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Kochherde gegen die Pandemie
Corona bringt die Bedürftigsten Guatemalas in aussichtslose Lage / Hilfsaktion soll das Schlimmste verhindern
Noch sind die offiziellen Corona-Infektionszahlen in den meisten Ländern Afrikas und Lateinamerikas gering im Vergleich zu Europa. Doch viele Epidemiologen erwarten, dass sich die Epizentren der Pandemie bald vom Norden des Globus in den Süden verschieben werden. Die wirtschaftlichen Konsequenzen der Krise eilen dem Virus voraus. In einem Land wie Guatemala in Mittelamerika, wo die Hälfte der Kinder als unterernährt gilt, kündigt sich eine Hungersnot an. Einige Hilfsorganisationen versuchen, dem Schrecken vorzubeugen. Doch Ausgangssperren und Ansteckungsangst machen die Unterstützung schwierig.
Dörfer riegeln sich ab. Zufahrtsstraßen werden mit rostigen Wellblechplatten versperrt. Wachposten lassen niemanden herein. Selbst in Regionen Guatemalas, in denen noch keine einzige Infektion bekannt ist, machen viele Siedlungen dicht. Die Angst kommt zuerst, lange vor dem Virus.
Die Voraussetzungen an der Gesundheitsfront sind katastrophal. In Guatemala gibt es nicht nur die üblichen Risikogruppen wie alte Menschen. Die Hälfte der Bevölkerung hat ein Leben lang mit Unterernährung zu kämpfen. Viele schleppen verschiedene Krankheiten mit sich herum, die nie behandelt wurden. In einigen Landesteilen gibt es keine Krankenhäuser und schon gar kein Beatmungsgerät. Um den nächsten Gesundheitsposten zu erreichen, müssen die Menschen stundenlang zu Fuß laufen oder ihre kranken Angehörigen auf provisorisch gezimmerten Tragen transportieren.
Patriotismus und strenge Auflagen
Präsident Alejandro Giammattei war erst seit drei Monaten im Amt, als die ersten mit Covid-19 erkrankten Personen in Guatemala identifiziert wurden. Seitdem spricht er fast täglich auf mehreren gleichgeschalteten Fernsehkanälen zur Nation. Dabei erlaubt er keine Nachfragen, und auch sonst findet in der Öffentlichkeit nahezu kein kontroverser Austausch mit Wissenschaftler*innen statt. Die schnelle Reaktion der neuen Regierung unter anderem durch das Aufheben der Landeerlaubnis für Flüge aus Europa wird international häufig gelobt. Tatsächlich aber hat sich Giammattei bisher nicht wirklich darum bemüht, den Menschen die Situation zu erklären. Die Rhetorik des Präsidenten ähnelt vielmehr seinen Auftritten bei Wahlveranstaltungen, in deren Zentrum immer er als Person stand. Seine zentrale Botschaft schmückt er gerne mit einer Portion Patriotismus: »Lasst uns jetzt zusammenstehen, dann werden wir diese Krise als geeinte Nation schnell überwinden.«
Anstatt die Beschlüsse der Regierung genau zu erklären, nutzt der Präsident seine Auftritte immer wieder auch, um das angebliche Versagen politischer Gegner zu kritisieren. Er hat eine Maskenpflicht angeordnet und eine Ausgangssperre von 18 bis 4 Uhr. Wer sich nicht an die Vorgaben hält, wird hart bestraft. An manchen Tagen wurden in der Hauptstadt, Guatemala-Stadt, über 1000 Personen festgenommen und in kleine, überfüllte Zellen gesperrt. Die Strafzahlungen und Anwaltskosten übersteigen bei Weitem den durchschnittlichen Monatslohn eines guatemaltekischen Familienvaters.
Staatshilfe nur für Lehrer
Der Kongress hat mehrere Wirtschaftspakete aufgelegt. Die größten Summen sollen in den Straßenbau und die Aufstockung der Lehrergehälter fließen. Von der staatlichen Unterstützung wird die Mehrheit der verarmten Bevölkerung nur wenig abbekommen. Deshalb bemühen sich einige Hilfsorganisationen unter erschwerten Bedingungen, das Schlimmste zu verhindern. Das Welthaus Bielefeld zum Beispiel möchte möglichst viele bedürftige Familien mit sparsamen Kochherden ausrüsten, bevor die Zahl der Infizierten deutlich steigt. Diese Kochherde sparen Geld, weil sie weniger Feuerholz verbrauchen, und sie schützen die Natur, weil weniger Bäume gefällt werden müssen. Zudem haben sie einen in Zeiten des Coronavirus besonders wertvollen Vorteil: Sparsame Kochherde tragen dazu bei, dass Lungen und Atemwege sauber bleiben. So lindern sie die Symptome im Fall einer späteren Erkrankung an Covid-19.
Schutz für Atemwege
Das Kochherd-Projekt begünstigt vorwiegend Haushalte, in denen auf offenen Feuerstellen gekocht wird. Oft sind nicht nur die Küchen voller Rauch, sondern auch die Schlafräume. »Nichts erhöht das Risiko für eine Covid-19-Erkrankung so sehr, wie eine verrußte Lunge«, sagt die guatemaltekische Ärztin Marci de Paz, die sich seit Jahren regelmäßig an Exkursionen von Medizinern in abgelegene Dörfer beteiligt. Das Vermeiden einer Verschmutzung der Lunge hält sie für eine der effektivsten Vorbeugungsmaßnahmen. »Für die Atemwege ist das Einatmen der verrauchten Luft in Hütten mit offenen Feuerstellen schlimmer, als täglich eine Packung Zigaretten zu rauchen.«
Sparsame Kochherde ersetzen die Feuerstellen und leiten den Rauch durch einen Schornstein nach draußen. Menschen, die einige Wochen vor einer möglichen Erkrankung weniger verschmutzte Luft einatmen, werden später nicht so sehr unter den Symptomen leiden. Deshalb wäre es gerade jetzt sinnvoll, weitere Kochherde zu installieren. Das Welthaus Bielefeld hat sich in Guatemala erfolgreich um eine staatliche Sondererlaubnis für das Kochherd-Projekt in Guatemala bemüht. So können die Lkw auch während des Ausnahmezustands über die Grenzen der verschiedenen Provinzen des Landes hinwegfahren. Doch trotz dieses offiziellen Passierscheins gibt es Probleme mit den Wachposten vor Ort. Sie kennen die Lastwagenfahrer und ihre Begleiter nicht und sehen in ihnen vor allem potenzielle Überträger des Virus. Bewaffnet mit Spitzhacken und Macheten verhindern sie die Durchfahrt.
In manchen Fällen gelingt eine Verständigung. Zum Beispiel einigt man sich darauf, dass das Material der Kochherde auf die Pick-up-Trucks von Anwohnern umgeladen wird. Auf diese Weise konnten zumindest einige Gemeinden mit insgesamt 120 Kochherden beliefert werden. Vorerst aber sind weitere Lieferungen zu riskant. Deshalb konzentriert sich das Welthaus Bielefeld jetzt auf eine andere Konsequenz der Krise: Die zunehmende Unterernährung von Kindern.
Vorboten einer Hungersnot
Gerade in den abgelegenen Orten auf dem Land wissen viele Eltern nicht mehr, wie sie etwas zu essen für ihre Kinder beschaffen sollen. Die meisten Einkommensmöglichkeiten im informellen Sektor der Wirtschaft sind verloren gegangen. Seit Wochen sind viele Marktstände geschlossen, an denen zuvor Frauen Gemüse oder Haushaltswaren kaufen und verkaufen konnten. Autowerkstätten, in denen Jugendliche ein wenig Geld verdient haben, bleiben zu. Niemand will sich mehr von Kindern auf der Straße die Schuhe putzen lassen. Arbeitgeber haben ihre Angestellten ohne Lohn nach Hause geschickt.
Doch wer in Guatemala heute keine Arbeit hat, der weiß häufig nicht, was seine Familie morgen essen soll. Es ist sehr wahrscheinlich, dass zum Ende der Krise mehr Menschen an Hunger und durch Krankheiten gestorben sein werden, die durch Hunger verstärkt wurden, als an Covid-19. Deshalb beteiligt sich das Welthaus Bielefeld an einer Initiative der Lehrerinnen des Bildungszentrums Ixmukané in dem Hochlandort Tecpán. Sie unterstützen Familien bedürftiger Schülerinnen und Schüler, denen sie Hausaufgabenzettel, aber auch Kästen voller Nahrungsmittel bringen. Damit helfen sie insbesondere alleinerziehenden Müttern, denen es oft schon in normalen Zeiten schwerfällt, ihre Kinder ausreichend zu ernähren.
Die Direktorin des Zentrums Ixmukané, Alba Velásquez, berichtet von der ersten Nahrungsmittelübergabe: »Für uns war es eine erschreckende Erfahrung, unsere Schüler und ihre Familien in diesen Umständen zu erleben. Einige haben unseren Besuch genutzt, um psychologische Last abzuladen. Sie fürchten sich vor dem, was kommt. Viele weinten, als wir ihnen die Pakete übergeben haben. Sie hatten buchstäblich nichts mehr zu essen. Uns Lehrerinnen blieb nichts anderes übrig, als unseren Schreck runterzuschlucken. Wir müssen den Menschen ja Mut machen.«
Eigentlich will das Welthaus Bielefeld in Guatemala nicht Nothilfe leisten, sondern benachteiligte Bevölkerungsgruppen durch nachhaltige Projekte langfristig stärken. Dafür ist die Installation sparsamer Kochherde ein besonders effizientes Beispiel. Doch andererseits: Was könnte nachhaltiger sein, als in Krisenzeiten die Ernährung von Schulkindern zu sichern, die von Hunger bedroht sind?
Unser Autor berichtet seit 30 Jahren aus Mittelamerika. Zudem betreut er ehrenamtlich verschiedene Entwicklungsprojekte in Guatemala, unter anderem für das Welthaus Bielefeld. Spendenkonto: Welthaus Bielefeld, Sparkasse Bielefeld, IBAN DE91 4805 0161 0000 0908 94, Verwendungszweck: »Guatemala, Covid-19«.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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