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  • Kultur
  • Jean-Philippe Toussaint

Die Zukunft ist langweilig

In seinem Roman »Der USB-Stick« ist Jean-Philippe Toussaint ein nervtötender Erzähler

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 5 Min.

Auf dem Buchrücken steht: »packend wie ein Thriller«,. Es ist ein übersetztes Zitat aus dem »Journal de Littérature«. Derartige Zuschreibungen sollen zweierlei transportieren: Erstens, dass dieses Buch, was die Spannung angeht, den Produkten aus dem Unterhaltungssegment in nichts nachstehe. Und zweitens, dass sich kulturbeflissene Leser von dieser Aussage nicht schrecken lassen sollten, ist das Buch selbst natürlich kein schnöder Thriller.

Es handelt sich dabei um Jean-Philippe Toussaints Roman »Der USB-Stick«, der 2019 in Frankreich erschien und nun (wie schon seine anderen Bücher) in deutscher Übersetzung von Joachim Unseld in dessen Frankfurter Verlagsanstalt erschienen ist.

Ein weniger dünkelhafter Leser dürfte sich fragen, was denn eigentlich verwerflich daran wäre, einen Thriller zu schreiben. Soll es denn gar nicht möglich sein, ein literarisches Buch zu schreiben, das spannend ist?

Es mag unfair erscheinen, sich am Klappentext abzuarbeiten, also an jener Art sogenannter Metatexte, die ihrem Objekt mit dem guten Vorsatz der Bewerbung nur allzu oft in wenigen Zeilen mehr Gewalt antun, als es selbst der missmutigste Kritiker je könnte. Jedoch sind gerade diese zitierten vier Wörter auf dem Buchrücken von »Der USB-Stick«, durchaus bezeichnend für das Buch und seine Probleme. Toussaint hat einen Roman geschrieben, der sich gleich bei mehreren Genres und literarischen Traditionen bedient, ohne diese zu Ende zu denken. Sein neues Buch zitiert den Thriller, die Vater-Sohn-Geschichte, die Midlife-Crisis und den Gesellschaftsroman, ohne auch nur eine dieser Spuren konsequent weiterzuverfolgen. Ein nervöser Erzähler ist hier am Werk, der in 50-Seiten-Intervallen das Genre wechselt, sein Thema mal auf diese, mal auf jene Weise zu bergen sucht, mit dem Effekt, dass es im literarischen Steinbruch verschütt geht.

Am länglichen Beginn des kurzen Buchs stellt der Protagonist seine Profession vor. Er ist Zukunftsforscher, was nichts mit Hellseherei zu tun habe. Tatsächlich kann Jean Detrez nicht nur nicht die Zukunft vorhersehen, er scheint auch recht unbeholfen in seiner Gegenwart zu stehen. »Ich war ein Experte für die Zukunft geworden, aber einer für die Zukunft der Lebensmittelversorgung, für die Zukunft der Nato - für die Zukunft der Welt, aber niemals für meine eigene Zukunft.«

Drei Kinder hat er und zwei Ex-Frauen, mit der letzten lebt er in ständigem Streit, auch um sein sonstiges Sozialleben scheint es nicht zum Besten zu stehen. Als Abteilungsleiter in der EU-Kommission nimmt er immer wieder Treffen mit einem Lobbyisten wahr, was weder den Statuten der EU folgend opportun wäre, noch der Beschaffenheit der Figur nach plausibel erschiene. »Ich ertappte mich dabei, auf das nächste Treffen zu lauern, es sogar ungeduldig zu erwarten, ich schaute ständig auf mein Telefon, verging vor Langeweile im Büro, wenn ich über mehrere Trage hinweg keinen Anruf erhielt.«

Fast könnte man von Verliebtheit sprechen, um die Beziehung zwischen Detrez und einem geheimnisvollen Lobbyisten zu beschreiben. Zumal weitgehend unterbelichtet bleibt, was sie überhaupt genau bei ihren Treffen bereden. Schließlich gerät der Erzähler in den Besitz des titelgebenden USB-Sticks. Der Inhalt legt nahe, dass der Lobbyist gemeinsam mit einem chinesischen IT-Unternehmen einen groß angelegten Betrug plant.

Die Chinesen wollen Computer für die Schaffung von Bitcoins nach Bulgarien liefern und den Gewinn über eine technische Hintertür abzweigen. Detrez beschließt, warum auch immer, selbst in China Nachforschungen anzustellen, ohne aber viel herauszufinden. Wenigstens springt eine schöne Szene heraus, in der ihm sein MacBook in einer Toilettenkabine gestohlen wird. »Vor mir unter der Tür tauchte eine Hand auf, eine völlig unwirkliche, aus jedem Zusammenhang gerissene Hand, die in Höhe meiner Füße in mein Gesichtsfeld geriet, eine selbstständig agierende, abgetrennte Hand, die sich einen Augenblick im Leeren hin und her bewegte, das Terrain sondierte, schnell, präzise, millimetergenau, dann meine Schuhe berührte, flüchtig über das Oberleder strich, bevor sie ihren Weg fortsetzte und auf meinen Computer stieß, den sie abzutasten begann.«

Bei einem anschließenden Vortrag in Tokio bringt Detrez - ohne sein auf dem Rechner gespeichertes Manuskript - vor versammelter Forschungsgemeinschaft kein vernünftiges Wort heraus. Der Plot nimmt, nachdem er anfangs nur vor sich hinstotterte, zum Ende hin Fahrt auf. Der Ausflug ins Spionage-Fach wird abgebrochen, stattdessen geht es rasch zurück nach Brüssel, wo der Vater des Erzählers im Sterben liegt.

Man mag dem Verlauf der Handlung die kulturpessimistische Botschaft entnehmen, dass der Mensch, zu sehr beschäftigt mit der Technik und der Organisation des Zukünftigen, den Kontakt zu seinen Nächsten verloren habe. Warum für diese recht flache Erkenntnis ein solcher Irrweg über den Globus und durch die literarische Konventionen nötig war, bleibt enttäuschend unklar.

Den Autor muss man deswegen keineswegs abschreiben, hat Toussaint doch mit seinem großen Romanzyklus »M.M.M.M.« zuvor gezeigt, wie viel besser er das Spiel mit Erwartungen zu spielen versteht. Hocherotisch ging es da zwischen dem Erzähler und der erfolgreichen Modesignerin Marie zu, weder konnte er ihrer habhaft werden noch sich ihrer entledigen.

Die Verknappung, die Lücke, das Spiel zwischen Wissen und Ahnen, zwischen Distanziertheit im Ton und Bestimmtheit im Stil war die große Stärke dieser Romane. Virtuos führte Toussaint auch da schon von einem Genre ins andere, ließ den Leser wenig verstehen doch umso mehr erfahren. Alles, woran Toussaints neuer Roman sich verhebt, ist in diesen Vorgängern federleicht. Wer sie noch nicht gelesen hat, kann die Wartezeit zum nächsten, gelungenen Toussaint also fürstlich überbrücken.

Jean-Philippe Toussaint: Der USB-Stick. Aus dem Franz. v. Joachim Unseld. Frankfurter Verlagsanstalt, 192 S., geb., 22 €.

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