Rückkehr der offenen Ressentiments

Angst vor Coronavirus legt im Saarland latente Feindlichkeit gegenüber Franzosen bloß

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit Jahrzehnten pflegen das Saarland und das nordostfranzösische Lothringen gute, wenn nicht beste Nachbarschaft. Grenzüberschreitendes Arbeiten und Einkaufen gehören zum Alltag, die deutsch-französische Freundschaft wird offiziell und gepflegt und inoffiziell von vielen gelebt. Doch dieses harmonische Bild wird derzeit überschattet. So gab es in den vergangenen Wochen im Saarland Anfeindungen und Beleidigungen von Franzosen in einem Ausmaß, dass die französischen Medien nicht umhin kamen, darüber zu berichten. Politiker auf beiden Seiten mühten sich in beschwichtigenden Erklärungen um Schadensbegrenzung.

Am Anfang stand das deutsche Robert-Koch-Institut: Es erklärte Mitte März auf wissenschaftlicher Basis die französische Region Grand-Est, zu der das Elsass, Lothringen und die Champagne gehören, zur »Risikozone«. Der saarländische Gesundheitsstaatssekretär Stephan Kolling folgte auf dem Fuß und riet dringend von einem Besuch dieser Region ab. Politiker und Behörden in Frankreich waren über diesen rüden Alleingang schockiert.

Tatsächlich ist das südliche Elsass das Epizentrum der Coronaviruserkrankungen in Frankreich, seit Ende Februar in Mulhouse ein mehrtägiges Treffen einer evangelistischen Kirche mit 2000 Teilnehmern stattfand. Dort haben offensichtlich einige Coronavirusträger unbewusst andere Teilnehmer angesteckt, die diese Krankheit an ihre Wohnorte mitgenommen und so weiter verbreitet haben. Im Elsass stieg sehr schnell die Zahl der Patienten, sodass die Krankenhäuser bald überfordert waren und vor allem die Kapazität der Intensivbehandlungsstationen nicht ausreichte.

Im Saarland haben die Medienberichte über diese Zuspitzung der Situation im Nachbarland offensichtlich nicht nur Mitgefühl und Solidarität geweckt, sondern auch alte Ressentiments Frankreich und den Franzosen gegenüber. So wurden wiederholt Autos mit französischen Kennzeichen mit Eiern beworfen und bei einer Straßenkontrolle bezeichnete ein deutscher Polizist einen Autofahrer als »dreckigen Franzosen«. In Supermärkten wurden Französisch sprechende Kunden beschimpft und aufgefordert, nach »Corona-Frankreich« zurückzukehren. In Apotheken wurden Franzosen angefeindet und beschuldigt, den Deutschen Medikamente wie Paracetamol »wegzukaufen«. Auf der Straße wurden Franzosen verbal angegriffen und bespuckt.

»Ich kenne viele Menschen in meinem Wahlkreis, die sich beklagen, dass sie im Saarland wie Aussätzige behandelt werden, und dass sie jetzt Angst haben, wieder über die Grenze zu fahren«, sagt Christophe Arend, Parlamentsabgeordneter aus dem ostfranzösischen Forbach. In den französischen Medien und auch in Stellungnahmen französischer Regionalpolitiker wurden solche Vorfälle nicht hochgespielt, sondern eher relativiert. Die französische Generalkonsulin für das Saarland, Catherine Robinet, sprach diplomatisch von »Einzelfällen«, nannte sie allerdings »bedauerlich«.

Französische Pendler, die oft schon seit vielen Jahren im Saarland arbeiten, wurden offen diskriminiert. Beispielsweise wurde den französischen Beschäftigten einer saarländischen Reinigungsfirma von einem Tag zum anderen der Zugang zum Betrieb verweigert. Die 2000 französischen Mitarbeiter des Autoteileherstellers ZF in Saarbrücken wurden ohne Vorwarnung aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Als dort Wochen später die Produktion wieder anlief, galt diese Normalisierung nur für die deutschen Mitarbeiter. Der Gewerkschafter René Villandrier von der CGT-Regionalorganisation Lothringen bezeichnete eine solche Ungleichbehandlung als »befremdlich« und »in höchstem Maße bedauerlich«, zumal die epidemiologische Situation in Deutschland deutlich entspannter als in Frankreich sei und man unter diesen Umständen mit mehr Solidarität gerechnet hätte. Selbst die Franzosen, die in deutschen Gesundheitseinrichtungen wie beispielsweise dem Krankenhaus von Saarbrücken arbeiten, mussten von einem Tag auf den anderen für die Fahrt dorthin bis zu 50 Kilometer lange Umwege in Kauf nehmen, weil kleinere Grenzübergänge durch die deutschen Behörden unangekündigt und ohne Abstimmung mit den französischen Partnern geschlossen wurden.

Um den durch die ausländerfeindlichen Zwischenfälle ausgelösten Schaden zu begrenzen, haben deutsche Politiker Stellung genommen und die Anfeindung von Franzosen verurteilt. Der Bürgermeister von Saarbrücken, Uwe Conrad, nannte die Ausschreitungen »absolut inakzeptabel« und die stellvertretende Ministerpräsidentin des Saarlands Anke Rehlinger entschuldigte sich dafür öffentlich bei den Franzosen. Außenminister Heiko Maas, der selbst aus dem Saarland stammt, erklärte per Twitter: »Corona kennt keine Nationalität. Genauso ist es mit der Menschenwürde. Es tut weh zu sehen, wie unsere französischen FreundInnen wegen COVID-19 bei uns teilweise beleidigt und angegangen werden. So ein Verhalten geht gar nicht. Abgesehen davon: Wir sitzen im selben Boot!«

Frankreichs Zentralregierung hielt sich mit Kritik zurück und stellte stattdessen solidarische Gesten heraus, wie die Überführung einiger französischer Intensivpatienten mit Hubschraubern der deutsch-französischen Brigade in deutsche Krankenhäuser. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender France 2 wurde ein solcher Patient interviewt, nachdem er geheilt aus Deutschland zurückkehrte. Er dankte den Ärzten und Schwestern noch einmal auf diesem Wege und betonte, sie hätten ihm »das Leben gerettet«.

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