Heimweh in der Coronakrise

Wie Israelis in Berlin den Alltag im Ausnahmezustand erleben.

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich sollte Asaf Leshem in diesen Tagen täglich auf Achse sein und Touristengruppen aus aller Welt die Sehenswürdigkeiten Berlins zeigen. Durch Corona ist allerdings auch für ihn alles anders gekommen. Die Viruspandemie hat dem 45-jährigen Stadtführer die Frühjahrssaison verhagelt. »Normalerweise sind April und Mai eine auftragsstarke Zeit für Berliner City-Guides«, sagt der gebürtige Israeli. »Doch da der Tourismus wegen Corona komplett tot ist, habe ich für die beiden Monate keine einzige Buchung.«

Leshem ist in dem kleinen Dorf Yuvalim in den Bergen Galiläas groß geworden. Vor 13 Jahren zog er nach Berlin, heute wohnt er in Wedding. »Im Frühling, wenn alles aufblüht, zeigt sich Berlin von seiner besten Seite«, sagt der Stadtführer, dessen Großvater mütterlicherseits in Schöneberg aufwuchs. »Es ist surreal«, meint Asaf Leshem. »Draußen ist schönstes Sonnenwetter, und ich muss zu Hause hocken.« Um sich in der Krise finanziell über Wasser halten zu können, hofft der selbstständige Stadtführer auf Unterstützung durch die Landesregierung. »Beruflich ist das Jahr für mich verloren«, sagt Leshem, der als passionierter Fahrradfahrer auch Touren per Drahtesel anbietet.

Mit seinen Eltern und Freunden in Israel steht Leshem viel in Kontakt. »Die Ausgangsregeln sind in Israel deutlich strenger als in Deutschland und machen etwa meinen Kumpels, die auch Fahrradfreaks sind, schwer zu schaffen.« Tatsächlich ist es in Israel derzeit nicht einmal gestattet, sich mehr als 500 Meter von seinem Zuhause zu entfernen. Anderenfalls droht ein Bußgeld. Auch aufgrund der frühen und strengen Einschränkungen - das zumindest sagen Experten - kommt Israel bisher vergleichsweise glimpflich durch die Coronakrise.

Asaf Leshem freut sich, dass die Berliner von harschen Ausgangsbeschränkungen wie in seiner Heimat verschont geblieben sind. Dass in Deutschland erste Corona-Maßnahmen schon wieder gelockert werden, sieht er zugleich kritisch: »Ich hoffe, dass die Politiker trotz aller Sorgen um die Wirtschaft auf die Mediziner hören und an die allgemeine Gesundheit denken.«

Moran Zohar ist da mit Blick auf die Lockerungen der Einschränkungen optimistischer. Die 33-Jährige ist überzeugt, dass es jetzt an der Zeit ist. »Ich denke, es ist wichtig, dass die Menschen eine Perspektive raus aus dem Lockdown bekommen«, sagt die junge Frau, die in der Nähe von Tel Aviv aufgewachsen ist und seit zehn Jahren mit ihrem Mann und den gemeinsamen drei Töchtern in Steglitz-Zehlendorf lebt. »In Israel sind die Auflagen und Einschränkungen strenger, da zu viele Infizierte das Gesundheitssystem schnell überlasten würden«, sagt sie. »In Berlin mache ich mir da keine Sorgen, hier ist man auf eine solche Situation vorbereitet.«

Wie viele in Berlin verbringt auch die Marketing-Managerin momentan viel Zeit in den eigenen vier Wänden. »Da mein Mann noch arbeiten kann, bin ich mit unseren Töchtern zu Hause.« Gleichwohl hat sich Moran Zohar ihr gewohntes Unterwegssein ein bisschen erhalten. Mindestens eine Stunde ist sie täglich mit ihren Kindern im nahe gelegenen Grunewald spazieren.

»Ich habe schon ein wenig Heimweh«, sagt die Israelin. Zum in der vergangenen Woche zu Ende gegangenen Pessach-Fest wollte sie mit ihrer Familie eigentlich die Verwandten in Israel besuchen. Aufgrund der Corona-Pandemie war das unmöglich. »Wir wollen so bald wie möglich nach Israel reisen.«

Auch der Israeli Nur Ben Shalom hofft, seine Eltern und Freunde in Tel Aviv bald wieder in die Arme schließen zu können. »Dass wir dieses Pessach nicht zusammen verbringen konnten, hat mich traurig gemacht«, sagt der 29-jährige Musiker, der mit seiner Freundin in einer Wohnung in Schöneberg lebt. Die Pandemie zeige den Menschen dabei ihre Grenzen auf. »Ständige Flugreisen, die wir für selbstverständlich halten, sind es auf einmal nicht mehr«, sagt Nur Ben Shalom.

Als freien Künstler trifft Shalom die Krise hart. »Niemand weiß, wann wir wieder mit Konzerten loslegen können«, sagt Shalom. Er stelle sich häufig die Frage, wie die Gesellschaft wohl nach Corona mit Kunst und Kultur umgeht: »Wird es ein großes Verlangen geben? Oder wird die Vorsicht überwiegen?« Für den jungen Mann ist erst einmal wichtig, dass er mit seiner Klarinette so schnell wie möglich wieder vor Publikum auftreten kann. »Ich vermisse das Musizieren und den Kontakt mit den Menschen.«

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