Pizza, Promis, Patridioten

Wie ein Propagandafilm, der sich als »Dokumentation« tarnt, Verschwörungsideologien bedient

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 6 Min.

Was haben der Sturz eines Stuntman, die CIA und eine Pizzeria gemeinsam, in deren Keller ein Netzwerk von Kriminellen angeblich Kinder vergewaltigen soll? Richtig geraten: nichts. Aber mit ein bisschen Hollywood-Studiotechnik und ein paar Protagonisten, die selbst an einen Zusammenhang glauben, kann man leicht eine Pseudo-Dokumentation drehen, die eine entsprechende Verbindung vorgaukelt.

So geschehen mit »Out of Shadows«, einem Film, das am 11. April auf Youtube veröffentlicht wurde und seitdem über 10,4 Millionen mal (Stand: 26. April) angeklickt wurde. »Patrioten machten diesen Film, um die Wahrheit in die Welt zu bringen«, steht in der Erklärung. Verantwortlich sei ein »Team aufgeweckter Fachleute«. Mehr über Regisseure, Produktionsfirmen oder ähnliches erfährt man nicht. Doch eines ist sicher: Wenn »Patrioten« vorgeben, »die Wahrheit in die Welt« zu bringen, ist Vorsicht angesagt. Der Film ist im Original auf Englisch, wurde mittlerweile aber von Amateuren in andere Sprachen übersetzt - auch ins Deutsche.

Einer dieser »Patrioten« ist offenbar Mike Smith, der als Stuntman in Filmproduktionen mitspielte. Er führt durch den als Dokumentation getarnten Streifen und zeigt zunächst einige Szenen aus seiner »Karriere« - quasi als Appetitanreger: Stunts für »Spiderman«, »Batman« - alles dabei. Dann jedoch, so erzählt Smith, endete sein Stuntmandasein jäh mit einem Sturz: Er landet daraufhin bei einer Physiotherapeutin, die ihm nicht nur wortwörtlich wieder auf die Beine hilft, nein, sie öffnet ihm metaphorisch auch die Augen: Von ihr will Smith gelernt haben, dass »die da oben« eine satanistische Vereinigung betreiben, die sexualisierte Gewalt an Kindern verübt und Videos davon vertreibt. Woher sie das wissen will? »Ich flicke die Kinder anschließend wieder zusammen.«

Smith sieht sich selbst als Zweifler. Er glaubt ihr zunächst nicht, findet es lächerlich, dass sie für ihn betet. Aber nach und nach findet er, wie viele Verschwörungsgläubige, selbst zum vermeintlich richtigen Glauben. Er nimmt ihr anfangs auch die Verschwörungsgeschichte nicht ab - bis er »im Internet« mehr über einen satanistischen Kindervergewaltigungsring liest, in den Prominente, Politiker und Geheimdienstler verwickelt sein sollen. Doch nichts Genaues weiß man nicht. Dabei fallen ihm Bilder angeblich satanistischer Praktiken auf, die er so oder so ähnlich in den Häusern von Hollywoodstars gesehen haben will. Sehr verdächtig! Er nimmt sich vor, der Sache »nachzugehen«.

Mike Smith holt die Menschen also da ab, wo sie stehen: Sie glauben zwar angeblich nicht an hanebüchene Verschwörungen, aber »denen da oben« trauen sie doch alles zu. Und wenn eine Geschichte einigermaßen professionell verpackt und suggestiv daherkommt und dieser in Hollywood bekannte Stuntman auch davon überzeugt ist - dann muss an der Räuberpistolengeschichte ja etwas dran sein. (Spoiler: Ist es nicht.)

Dann tritt der erste »Zeuge« auf, ein alter Freund von Smith und ebenfalls Stuntman: Brad Martin. Martin betrachtet sich wie wie Smith als »Zweifler«, und gemeinsam zweifelnd fühlen sie sich weniger allein. Substanzielles trägt Martin nicht zum Film bei, aber auch er hat tolle Stunts gedreht, und das zeichnet ihn schließlich irgendwie als jemanden aus, der Bescheid weiß.

Der erste sogenannte Experte, der präsentiert wird, ist Kevin Shipp, ein Ex-CIA-Spion, der behauptet, in den USA ziehe der »tiefe Staat« die Strippen: eine Gruppe um Demokraten und Geheimdienstler. Die zweite und bemerkenswerterweise auch letzte »Expertin« ist die Ex-Journalistin Liz Croakin, die sich auf »Pizzagate« spezialisiert hat: eine Verschwörungsideologie, die während der letzten US-Präsidentschaftswahlen die Runde machte. In deren Mittelpunkt standen eine Pizzeria in Washington D.C. und die geleakten E-Mails des damaligen Wahlkampfmanagers von Hillary Clinton, John Podesta.

Wie gehört all das nun zusammen? Ganz einfach: In die satanistische kriminelle Vereinigung sind den Hobbydetektiven zufolge nicht nur Geheimdienstler und US-Demokraten verwickelt, sondern auch diverse Hollywoodstars. Die CIA soll Hollywood benutzen, um mit Blockbustern die Zuschauer dahingehend zu manipulieren, dass sie von der »Wahrheit« nichts mitbekommen und sich weiter berieseln lassen. Auch die Massenmedien sollen an dem Komplott beteiligt sein

Im Film kommen nicht wenige Wahr- und Halbwahrheiten vor. Das CIA-Programm MK-Ultra beispielsweise, bei dem Experimente an Menschen mit LSD durchgeführt wurden, existierte zwar. Doch Kevin Shipp behauptet, dass das Programm nie beendet wurde. Als Beispiel führt er NXIVM an: Der Kult soll Frauen gefangen gehalten haben, um sie zu vergewaltigen. An den Taten soll eine bekannte Serienschauspielerin beteiligt gewesen sein. NXIVM hat Shipp zufolge ähnliche Methoden angewandt wie MK-Ultra. Beweise? Fehlanzeige. Der Verbrecherring wurde übrigens von der »New York Times« aufgedeckt - ausgerechnet eine jener Zeitungen, die angeblich alle »gleichgeschaltet« sind und alles dafür tun, »die Wahrheit« zu verschleiern. Die Verantwortlichen von NXIVM stehen derzeit vor Gericht. Also stecken doch nicht alle unter einer Decke?

Die wichtigsten sogenannten Beweisstücke für den in »Out of Shadows« ausgebreiteten Verschwörungsunsinn sind rund vier Jahre alt - und genauso lange ist er auch schon entlarvt: In den von Wikileaks veröffentlichten E-Mails von John Podesta kommt das Wort »Pizza« mehrmals vor, unter anderem in dieser Frage: »Would you love to get a pizza for an hour?« Sehr verdächtig! Laut Croakin ist »Pizza« ein Codewort in der Täterszene für kleine Mädchen. Doch auch das wird lediglich behauptet. Übrigens: Im E-Mail-Postfach der Autorin dieses Artikels kommt das Wort »Pizza« 233-mal vor, einmal in diesem kryptischen Satz: »Pizza essen gehen ist die Ausweglosigkeit.« Was wohl dahintersteckt?

Verbreitet wird »Out of Shadows« über Telegram-Kanäle von extrem Rechten und Esoterikspinnern sowie über Twitteraccounts von Leuten, die glauben, dass die Erde eine Scheibe ist. Verschwörungstheorien bieten einfache Erklärungsmuster für komplexe Zusammenhänge, was Menschen anfällig für sie macht. Unter Rechten beliebt sind Verschwörungstheorien zudem, weil sie meist strukturell antisemitisch sind: Mal ist die im Geheimen wirkende Gruppe der »tiefe Staat«, mal sind es »die Juden«, die »die Strippen ziehen«.

John Podesta schreibt in seinen E-Mails auch über eine Performance namens »Spirit Cooking« der Künstlerin Marina Abramovic. Der Verschwörungsideologie Anheimgefallene behaupten, dass Abramovic und ihre Gäste dabei okkulte Praktiken anwenden. Es mag nicht verwundern, dass Menschen, die einfache Erklärungsmuster bevorzugen, nicht viel von Kunst halten. Und daher auf dem Instagram-Profil von Lady Gaga, die mit Abramovic zusammen performt hat, massenweise Kommentare hinterlassen, in denen sie sie als Pädophile beschimpfen.

Ein paar bekannte Fakten über das Fehlverhalten von Regierungsbehörden werden in diesem Film willkürlich vermischt mit tatsächlich aufgedeckten Verbrechen, in die auch Militärs und Prominente verwickelt waren. Daraus wird dann die Legende gestrickt, die gesamte »Elite« sei beteiligt. Was fehlt, sind Beweise und echte Quellen.

Nicht alle »da oben« gehören aus Sicht der Verschwurbelten zu den »Bösen«. Verdächtig erscheinen ihnen zum Beispiel jene, die mal im Privatjet des Investmentbankers Jeffrey Epstein mitgeflogen sind, darunter Hillary Clinton. Epstein wurde 2019 angeklagt, einen Vergewaltigungshandelsring mit Minderjährigen betrieben zu haben. Er starb in Haft. Auch darum ranken sich übrigens Mythen. Was verwundert: Auch Trump war Gast in Epsteins Flugzeug. Doch als Verdächtiger in Sachen Kinderhandel gilt er den Verschwörungsideologen nicht.

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