Länderstreit um S-Bahn beigelegt
Brandenburg und Berlin einigen sich auf Ausschreibungsverfahren für das Netz
Als »Schlussstrich unter die S-Bahn-Krise« und den »Start in eine neue Ära« bezeichnet Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) die Einigung mit Brandenburg über die Modalitäten der Ausschreibung der Verkehrsleistungen auf zwei Dritteln des Berliner S-Bahnnetzes. Am Samstag gaben die beiden Länder diese bekannt. Die Fahrgastverbände IGEB und Pro Bahn begrüßen auf nd-Anfrage, dass es nun mit der Ausschreibung vorangeht. »Das ist eine gute Nachricht für die Fahrgäste«, heißt es unisono.
Die wichtigste bisher veröffentlichte Änderung gegenüber dem Berliner Entwurf: Die Errichtung einer neuen Werkstatt für die Züge an der S8 in Berlin-Blankburg ist keine Pflicht mehr, sondern nur noch optional.
Die Länder hätten sich darauf geeinigt, »planerisch mindestens einen neuen optionalen Werkstattstandort pro Teilnetz zu entwickeln, inklusive etwa der Grundstückssicherung und der Vorbereitungen für eine Schienenanbindung«. Bewerber auf die Teillose Fahrzeuglieferung und Instandhaltung könnten diese Standorte bei Bedarf nutzen. Der Instandhaltungsvertrag werde im Rahmen des rechtlich Möglichen sicherstellen, dass die Werkstätten samt Material auch nach Vertragsende dem S-Bahnsystem zur Verfügung stehen.
Die Bauverpflichtung hätte den Wettbewerbsvorteil der Deutsche-Bahn-Tochter S-Bahn-Berlin GmbH mindern sollen, die bereits über umfangreiche Wartungsinfrastruktur verfügt. Zu einem Verkauf der bestehenden Werkstätten an das Land Berlin war das Unternehmen nicht bereit. Kritik an der Pflicht, einen neuen Standort zu errichten, entzündete sich von Gewerkschaftsseite wegen möglicher Arbeitsplatzverluste, der Berliner Fahrgastverband IGEB kritisierte unrealistische Kosten- und Zeitplanungen. »Wir sind sehr erfreut, dass diese aus unserer Sicht unnötige, in der Gesamtheit mehrere Hundert Millionen Euro teure Idee nun endgültig vom Tisch ist«, sagt dessen Sprecher Jens Wieseke zu »nd«. Auch Brandenburg hegte große Zweifel, die sich nicht haben ausräumen lassen.
»Unser gemeinsames Ziel ist es, über den Wettbewerb ein hochwertiges und leistungsfähiges S-Bahn-Angebot zu sichern. Damit wollen wir für die Nutzerinnen und Nutzer der S-Bahn dauerhaft eine hohe Qualität zu angemessenen Preisen gewährleisten«, erklärt der brandenburgische Verkehrsminister Guido Beermann (CDU). Klar ist auch: Die 327 Vier-Wagen-Züge, mit denen die Ost-West-Linien der Stadtbahn und die Nord-Süd-Linien, die durch den Innenstadttunnel führen, künftig betrieben werden sollen, werden dem Land Berlin gehören. Das Land Brandenburg, auf das etwa zehn Prozent der S-Bahn-Leistung entfallen, kann sich an diesem Fahrzeugpool beteiligen. Diese Konstruktion soll das Dilemma lösen, dass die 1308 Wagen mindestens 30 Jahre in Betrieb stehen sollen, während der tatsächliche Zugbetrieb europarechtlich für maximal 15 Jahre ausgeschrieben werden kann. Außerdem muss das Land nicht noch zusätzliche Konzernrenditen auf den erwarteten Fahrzeugpreis von geschätzt 2,7 Milliarden Euro bezahlen. Die Bestellung kann auf bis zu 2160 Wagen aufgestockt werden - für Taktverdichtungen und geplante Netzerweiterungen.
Die Ausschreibung bleibt weiter komplex und enthält vier Lose. Je zwei für Wartung und Instandhaltung sowie den Zugbetrieb auf jedem der zwei Teilnetze. Theoretisch können also vier verschiedene Betreiber zum Zuge kommen. Möglich ist auch, dass die S-Bahn Berlin GmbH alle vier Lose gewinnt und weiterhin den gesamten Betrieb im Netz verantwortet. Mit Protest ist weiterhin von der Gewerkschaftsseite zu rechnen, auch wenn die Verkehrsverwaltung versichert: »Der Arbeitnehmerschutz ist maximal gewährleistet.« Das Bündnis »Eine S-Bahn für Alle« fordert die »sofortige Rücknahme der Ausschreibung«.
Gegenüber den ursprünglichen Planungen wird sich die Betriebsaufnahme aber um etwas über ein Jahr verzögern. Für das erste Teilnetz soll der Betriebsstart im Dezember 2027 sein, das zweite Teilnetz soll dafür bereits zwei Monate später folgen - zwei Jahre früher als ursprünglich geplant. Jan Thomsen, der Sprecher der Verkehrsverwaltung, begründet das mit den »nötigen Abstimmungen zwischen Berlin und Brandenburg und Verzögerungen durch die anhaltende Pandemie-Lage«. Das Vergabeverfahren soll, nach Senatsbeschluss, voraussichtlich im Mai schnellstmöglich beginnen, teilt die Verwaltung mit.
Allerdings haben auch noch die Fraktionen der rot-rot-grünen Koalition ein Wörtchen mitzureden. »Einige Punkte in den Unterlagen sind weiterhin noch zu unbestimmt; diese brauchen eine eindeutige Klärung«, sagt Linke-Verkehrsexperte Kristian Ronneburg zu »nd«. Immer wieder hatten in dem langen Verfahren Abgeordnete von SPD und Linke über unabgestimmte Überraschungen in den Unterlagen geklagt. »An uns muss es nicht liegen, sollte es trotzdem noch Verzögerungen geben«, so Ronneburg.
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