprogramm beantragen und haben meist nicht einmal Anspruch auf Hartz IV.

Die Beweggründe, sich zu prostituieren, sind vielfältig. Häufig stecken aber Armut und Ausbeutungsstrukturen dahinter, wobei Zwang und Freiwilligkeit oft schwer voneinander zu trennen sind. In der Coronakrise wird das besonders deutlich.

Lonneke Schmidt-Bink arbeitet bei »Olga«, einer Anlaufstelle für Prostituierte direkt auf der Kurfürstenstraße, einem Straßenstrich in Berlin.

Zu » Olga« kommen die Frauen, um zu duschen, sie erhalten dort Kondome, Spritzen und etwas zu Essen. Viele andere Hilfseinrichtungen mussten wegen der Coronabestimmungen schließen.

Schmidt-Bink sagt: »Als es mit Corona los ging, sind viele Frauen zurück zu ihren Familien nach Osteuropa gefahren. Einige haben es vor den Grenzschließungen nicht geschafft. Etwa weil sie kein Geld oder keinen Pass haben. Manche stehen auch trotz Corona noch an der Straße, um anzuschaffen.« Die Frauen hätten aus Armut oder wegen einer Suchtkrankheit keine andere Möglichkeit, so Schmidt-Bink.

Drogenabhängige gehören zu den Corona-Risikogruppen, der nahe Kontakt zu Freiern ist deshalb für sie aktuell besonders gefährlich. 1,5 Meter Abstand einzuhalten, ist unmöglich. Schmidt-Blink erzählt, dass sie auch ein paar wenige neue Gesichter seit den Corona-Beschränkungen auf der Kurfürstenstraße gesehen hat. Häufiger komme es jedoch vor, dass Frauen, die früher mal da waren und dann stattdessen Straßenzeitungen verkauft oder Pfandflaschen gesammelt hätten, jetzt wieder anschaffen gehen. »Manche Frauen, die sich vor Corona durch die Prostitution noch ein Zimmer leisten konnten, haben dieses jetzt verloren, weil sie die Miete nicht zahlen können«, sagt Schmidt-Bink. Einige würden jetzt vermutlich bei Freiern schlafen.

Das Netzwerk »Ella«, eine Interessenvertretung für Frauen aus der Prostitution, und Terre des Femmes Leipzig schreiben in einer Stellungnahme: »Da im Zuge der Coronakrise mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger Männer Sex kaufen und die Frauen in ihrer Situation auf die übrigen Freier angewiesen sind, haben diese mehr Macht über die Frauen.« Die Männer würden deshalb leichter Sex ohne Kondom und andere riskante und dehumanisierende Praktiken für weniger Geld einfordern können.

Unterdessen setzt der Berufsverband erotischer und sexueller Dienstleistungen (BESD) auf Solidarität. Im BESD organisieren sich selbstbestimmte Sexarbeiter*innen und Bordellbesitzer*innen, die jetzt in der Regel auf die staatliche Soforthilfe zurückgreifen können. Aber der Verband nimmt auch die Situation der weniger privilegierten Frauen wahr. So hat er einen Nothilfefonds für Sexarbeitende initiiert, die keinen Anspruch auf staatliche Hilfen haben.

Auch Schmidt-Bink nutzt diesen für die Frauen, die »Olga« aufsuchen. Das Geld könne unbürokratisch und auch ohne Meldeadresse in Deutschland abgerufen werden. »Damit können wir den Frauen beispielsweise helfen, einen Pass zu beantragen.« Einen weiteren Nothilfefonds haben der Verein Sisters e. V., die Prostituiertenanlaufstelle Neustart und das Netzwerk Ella gegründet. Bisher wurden rund 9000 Euro gespendet.

Mimi vom Netzwerk »Ella« möchte ihren vollen Namen nicht veröffentlichen. Sie arbeitet selbst nebenbei als Prostituierte und sagt: »Die Frauen, die jetzt noch anschaffen müssen, leben extrem prekär und brauchen dringend Unterstützung.« Das Prostituiertenschutzgesetz, das unter anderem Übernachtungen in Bordellen verbietet, wurde von den Ländern im Zuge der Coronakrise und auch auf Drängen des BESD gelockert. Eine Hilfe für die Frauen ist das laut Mimi nicht: »Durch Übernachtungen im Bordell wird die Abhängigkeit der Frauen von den Betreibern extrem erhöht. Außerdem ist diese Art der Unterbringung menschenunwürdig.« Das Netzwerk »Ella« fordert deshalb kostenfreie Übernachtungsmöglichkeiten in aktuell leerstehenden Hotels. Außerdem, sofern dies ausdrücklich gewünscht wird, eine unbürokratische Rückkehr in das Herkunftsland.

Auch wenn die Vereinigungen und Anlaufstellen teils unterschiedliche Ansichten zu Hilfsangeboten wie etwa den Bordellübernachtungen haben - einig sind sie sich, dass die Frauen während der Coronakrise viel zu wenig staatliche Unterstützung bekommen. Denn die selbstorganisierten Hilfefonds sind für die marginalisierten Prostituierten aktuell die einzige finanzielle Coronahilfe.

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