Schriftliches Urteil im NSU-Prozess liegt vor

Zschäpe-Verteidiger will in nun möglicher Revision Mittäterschaft anzweifeln

  • Lesedauer: 3 Min.

München. Fast 93 Wochen nach Beate Zschäpes Verurteilung im NSU-Prozess zu lebenslanger Haft hat das Oberlandesgericht München das schriftliche Urteil gegen die 45-Jährige und ihre vier Mitangeklagten abgegeben. In Kürze bekommen Bundesanwaltschaft, Verteidiger und Nebenkläger die 3025 Seiten - sie haben dann vier Wochen Zeit, um ihre Revision schriftlich zu begründen und das Urteil womöglich ins Wanken zu bringen.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und die weiteren Richter des Prozesses um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) schöpften ihre zeitlichen Möglichkeiten zwischen der mündlichen Urteilsverkündung am 11. Juli 2018 und dem Ende der Abgabefrist für das schriftliche Urteil fast vollständig aus. Am Mittwoch hätte das Urteil spätestens zu den Akten kommen müssen, nun liegt es seit Dienstag dort.

Dass Götzl und sein Team so viel Zeit hatten, liegt am Ausmaß des NSU-Prozesses mit seinen 438 Verhandlungstagen. Die Strafprozessordnung bemisst nach der Prozessdauer die Zeit für die Urteilsbegründung.

Götzl verurteilte die mittlerweile in Chemnitz im Frauengefängnis sitzende Zschäpe als Mittäterin der Morde an neun Migranten und einer Polizistin, obwohl sie laut der Beweisaufnahme an keinem einzigen Tatort war. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die 2011 nach einem Überfall mutmaßlich Suizid begingen, sollen alle Taten verübt haben.

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe muss das Urteil prüfen. Dabei geht es aber nicht um inhaltliche Fragen, sondern um formale Fehler. Sollten irgendwo grobe Schnitzer vorliegen, müsste der ganze Fall im schlimmsten Fall neu beginnen. Wie lange der BGH für seine Prüfung braucht, ist nicht absehbar.

Sollte der BGH die Verurteilung Zschäpes bestätigen, wird diese wegen der vom Gericht festgestellten besonderen Schwere der Schuld noch viele Jahre im Gefängnis bleiben. Sollte der BGH das Urteil aber kippen, könnte sie absehbar auf eine Haftentlassung setzen.

Bereits seit 2018 sind der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und der Neonazi André E. frei. Wohlleben verbrachte mehr als zwei Drittel seiner laut Urteil zehnjährigen Haftstrafe in Untersuchungshaft. Bei E. hingegen verhängte das Gericht nur zweieinhalb Jahre Haft, obwohl die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre gefordert hatte.

Vor allem bei E. hoffen viele Hinterbliebene, dass seine Verurteilung gekippt und der Neonazi doch noch härter bestraft wird. Schließlich geht es in der Revision auch darum, ob der als NSU-Helfer zu drei Jahren Haft verurteilte Holger G. ins Gefängnis muss.

Nur bei einem ist der Fall bald abgeschlossen. Carsten S., der dem NSU die Waffe für die Morde an den neun Migranten übergeben hatte, akzeptierte seine Verurteilung zu drei Jahren Jugendstrafe. Einen Großteil der Strafe saß er ab, vermutlich kommt er nach dem Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe bald frei. Agenturen/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.