- Berlin
- BVG
Weil sie Menschen liebt
Eva Kreienkamp wird neue Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe
»Ich bedauere es sehr, dass Eva Kreienkamp Mainz verlassen wird«, sagt Martin Mendel, Vorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn Rheinland-Pfalz/Saarland, zu »nd«. Die bisherige Co-Geschäftsführerin des kommunalen Verkehrsbetriebs Mainzer Mobilität wird am 1. Oktober ihr Amt als neue Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) antreten. Das hat deren Aufsichtsrat am Mittwoch beschlossen. Sie folgt damit auf die bisherige Vorstandsvorsitzende Sigrid Nikutta, die nach etwas über neun Jahren zum Jahreswechsel an die Spitze der Gütertochter DB Cargo der Deutschen Bahn wechselte.
»Mit Eva Kreienkamp konnten wir eine ausgewiesene Fachfrau für den Vorstandsvorsitz der BVG gewinnen. Ich bin überzeugt, dass sie gemeinsam mit Rolf Erfurt und Dirk Schulte sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Erfolgsgeschichte der BVG weiterführen wird«, erklärte die BVG-Aufsichtsratsvorsitzende, Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), nach der Wahl.
»Als Vorstandsvorsitzende die BVG ins nächste Jahrzehnt zu führen, ist für mich Ehre und Herausforderung zugleich. Ich nehme sie gerne gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen der BVG und meinen Vorstandskollegen an«, so die designierte BVG-Chefin.
Die 57-Jährige wurde im rheinland-pfälzischen Waldbreitbach geboren, ging in Düsseldorf zur Schule und studierte anschließend Mathematik in München. Zehn Jahre ihres Berufslebens war sie in Finanz-Leitungspositionen beim Versicherungskonzern Allianz tätig. Von 2002 bis 2004 arbeitete sie für die Telekommunikationstochter der Berliner Wasserbetriebe. In die Verkehrsbranche stieg sie 2009 ein als Geschäftsführerin des Betreibers des letztlich gescheiterten privaten Fernzugs Hamburg-Köln-Express. Nach fünf Jahren verließ sie das Unternehmen, als deren Leiterin sie mehrfach öffentlich Ankündigungen machte, die nie eintrafen.
In ihrer Karriere engagierte sich für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und sexuelle Minderheiten. Sie war Mitbegründerin der Vereine Frauen in die Aufsichtsräte sowie der Wirtschaftsweiber, laut Selbstbeschreibung, einem »Netzwerk für erfolgreiche lesbische Frauen«.
Seit Mai 2015 ist Kreienkamp Co-Geschäftführerin der Mainzer Verkehrsbetriebe, zuständig für die Bereiche Fahrpersonal, kaufmännischen Funktionen, Digitalisierung und Infrastrukturprojekte.
Beobachter führen ihre Bestellung auf Betreiben der Mainzer Verkehrsdezernentin der Grünen zurück. Sie sollte wohl ein Kontrapunkt zum seit 2002 an der Unternehmensspitze stehenden FDP-Mitglied Jochen Erlhof setzen. »Erlhof sperrte sich gegen alles, was Geld kostet, wie innovative Antriebe oder Klimaanlagen in den Fahrzeugen«, berichtet Pro-Bahn-Mann Mendel. Er nennt den Geschäftsführer eine »graue Eminenz«.
Offenbar musste sich Kreienkamp intern ordentlich durchbeißen. Und die Verweigerung von fahrgast- oder umweltfreundlichen Maßnahmen kennen die Berliner aus den Nikutta-Jahren der BVG nur gut genug.
»Kreienkamp war leider nicht lange genug bei den Verkehrsbetrieben, dass man sagen könnte, sie hätte großartige Sachen verändert«, sagt Mendel. Eine große Stärke sei die intensive Öffentlichkeitsbeteiligung gewesen. »Diese lief vorbildlich bei der Citybahn, was ich ihr direkt zuschreiben möchte«, so Mendel. Dabei geht es um die geplante Verlängerung der Mainzer Straßenbahn ins benachbarte Wiesbaden und darüber hinaus. Für die Verhältnisse der Region ein Mammutprojekt, das vor allem in der Nachbarstadt auf erhebliche Widerstände stößt. »Eine wirklich nette und zugängliche Frau«, nennt der Fahrgastvertreter Kreienkamp. Nach Bürgerbeteilungsverfahren sei die Chefin der Verkehrsbetriebe gerne auch noch mit den übrig gebliebenen Teilnehmern in eine Gaststätte eingekehrt. Schwer vorstellbar bei Sigrid Nikutta.
»Eine sehr sympathische Frau«, so war der erste Eindruck von Jeremy Arndt, dem für die BVG zuständigen Verdi-Gewerkschaftssekretär. »Ich glaube, dass sie Ahnung davon hat, was sie tut«, so Arndt weiter zu »nd«.
Auch der verkehrspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Kristian Ronneburg, hat durchaus ein gutes Gefühl bei der Personalie. »Wir stellen uns vor, dass sie als neue Chefin offen und mit Transparenz agiert. Dass sie sich nicht davor scheut, Probleme zu benennen und gemeinsam mit uns für die Interessen der BVG zu kämpfen«, so Ronneburg zu »nd«. Es sei gut, jetzt auch eine Chefin zu bekommen, die in Mainz bereits Erfahrungen gemacht hat mit der Ausweitung des Straßenbahnnetzes.
Ronneburg macht darauf aufmerksam, dass in Kreienkamps Amtszeit auch die Wiedereingliederung der als Billigtochter gegründeten City-Bus Mainz GmbH mit schlechterer Bezahlung der Beschäftigten gefallen ist. »Die vollständige Reintegration der BVG-Tochter Berlin Transport wäre auch ein Punkt, über den wir gerne sprechen würden«, sagt der Abgeordnete. 2019 hatte bereits die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus einen öffentlichen Vorstoß in dieser Richtung gemacht.
Eine große Herausforderung wird auch die Bewältigung der Corona-bedingten Einnahmenausfälle der BVG sein. Die Schätzungen allein für 2020 liegen zwischen 150 und 180 Millionen Euro. »Kann das Land das überhaupt begleichen oder muss die Bundesebene hier helfen?«, fragt Gewerkschafter Arndt. »Ich glaube, an der Stelle sind wir auf einer Wellenlänge mit dem Land Berlin.«
Eine Zukunftsaufgabe, die planmäßig noch vor dem Amtsantritt Kreienkamps abgearbeitet sein sollte, ist der Abschluss eines neuen Verkehrsvertrags zwischen dem Land Berlin und der BVG. Am 1. September sollte das umfangreiche Werk, das eine Beauftragung der BVG durch den Senat bis 2035 sichern soll, in Kraft sein. Nach wie vor umstritten ist der Umgang mit den Mehrkosten, die durch den Tarifabschluss 2019 mit erheblichen Einkommenssteigerungen entstanden sind. 1,9 Milliarden Euro zusätzlich müssten laut Hochrechnung in einer Vorlage des Hauptausschusses fließen. Gelder, die in der bereits erfolgten, vor Vertragsschluss nötigen Verpflichtungsermächtigung durch das Parlament nicht enthalten sind. »Dass es Differenzen gibt, zwischen Zuständigen für Finanzen und Verkehr ist nichts Neues, gerade beim Thema Elektromobilität«, sagt Gewerkschafter Arndt. Daran scheine innerhalb des Senats Streit entbrannt. »Die Juni-Sitzung wird entscheidend. Entweder wird uns ein Verkehrsvertrag vorgelegt oder nicht. Wenn man es will, ist es möglich«, erklärt Arndt.
»Für uns ist das der wichtigste Punkt, dass wir diese Lücke schließen. Die Lösung darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten erfolgen«, sagt Linken-Verkehrsexperte Kristian Ronneburg. Der ursprüngliche, bereits ambitionierte Zeitplan ist längst gerissen. »Es gibt einen sehr großen zeitlichen Druck, aber alle Seiten arbeiten gerade an einer guten Lösung, um die verlorene Zeit wiederzugewinnen«, sagt Ronneburg.
»Man sollte fairerweise Eva Kreienkamp in die Verhandlungen einbeziehen. Schließlich ist die Finanzierung eine der entscheidenden Weichenstellungen für ihre Amtszeit«, fordert Jens Wieseke, Sprecher des Berliner Fahrgastverbands IGEB. »Mut und die Kraft braucht die neue Chefin auch in Berlin«, so Wieseke. Der Straßenbahnausbau im viertgrößten Netz der Welt stocke. »Sie übernimmt mit der BVG eine Großbaustelle, einen betriebssicheren Sanierungsfall«, erklärt der Fahrgastvertreter. »Ich wünsche ihr ehrlich viel Erfolg«, sagt Jens Wieseke.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.