Warum ausgerechnet diese Industrie?

Stephan Krull über den letzten Autogipfel und die noch folgenden im Kanzleramt

  • Stephan Krull
  • Lesedauer: 4 Min.

Dieser Tage fand der dritte »Autogipfel« 2020 im Kanzleramt statt. Ausgerechnet Volkswagen, Daimler und BMW fordern von der Bundesregierung vielfältige Unterstützung: eine »Impulsprämie« für Neuwagenkäufe aller Art, »Abwrackprämie« für 20 Millionen Autos sowie eine höhere Prämie für Elektroautos – insgesamt stehen 20 Milliarden Euro im Raum. Für Ökonomen ist das verbranntes Geld, das nur zu vorgezogenen Käufen führt.

Umweltverbände kritisieren die Fixierung auf den Autoverkehr. Nicht nur Vertreter anderer Branchen fragen, warum ausgerechnet die Autoindustrie. Am 5. Mai wurde zunächst nichts entschieden, sondern eine Arbeitsgruppe von Regierung, Autoindustrie und IG Metall eingesetzt. Widerspruch ist nicht gewünscht, Umwelt- und Verkehrsverbände werden deshalb nicht eingeladen. Aber damit ist der Widerspruch nicht weg: Die Mehrheit der Bundesbürger lehnt die Kaufprämie für Autos ab.

Warum ausgerechnet die Autoindustrie, die bereits nach der letzten Krise als Dank für die Fünf-Milliarden-Abwrackprämie großflächig betrogen hat – mit falschen Abgaswerten, Preisabsprachen und Kartellbildung? Warum ausgerechnet eine Industrie, die in den zurückliegenden Jahren riesige Profite eingefahren, Milliarden an die Aktionäre ausgeschüttet hat? Großaktionäre sind die Familien Porsche, Piëch, Quandt und Klatten, Staaten wie Kuweit und Katar und Fonds wie Blackrock. Volkswagen, Daimler und BMW sitzen auf Gewinnrücklagen von 180 Milliarden Euro. Allein im ersten Quartal hat der Volkswagen-Konzern diese freiwillige Gewinnrücklage um vier Milliarden Euro erhöht.

Warum ausgerechnet die Industrie, die zuletzt viele Millionen Euro Kurzarbeitergeld aus der Arbeitslosenversicherung kassiert hat? Daimler hat jetzt eine Urlaubssperre verhängt, weil an Urlaubstagen ein Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht – und aus Gründen der Liquidität will man auf das Geld der Arbeitslosenversicherung nicht verzichten.

Warum ausgerechnet diese Industrie? Die Autoindustrie ist eine der aggressivsten Lobbygruppen hierzulande, die Drehtüreffekte zwischen Politik und Industrie sind nirgendwo stärker: Von der Regierung geht’s in den VW-Konzern (Thomas Steg, SPD) oder zu Daimler (Eckart von Klaeden, CDU) oder in den Verband der Autoindustrie (Hildegard Müller, CDU, vormals Staatsministerin im Bundeskanzleramt).

Umwelt- und Verkehrsverbände, Lobbycontrol, die Linke, einige Gewerkschaften, selbst Betriebsräte aus der Zulieferindustrie rufen dazu auf, keine Subventionen zu gewähren – das Geld wird in der sozialen Infrastruktur, im Gesundheitswesen und in anderen Branchen dringend benötigt. Beschäftigung muss durch Strukturwandel statt »Konsumstrohfeuer« gesichert werden – so ein Aufruf von Betriebsräten der Firmen Schaeffler und ZF. IG Metall und BUND haben sich gemeinsam »für einen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft als nachhaltigen Weg aus der Krise« ausgesprochen. IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban sagte am 30. April im »nd«: »Wir müssen einen ökologischen Mehrwert, einen ökologischen Zusatznutzen als Bedingung für das Gewähren öffentlicher Mittel definieren. Das gilt für die Stahlindustrie wie für die Automobilindustrie. Kapitalistische Märkte versagen angesichts der Umweltkrise, hier braucht es politische Interventionen.«

Nun ist Atempause bis zum nächsten Gipfel Anfang Juni. Die Unternehmer nutzen sie, um »der Politik« den schwarzen Peter für lange geplanten Personalabbau und den Abbau von Ausbildungsplätzen in die Schuhe zu schieben. Die Pause sollte besser genutzt werden, die Arbeitszeitverkürzung wieder als Alternative zu Erwerbslosigkeit auf die Tagesordnung zu setzen und der Mehrheitsmeinung der Menschen im Land Geltung zu verschaffen: kein Steuergeld für Spritschlucker, keine Vorfahrt für die Autolobby!

Die Betriebe des öffentlichen Personenverkehrs haben Einnahmeausfälle von bis zu 90 Prozent und benötigen tatsächlich Unterstützung, um den wirklich systemrelevanten Betrieb von Bus und Bahn aufrecht zu erhalten, das Personal zu bezahlen. Statt einer Kaufprämie für Fortbewegungsmittel von gestern könnte es auch eine Mobilitätsprämie geben, die die sanften Mobilitätsformen unterstützt. Die Umsetzung könnte beraten werden in regionalen und kommunalen Mobilitätsräten, in denen alle Beteiligten gleichberechtigt am Tisch sitzen – statt in Klüngelrunden im Kanzleramt.

Stephan Krull war Betriebsrat bei VW, ist Mitglied der IG Metall und der Linkspartei.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!