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- Corona und soziale Folgen
Auf Lachen folgt Leere
Lockerungsmaßnahmen in Italien rücken Fokus auf bevorstehende Wirtschaftskrise
Seit diesem Montag lebt Italien die »Phase 2« der Corona-Maßnahmen. 4,5 Millionen Arbeitnehmer, die wie fast alle anderen Italiener zwei Monate lang de facto in Quarantäne lebten, sind zur Arbeit in die Fabriken und Betriebe zurückgekehrt. Gleichzeitig wurden auch die Ausgangsbeschränkungen etwas gelockert und die Städte sind einen Schritt weiter in Richtung Normalität gegangen. Aber für viele Menschen haben sich die Ängste nur verlagert: Bisher befürchtete man in erster Linie, sich mit dem Virus anzustecken und in Einsamkeit zu sterben; jetzt aber fürchtet man Arbeitslosigkeit und bittere Armut.
Die Maßnahmen der Phase 2 sind zum Teil mehr als absurd: So darf man jetzt zum Beispiel die eigene Wohnung auch verlassen, um »Verwandte bis zum sechsten Verwandtschaftsgrad« und »stabile Beziehungspartner« zu besuchen, nicht aber Freunde. Und wenn man jemanden besucht, dann muss man trotzdem »Abstand halten« und die obligatorische Schutzmaske tragen - dass das etwa bei Liebespaaren illusorisch ist, weiß jeder. Man darf sich jetzt in den in Italien so beliebten Bars einen Espresso mitnehmen, weiß aber nicht, wo man ihn trinken soll, da »Menschenansammlungen« überall verboten sind und man sich auch nicht auf Parkbänke setzen darf. Die Grünanlagen wurden nur für Spaziergänger und Jogger geöffnet. Einige Italiener lachen über diese unsinnigen Regelungen oder regen sich darüber auf, schütteln den Kopf und machen dann das, was sie für richtig halten.
Weniger »lustig« sind die Regelungen in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Hälfte der Sitze wurden mit großen Verbotsschildern abgeklebt und im Stehen darf man auch nicht fahren. Gleichzeitig gibt es niemanden, der kontrolliert, ob das auch eingehalten wird, da die Busfahrer sich dafür nicht zuständig fühlen und auch keine dementsprechende Befugnisse haben. Die Strände sind weiterhin geschlossen, außer, man wohnt ganz in der Nähe. Wieder gilt hier Augenmaß und die Hoffnung, dass sich tatsächliche alle Menschen verantwortungsbewusst benehmen.
Das sind die allgemeinen Regeln, aber ähnlich wie in Deutschland kochen auch die Regionen, die den deutschen Ländern entsprechen, und selbst Städte ihr eigenes Süppchen. Die von der Rechten regierten Landesteile, die bisher für besonders strenge Maßnahmen waren, sind plötzlich für sehr viel weiterreichende Lockerungen. Man wird den Verdacht nicht los, dass dabei weniger die Gesundheit der Bürger als vielmehr die politische Konkurrenz mit der Zentralregierung in Rom im Vordergrund steht.
Ein Großteil der Arbeitsplätze, die jetzt wieder »frei« sind, befinden sich im Norden des Landes, also genau in dem Landesteil, der am stärksten von Covid-19 betroffen wurde. Über 80 Prozent der Personen, die jetzt wieder arbeiten können oder müssen, sind Männer und davon sind wiederum die meisten älter als 50. Und auch hier handelt es sich um die Kategorien, die für Ärzte und Wissenschaftler zu den Risikogruppen gehören.
Je größer die Fabriken und Betriebe, umso größer die Sicherheitsmaßnahmen: Am Eingang wird die Körpertemperatur gemessen und meistens stehen auch genügend Schutzausrüstungen zur Verfügung. Ganz anders sieht das in den Handwerksbetrieben aus, wo aber auch kaum kontrolliert wird. In Büros aller Art arbeitet man weiterhin so weit wie möglich von Zuhause. Da aber Schulen und Kindergärten erst im neuen Schuljahr, also im September öffnen werden, fällt die Mehrarbeit vor allem auf die Frauen zurück.
In den kommenden Tagen werden neue Hilfsmaßnahmen für die Familie, aber wohl vor allem für die Betriebe beschlossen - von den bisher versprochenen Geldern sind nur wenige bei den wirklich Bedürftigen angekommen. Im Mittelpunkt wird jetzt wahrscheinlich der Tourismussektor stehen, denn noch weiß niemand, wann die europäischen Grenzen wieder geöffnet werden und die Reisenden wieder in das beliebte Ferienland Italien strömen können.
Sicher ist nur, dass vielen Italienern unsichere und bedrohliche Monate bevorstehen. Die Experten befürchten eine Krise, die alles bisher dagewesene übertreffen wird. Die neuen Ängste der Menschen sind also alles andere als unbegründet.
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