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Die Volksgemeinschaft lässt grüßen
Die ostdeutsche Szene um Uwe Tellkamp, Monika Maron und einige »Bürgerrechtler« ist Mitinitiator eines Rechtsrucks
Die AfD ist längst keine Partei mehr, auf deren baldigen Niedergang man Wetten abschließen sollte. Sie hat als Gesinnungspartei mit ihrem völkisch-nationalistischen Programm eine feste Basis in allen sozialen Schichten der Bevölkerung gewonnen. Dabei spielen die ostdeutschen Bundesländer eine besondere Rolle. Zwar wohnt die Mehrheit der Wähler, Funktionäre und Finanziers der AfD im Westen - Letztere sogar vorzugsweise in der Schweiz. Doch nur in Ostdeutschland gelingt es der AfD, bis zu einem Drittel der Wähler zu mobilisieren. Aus linker Sicht besonders schmerzlich ist dabei ihr Erfolg bei der Arbeiterschaft. Nur im Osten kommt die AfD bislang tatsächlich in die Nähe der Macht. Offenbar gelingt es der Partei bei vielen, sich als Vertreterin einer »ostdeutschen Identität« und der ostdeutschen Interessen auszugeben.
Der Erfolg der AfD im Osten wäre nicht denkbar ohne eine ganze Riege von Intellektuellen und Künstlern, die dem Rechtsruck bildungsbürgerlichen Ausdruck verleihen. Wer sich einen Überblick über die Szene verschaffen will, muss nur einen Blick in das Programm werfen, mit dem in Dresden das Kulturhaus Loschwitz seine Besucher beglückt. Susanne Dagen und Michael Bormann haben ihre Buchhandlung in den vergangenen Jahren in ein Begegnungszentrum der rechtsintellektuellen Szene verwandelt. Unter den Gästen findet man den sächsischen CDU-Kommunistenfresser Arnold Vaatz, die ehemaligen »Bürgerrechtlerinnen« Vera Lengsfeld und Angelika Barbe, den Psychiater und sich als »gesellschaftskritisch« verstehenden Bestsellerautor Hans-Joachim Maaz, die prominenten Schriftsteller Uwe Tellkamp und Monika Maron sowie den Feuilletonisten Sebastian Henning, der als Gesprächspartner für Björn Höckes Bekenntnisbuch »Nie zweimal in denselben Fluss« fungierte.
Keinem Beobachter kann entgehen, wie sehr diese rechtsintellektuelle Clique durch Menschen geprägt wird, die man dem Umkreis der späten DDR-Opposition zurechnen kann. Ohne Mühe lassen sich gewiss auch Gegenbeispiele aus demselben Milieu nennen. Dennoch stellt sich die Frage, welche Affinität hinter dieser merkwürdigen Beziehung stecken könnte. Die Antwort auf diese Frage dürfte zum Teil auch den großen Erfolg der AfD gerade unter Ostdeutschen mittleren Alters erklären. Die Homestorys, die in der letzten Zeit über rechte Dunkelmänner in der deutschen Presse massenhaft gedruckt wurden, tragen zur Klärung der Frage allerdings kaum etwas bei. Man muss sich schon die Mühe machen, nicht nur in die Wohnzimmer und Ziegenställe, sondern auch in die Schriften der Protagonisten zu schauen.
Sofort ins Auge springt eine geradezu unheimliche Identität der Empfindung. Alle Rechtsintellektuellen fühlen sich als Außenseiter vom »Mainstream« verfolgt, missverstanden und gedemütigt. Was bei Thilo Sarrazin vor allem Masche der Selbstvermarktung ist, scheint bei den ostdeutschen Neodissidenten echtes Gefühl der Kränkung. Alle sind überzeugt davon, ihre eigene Position gar nicht verändert zu haben, nun aber von »Agenten der politischen Korrektheit« in eine »rechte Ecke« geschoben zu werden. »Bin ich vielleicht verrückt geworden?«, fragt Monika Maron rhetorisch in einem Essay, und Hans-Joachim Maaz klagt in seinem jüngsten Buch »Das gespaltene Land«: »Meine ›Weltanschauung‹ hat sich scheinbar gedreht, ohne dass ich mich bewusst oder für mich selbst erkennbar verändert hätte. Die Welt hat sich offenbar gedreht, so dass ich mich in einer anderen Position wiederfinde.«
Es geht wieder zu wie in der DDR - oder zumindest so ähnlich. Auch diesen Eindruck teilt dieses sich für eine neue Opposition haltende Milieu. Bespitzelung, Indoktrination und Zensur seien zwar vielleicht nicht mehr staatlich organisiert, würden aber nun - so etwa Maaz - durch »die sogenannte Zivilgesellschaft« und die »tendenziöse Berichterstattung aus den öffentlich-rechtlichen Anstalten und den führenden Printmedien« bewerkstelligt. Uwe Tellkamp moderierte im Kulturhaus Loschwitz eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel »70 Jahre DDR«. »Meine Meinung ist geduldet, aber erwünscht ist sie nicht«, klagte er bei einer Diskussion mit dem Kollegen Durs Grünbein im Dresdner Kulturpalast im Jahr 2018. Und auch Monika Maron beschwerte sich in einem Interview, ihre Meinung werde »nicht akzeptiert« - aus ihrer Sicht offenbar ein klares Zeichen für fehlende Meinungsfreiheit.
Ostdeutsche, die in der DDR tatsächlich Opfer von Überwachung und Unterdrückung waren, fallen in eine vertraute Rolle zurück, weil sie der Härte des pluralistischen Streits nicht gewachsen sind und sich nicht mehr gebührend gehört und gepriesen wähnen. Sie halten sich schadlos, indem sie sich zur Stimme der vermeintlich ungehörten ostdeutschen Bevölkerung aufwerfen.
Aber die Gleichsetzung von DDR und BRD verweist auch auf den inhaltlichen Kern der geteilten Weltanschauung. Allesamt lehnen diese Intellektuellen nicht nur die DDR, sondern jede Form des Sozialismus ab, doch auch im neuen liberalen System fühlen sie sich fremd. Damit aber bewegen sie sich auf dem Feld, aus dem vor hundert Jahren die verschiedenen Spielarten des nationalistischen Autoritarismus sprossen, der für die Verheerungen der Moderne nicht die kapitalistische Ordnung, sondern die Aufklärung, den Internationalismus und die Demokratie verantwortlich machte. Der »dritte Weg«, von dem in der Wendezeit viel geträumt wurde, ist heute der Name einer Neonazi-Partei. Und auch die alte faschistische Formel »weder rechts noch links« gehört wieder zur Selbstbeschreibung der Nationalisten von heute.
Hans-Joachim Maaz stieß in der Wendezeit mit seiner doppelten Kritik am autoritären System der DDR wie an der Konsumgesellschaft des Westens durchaus auch in sozial und ökologisch bewegten Kreisen auf Sympathie. Seine Theorie war allerdings schon damals nicht nur radikal antimarxistisch, sondern trug auch illiberale Züge. Maaz erklärt die Psyche zur »Basis«, die ökonomischen und politischen Verhältnisse aber zum »Überbau« der Gesellschaft. Die Übel der Welt werden einem »narzisstisch-süchtigen« Lebensstil zugeschrieben - eine Methode, sich »kapitalismuskritisch« zu geben und doch die bestehende Ordnung nicht anzutasten. Statt die Besitz- und Produktionsverhältnisse zu kritisieren, geißelt Maaz nur ihre angeblichen Folgen: von der »Konsumsucht« bis zum »Wachstumswahn«. Seine »Utopie«: Auf dem Weg einer »psychischen Revolution« der Individuen soll ein »natürliches« Leben wiederhergestellt werden, aus dem sodann der »Konsens« einer von Spaltungen befreiten, befriedeten Nation erblühen könne. Die Volksgemeinschaft lässt grüßen.
Maaz ist wohl das deutlichste Beispiel für den Versuch, den Ostdeutschen weiszumachen, der Kapitalismus ließe sich auf nationalem Weg zur »menschlichen Marktwirtschaft« domestizieren. Aber auch die bekennende FDP-Wählerin Maron klagt über ein »Diktat der globalen Wirtschaft«, verdammt »degenerierte, unfähige Parteien« und erklärt die »illegal Eingewanderten« zum entscheidenden Hindernis der »sozialen Gerechtigkeit«. Sogar der Villenbewohner Tellkamp hat urplötzlich seine Sympathie für die »kleinen Leute« entdeckt, seit er sie gegen »Eliten« und Migranten ausspielen kann. Die Verwandtschaft all dieser Äußerungen mit dem »solidarischen Patriotismus«, den Björn Höcke programmatisch in der AfD durchgesetzt hat, ist nicht zu verkennen, auch wenn die Intellektuellen aus geschmacklichen und hygienischen Gründen gegenwärtig noch etwas Abstand zu der rechtsextremen Partei wahren.
Erfolgreich ist diese Strategie der völkischen Solidarität, weil sie den antikapitalistischen Affekt, der im Osten durchaus noch verbreitet ist, auf nationale Bahnen leitet, indem sie die Schwierigkeiten ausnutzt, die manche Ostdeutsche mit kultureller, religiöser und sexueller Vielfalt haben. Die ostdeutschen Rechtsintellektuellen verleihen solchem Ressentiment im »Volk« so glaubwürdig Ausdruck, weil sie es selbst fühlen.
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