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Streik trotz Corona

Im bayerischen Sonthofen protestieren die Voith-Beschäftigten gegen Schließungspläne des Managements

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Im bayerischen Sonthofen lähmt ein unbefristeter Streik seit Donnerstagvormittag die Produktion beim Maschinenbauer Voith. Pünktlich um 10 Uhr legten die Beschäftigten nach einem Aufruf der IG Metall die Arbeit nieder und verließen das Werksgelände. Die Gewerkschaft will sich mit den im vergangenen Oktober verkündeten Stilllegungsplänen des Konzernmanagements nicht abfinden und stellt die Forderung nach einem Sozialtarifvertrag zur Abfederung der Folgen drohender Arbeitsplatzverluste für die Betroffenen in den Mittelpunkt des Streiks.

Der Betrieb liegt mitten im Allgäu am Fuße des gut 1700 Meter hohen Grünten und gehört mit rund 500 Beschäftigten zu den größten Firmen in der Region. Die rund 500 Jahre alte industrielle Tradition begann mit der Verhüttung von Eisenerz und wurde in den frühen 1930ern mit dem Bau von Getrieben fortgesetzt.

Noch heute bezeichnet der Volksmund den Betrieb als »Hütte« und die Belegschaft als »Hüttenwerkler«. Hier werden bislang vor allem große Spezialgetriebe etwa für Ölplattformen, Turbinen und Kraftwerke in aller Welt hergestellt. 2007 übernahm der im württembergischen Heidenheim ansässige Technikkonzern Voith AG den Sonthofener Betrieb von der Bayerischen Berg-, Hütten- und Salzwerke AG. Die Voith AG befindet sich nach wie vor voll im Besitz der gleichnamigen Familie, die mit einem Milliardenvermögen zu den reichsten Familien Deutschland gehört.

Nun soll der Betrieb nach dem Willen der Konzernchefs Ende 2021 schließen. Die Zentrale in Heidenheim argumentiert, dass die Produktion in »vielen kleinen Standorten« nicht mehr rentabel und die Schließung des Sonthofener Werks daher »alternativlos« sei.

Gewerkschafter hingegen wollen sich mit diesen vermeintlichen Sachzwängen nicht abfinden und verweisen auf ein »schwarzes« Betriebsergebnis in Millionenhöhe sowie die Tatsache, dass der Betrieb 2019 seine Umsatzziele erreicht habe. Ein von der IG Metall in Auftrag gegebenes betriebswirtschaftliches Alternativkonzept schlägt Einsparungen vor und kommt zu dem Ergebnis, dass alle Standorte der Konzernsparte »Voith Turbo« bestehen bleiben könnten. Neben Sonthofen umfasst die Sparte auch Betriebe in Heidenheim, Crailsheim (Baden-Württemberg), Garching (Bayern) und Zschopau (Sachsen).

Der jetzt begonnene Streik ist unvermeidlich, nachdem es in monatelangen Gesprächen keine Annäherung der Standpunkte gegeben hat. Besonders sauer sind die Metaller, weil die Konzernchefs auch auf das Angebot eines Stillhalteabkommens für die Dauer der Coronakrise nicht eingegangen seien und »unbeirrt ihre Schließungspläne für das Werk vorantreiben«, so Carlos Gil, zweiter Bevollmächtigter der IG-Metall-Geschäftsstelle Allgäu gegenüber nd. »Die Konzernleitung geht so rücksichtslos gegen ihre eigene Belegschaft vor, dass uns nichts anderes übrig bleibt.« Wer in Zeiten der Pandemie ohne Not Arbeitsplätze und Existenzen vernichte, müsse mit entschiedener Gegenwehr rechnen, so Gil.

Der Betrieb mit seiner stolzen Belegschaft ist eine Bastion der IG Metall mit einem sehr hohen Organisationsgrad bei Arbeitern und Angestellten. Ende vergangener Woche hatten sich nach Gewerkschaftsangaben in einer Urabstimmung bei 100 Prozent Wahlbeteiligung 98 Prozent der Befragten für einen unbefristeten Streik ausgesprochen. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde nicht in einem Stimmlokal, sondern per Briefwahl abgestimmt. Dies ist ein Novum in der Geschichte der IG Metall.

Betriebsrat und Gewerkschaft hatten in den vergangenen Wochen unzureichende Corona-Schutzmaßnahmen im Betrieb kritisiert und sich für die Umsetzung entsprechender Mindeststandards gegen eine Ansteckungsgefahr eingesetzt. Auch im Streik achten die Metaller mit Nachdruck auf Gesundheitsschutz. So tragen die rund um die Uhr am Tor eingesetzten Streikposten Mund-Nase-Schutz und halten einen Mindestabstand ein.

»Die Identifikation der Menschen mit ihrem traditionsreichen Werk ist riesengroß. Die ganze Region und die gesamte IG Metall stehen hinter der Belegschaft«, erklärte Bayerns IG-Metall-Chef Johann Horn am Donnerstag. »Die Türen für Gespräche über den Erhalt des Werkes stehen bei uns weiter offen. Doch wir werden so lange streiken, wie es nötig ist, um unsere Ziele zu erreichen«, so Carlos Gil.

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