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»Diffuse Angst«: Tausende Menschen demonstrieren gegen Corona-Auflagen
Kundgebungen in mehreren deutschen Städten / Protestforscher: Wachstumspotenzial begrenzt
Berlin. Deutschlandweit haben am Samstag tausende Menschen gegen die wegen der Corona-Pandemie verhängten Beschränkungen demonstriert. Auf dem Alexanderplatz in Berlin kam es nach Polizeiangaben zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Beamten. Auf dem Münchner Marienplatz und in Stuttgart fanden ebenfalls Großkundgebungen statt. Weitere Versammlungen wurden unter anderem aus Bremen, Köln, Dortmund und mehreren sächsischen Orten gemeldet.
Die Beamten auf dem Alexanderplatz hätten Platzverweise ausgesprochen, teilte die Berliner Polizei im Kurzbotschaftendienst Twitter mit. Einige Demonstranten hätten ihre Personalien für eine Anzeige angeben müssen oder seien in Gewahrsam genommen worden. Da manche Demonstranten Widerstand geleistet hätten, hätten die Beamten »einfache körperliche Gewalt« eingesetzt, hieß es weiter.
Mehr als tausend Menschen hatten sich zu der nicht angemeldeten Demonstration am Alexanderplatz versammelt. Zahlreiche Demonstranten skandierten Parolen wie »Wir sind das Volk« oder »Freiheit, Freiheit«, wie eine AFP-Reporterin berichtete. Laut einer Pressesprecherin gab es auch Flaschenwürfe auf Polizisten.
Rund um den nahegelegenen Rosa-Luxemburg-Platz waren mehr als zehn Versammlungen angemeldet. Dort demonstrieren seit Wochen Menschen gegen die Pandemie-Maßnahmen. An den Versammlungen dürfen jedoch laut der Corona-Verordnung jeweils nur maximal 50 Menschen teilnehmen. Ebenfalls am Samstag nahmen Dutzende Menschen bei einer Versammlung am Reichstagsgebäude teilgenommen, wobei es etwa 30 Festnahmen gab. In ganz Berlin war die Polizei am Samstag mit tausend Einsatzkräften unterwegs.
In München versammelten sich nach Angaben der Polizei etwa 3000 Menschen am zentralen Marienplatz, um gegen die Corona-Auflagen zu demonstrieren. Da die Teilnehmerzahl deutlich höher gewesen sei als die angemeldeten 80 Teilnehmer, sei die Einhaltung des Mindestabstands zwischen den Demonstranten nicht möglich gewesen, teilte die Polizei München via Twitter mit.
Aufforderungen der Beamten per Lautsprecher, die Versammlung deshalb zu beenden oder zumindest auseinanderzurücken, kamen die Demonstranten den Angaben zufolge jedoch nicht nach. »Aus Verhältnismäßigkeitsgründen« habe sich der Einsatzleiter aber gegen eine Räumung »der emotionalen, aber an sich friedlichen Versammlung« entschieden.
Die Teilnehmer von Protestveranstaltungen gegen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus haben zum Teil einen sehr unterschiedlichen politischen Hintergrund. »Es gibt Formen einer unterkomplexen Kritik, die nicht über links oder rechts definiert ist: «Die Medien verbreiten nur Lügen» oder «die Regierung ist fremdgesteuert». Das ist anschlussfähig an verschiedene politische Milieus«, sagte der Berliner Soziologe Simon Teune der Deutschen Presse-Agentur. »Die Veranstaltungen haben das Potenzial, verschiedene Gruppen anzuziehen, die eine ganz unterschiedlich motivierte Kritik haben«, so der Protestforscher an der TU Berlin.
»Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass es auch früher schon solche Berührungspunkte gab, zum Beispiel die Montagsmahnwachen gegen den Ukrainekrieg 2014.« Sie seien ein Katalysator für die Verbreitung solcher Ideen gewesen. »Die Mischung ist besonders, wir haben die Impfgegner, die hochgradig mobilisiert sind. Dann gibt es das extrem rechte Milieu«, erläuterte Teune. »Für die ist das ein gut passendes Puzzlestück in ihrer Erzählung, dass das «Merkelregime» uns alle unterdrückt. Und so fügen sich da sehr unterschiedliche Teile zusammen.«
Auch in München fanden laut Polizei sieben Kundgebungen gegen die Corona-Beschränkungen statt. Eine Versammlung mit Teilnehmern aus dem rechten Spektrum vor dem Rathaus sei aufgelöst worden, dabei seien die Personalien von 36 Demonstranten aufgenommen worden. Bei den Münchner Kundgebungen gab es sieben Festnahmen.
Von der Stuttgarter Polizei hieß es, die Großkundgebung der Initiative Querdenken 711 auf der Cannstatter Wasn mit mehreren tausend Demonstranten sei »größtenteils friedlich« verlaufen. Zur Teilnehmerzahl der Demonstration unter dem Titel »Mahnwache für das Grundgesetz« wollte die Polizei keine Angaben machen.
In Bremen beteiligten sich nach Polizeiangaben insgesamt rund 700 Menschen an verschiedenen Demonstrationen. Die Beamten leiteten mehrere Ermittlungsverfahren gegen Teilnehmer wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz ein.
Die Motivlage von Teilnehmern solcher Veranstaltungen wie samstags vor der Berliner Volksbühne oder am vergangenen Mittwoch vor dem Reichstagsgebäude, bei der ein ARD-Team angegriffen wurde, sei durchmischt, sagt Protestforscher Teune. »Es gibt Leute, die gegenüber den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu dem Virus generell skeptisch sind und sagen, so weitreichende Maßnahmen sind nicht gerechtfertigt«, sagte Teune. »Es ist aber auffällig, dass das nicht sehr konkret ist, sondern es eher um das Gefühl geht, eingeschränkt zu werden.«
Das verbinde sich nahtlos mit der populistischen Erzählung von einer Verschwörung der Eliten gegen die normalen Leute. »Deswegen ist es auch für Akteure von rechts interessant, sich da einzubringen. Es ist jetzt zu beobachten, dass das immer mehr von Neonazis, von der AfD, von den rechten Alternativmedien zum Thema gemacht wird.«
In Dortmund löste die Polizei zwei nicht genehmigte Kundgebungen mit Lautsprecherdurchsagen auf. Unter die Teilnehmer hatten sich nach Erkenntnissen der Polizei Mitglieder der rechtsextremen Szene gemischt. Einer von ihnen schlug demnach gegen die Kamera eines Medienteams und verletzten einen Menschen leicht. Der 23-jährige Verdächtige, der schon zuvor einen Medienvertreter beleidigt habe, sei in Gewahrsam genommen worden.
In Köln zogen laut Polizei mehrere hundert Menschen, darunter auch Kinder, bei einer nicht angemeldeten Demonstrationen durch das Stadtzentrum. Ein Großteil der Teilnehmer habe Unbeteiligte aufgefordert, ohne Mundschutz in Geschäfte zu gehen. Auch in Schwarzenberg, Plauen und weiteren sächsischen Orten fanden Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen statt.Bund und Länder hatten am Mittwoch weitreichende Lockerungen der Corona-Auflagen angekündigt, die je nach Bundesland unterschiedlich umfangreich und schnell in Kraft treten. Das Robert-Koch-Institut meldete am Samstag, dass die Reproduktionszahl bei Corona-Infizierten in Deutschland mittlerweile wieder über eins liegt. Zehn Infizierte stecken demnach im Schnitt elf Menschen an.
Protestforscher Teune geht davon aus, dass das Wachstumspotenzial solcher Veranstaltungen begrenzt ist. »Weil klar wird, dass da sehr kuriose Gestalten unterwegs sind, dass man es zum Teil mit extrem Rechten zu tun hat, die Journalisten angreifen. Das ist nichts, was für eine Massenmobilisierung taugt«, sagte er. »Auch wenn es ein verbreitetes Unwohlsein mit den Corona-Maßnahmen gibt, werden viele sagen, wenn das passiert, dann ist das nicht meine Demonstration.« Dass diese Demonstrationen so herausstechen, liege auch daran, dass es derzeit keine anderen größeren Straßenproteste gebe. »Es ist keine Riesensache, 1000 Leute auf die Straße zu bringen.«
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Das heiße aber nicht, dass es in Zukunft nicht noch größere Proteste im Zusammenhang mit der Corona-Krise geben könnte. »Wir werden noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen haben als mit denen, die jetzt problematisiert werden. Wir werden wahrscheinlich harte Verwerfungen in Folge der Krise haben, die Menschen an existenzielle Grenzen bringen wird«, sagte Teune. »Und das setzt noch einmal ein ganz anderes Potenzial frei für Protest. Aber das muss nicht heißen, dass der Protest von den Gruppen und von den Vorstellungen geprägt sein wird, über die wir heute reden.« Agenturen/nd
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