Traubenzucker statt Koks

Was verkauft sich derzeit in Berlin besser als Crystal Meth? Wohnraum, zu sehen im klischeebeladenen Film »Betonrausch«

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Falls sich die Masse der Menschen auf dem Mietmarkt ausmalen würde, wie die Leute aussehen, die damit Geschäfte machen, - sie würden sich wohl so jemanden wie Gerry vorstellen: Um eines Lebens in Saus und Braus willen treibt der Immobilienmakler aus dem Netflix-Film »Betonrausch« nicht nur fröhlich Mittelständler in den Ruin - mit Corvette, Koksnase und Maßanzug sieht er auch noch genau so aus wie eine kapitalistische Klischeefigur.

Weit weniger als zu Frederick Lau, der Gerry verkörpert, passt dieses Klischeebild zu David Kross. Seit dessen Durchbruch als Darsteller eines Bürgersöhnchens im Drama »Knallhart« ist er eher auf Sympathieträger gebucht. Das er nun Gerrys skrupellosen Kumpel Viktor spielt, ist also eine interessante Idee gewesen. Doch leider bleibt aber sein nettes Lächeln der einzige Bruch mit den Zuschauererwartungen, den sich Regisseur und Autor Cüneyt Kaya in »Betonrausch« gönnt.

Als zu Beginn des Films Viktor nach seiner Verhaftung der Polizei in Rückblenden von seinem Wandel vom Provinzler zum Großstadtspekulanten berichtet, wird nahezu jedes neoliberale Vorurteil ausgewalzt, das seit dem Aufstieg und Fall von Charlie Sheen in »Wall Street« je fiktionalisiert wurde. Es reicht Netflix also nicht, zwei Halunken zu skizzieren, die mit einer kreditfinanzierten Immobilienblase Millionen scheffeln; beide müssen sie auch noch, dauernd grell ausgeleuchtet, mit Statussymbolen, Koks und Gaunergehabe auf den Putz hauen. Kayas Milieustudie knüpft dabei kaum an seine Klassengesellschaftsdramödie »Isi & Ossi« an, sondern sie kopiert lieber »Blockbustaz« - nur mit mehr Cohibas als Selbstgedrehten. Fast alles an seiner Produktion wird daher im Bumsbombertempo auf Effekt geknallt: Viktors Metamorphose vom schüchternen Landei zum selbstsüchtigen Ganoven verläuft schneller, als sein Bekannter Gerry dreimal »Ficken« sagen kann.

Im Geldadel angekommen, raucht Gerry dann natürlich an der Wiege von Viktors Baby, die dem Papa selbstverständlich auch noch als Drogendepot dient, wofür ihn die Bankerin Nicole (Janina Uhse) aus der gemeinsamen Riesenvilla wirft. Auf den Wahrheitsgehalt dieser eskalierenden Geschichte angesprochen, verweist Kross zwar auf Cüneyt Kayas Tiefenrecherche im Umfeld realer Immobilienspekulation und beteuert, daheim in Berlin treffe »man alle Nase lang Typen, die genauso mit dem Geld um sich werfen«. Umso mehr aber fragt man sich spätestens bei der fünften Orgie im Puff, warum die Macher so wenig Interesse an den Hintergründen dieser kriminellen Energie entwickeln und weshalb sie nicht eben diesem Wesen von Gier und Drang zur Macht nachspüren. Dabei zeigt die Figur Viktor, dass Tiefe durchaus möglich wäre: »Das Komische am Geld ist«, erklärt er der Polizistin im Verhör, »wenn jemand den Hahn erst einmal aufgedreht hat, desto mehr wird es; unaufhaltsam.« Es sei wie eine Lawine. »Die Leute schmeißen es dir hinterher und du musst plötzlich für nichts mehr zahlen.«

Was genau diesen Mechanismus womit warum genau befeuert, wäre doch mal einen Spielfilm dieser Produktionsgröße wert gewesen. Doch weil diese Frage bereits in Kulissenschieberei erstickt wird, bleibt »Betonrausch« - trotz einer Backstory um Viktors Scheidungskinderschicksal und ähnlich küchenpsychologischer Nebenhandlungsstränge - ein blutleerer Aufguss von »Breaking Bad«, nur mit Wohnraum statt Crystal Meth als Hehlerware. Kein Wunder, dass Gerry dann sogar Walter Whites berühmten Hut aufhat. Das Kokain dagegen »bestand aus Traubenzucker mit Pfefferminz«, erinnert sich Kross im Telefoninterview ans ständige Schnupfen weißen Pulvers zum Zweck der Illustration des unablässigen Exzesses. Selbst das Imitat sei jedoch »voll in den Kopf geknallt.« Das erklärt so einiges.

»Betonrausch«, Deutschland 2020. Regie: Cüneyt Kaya. Darsteller: David Kross, Emily Goss, Frederick Lau. 134 Min. Verfügbar auf Netflix.

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