- Sport
- Olympia-Boykott 1980
Am Ende fehlten mehr als 60 Länder
Vor genau 40 Jahren beschloss das NOK der BRD, die Olympischen Sommerspiele in Moskau 1980 zu boykottieren
Es ist die Crux der vermeintlichen Universalität der Olympischen Spiele: Der einende Gedanke des Sports wirkt nicht immer und überall, im Gegenteil. Quasi von Beginn an wurde die Weltbühne Olympia benutzt, um politische, religiöse oder nationale Interessen durchzusetzen. Angefangen 1906 vom irischen Weitsprung-Silbermedaillengewinner Peter O’Connor, der einen Fahnenmast erklomm und die irische Flagge schwenkte statt der britischen, über das jahrzehntelange Fernbleiben der Sowjetunion (1924 bis 1952) oder Chinas (1958 bis 1980) bis hin zum bislang größten Boykott der Olympischen Geschichte: der Boykott der Olympischen Sommerspiele 1980, als im Juli nur 80 Nationale Olympische Komitees (NOK) ihre Mannschaften nach Moskau entsandten. Die DDR war dabei, die BRD nicht.
US-Außenminister Cyrus Vance hatte bereits vor Beginn der Winterspiele 1980 am 9. Februar bei der Eröffnung der 82. Session des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) im heimischen Lake Placid gefordert, der Sowjetunion wegen ihres Einmarsches in Afghanistan (Dezember 1979) die Spiele zu entziehen. Nachdem das IOC dieses Ansinnen einstimmig abgelehnt hatte, erklärte Vance drei Wochen später den »definitiven« Boykott, dem sich das allein entscheidungsberechtigte NOK der USA im April auch formal anschloss.
Die US-Regierung unter Präsident Jimmy Carter hatte zuvor schon 50 Millionen Dollar für die Ausrichtung von Ersatzspielen versprochen und zudem mit steuerlichen Sanktionen gedroht. Auch ein Embargo über Olympiagüter wie Coca-Cola sowie Kamera- und Fernsehelektronik war bereits im März verhängt worden. Carter steckte mitten im Präsidentschaftswahlkampf, sein Werte waren im Keller. Er rief nun die US-Verbündeten auf, dem Boykott zu folgen.
Verwirrung im Westen
In Westeuropa indes wurde nach der ersten Verwirrung und dem Schock heftig gestritten. Die Politiker empfahlen vielerorts, keine Sportler zu den Spielen zu entsenden, die Funktionäre der westeuropäischen NOK indes taten sich schwerer. In Rom einigten sie sich schließlich auf allerlei symbolische Maßnahmen, durch die man sich zwar mit dem US-Ansinnen solidarisch zeigen, den Sportlern aber dennoch einen Start erlauben konnte: keine Teilnahme »geschlossener Gruppen« bei der Eröffnungsfeier, Olympiafahne statt Nationalflagge, olympische statt Nationalhymne, Bezeichnung des NOK statt des Ländernamens auf der Teamkleidung.
Viele Länder folgten zudem dem Boykottmodus der Schweiz: Die Eidgenossen ließen jeden Sportfachverband selbst entscheiden, ob er seine Athleten in die Hauptstadt der UdSSR entsendet oder nicht.
59:40 Stimmen in der BRD
In der DDR war man wie im gesamten Ostblock natürlich empört, unter BRD-Politkern indes herrschte, zumindest offiziell, kein Zweifel: Wie die britische Thatcher-Regierung empfahl auch die Bundesregierung unter Helmut Schmidt (SPD) dem NOK ein Fernbleiben von den ersten Spielen in einem sozialistischen Staat. Im Bundestag stimmten 446 Abgeordnete der Empfehlung zu, acht waren dagegen, neun enthielten sich.
Doch im NOK der BRD war man sich weit weniger einig. Am 15. Mai 1980 musste auf der Mitgliederversammlung in Düsseldorf entschieden werden: Der damalige NOK-Präsident Willy Daume war ein flammender Teilnahmebefürworter, während Willy Weyer, FDP-Politiker und Präsident des Deutschen Sport-Bundes (Dachverband der Sportfachverbände und Landessportbünde), für einen Boykott argumentierte. Ein Riss führte auch durch die bundesdeutsche Sportwelt. Segler, Fechter und Reiter beispielsweise waren pro Boykott, ebenso die Präsidenten etlicher Wintersportfachverbände, deren Athleten ihre Olympiateilnahme in Lake Placid bereits hinter sich hatten. Am Ende war die Entscheidung dennoch klar: 59 Stimmen für einen Boykott, nur 40 dagegen. Die BRD sollte bei Sommerolympia 1980 fehlen - wie viele westliche Demokratien und etliche islamische Länder. 42 NOK sprachen offiziell einen Boykott aus, 24 Komitees gaben an, aus finanziellen bzw. sportlichen Gründen zu verzichten oder antworteten nicht auf die Einladung zu den Spielen.
Samaranch und das Big Business
Die Abstimmung im NOK der Bundesrepublik hatte Folgen für die Olympische Bewegung. Willi Daume hatte zuvor als einer der aussichtsreichen Kandidaten auf die Nachfolge des scheidenden irischen IOC-Präsidenten Lord Killanin gegolten - trotz seiner Nazivergangenheit. Doch als Präsident eines Boykott-NOK unterlag Daume bei der Abstimmung in Moskau drei Tage vor der Eröffnungsfeier dem Spanier und Franco-Anhänger Juan Antonio Samaranch, dessen Komitee 155 Athleten entsandt hatte.
Trotz guter Beziehungen zum Kreml vermochte Samaranch nicht, den Folgeboykott von 19 Ländern bei den Sommerspielen von Los Angeles zu verhindern. Seine Agenda aber setzte er durch: Der Neoliberalismus hielt Einzug bei Olympia, das IOC wurde reich. Der Amateurstatus wurde 1981 abgeschafft. Mit TV-Verträgen und neuem Sponsoringsystem scheffelte das Komitee Milliarden. Sport wurde Big Business - Korruption und noch mehr Doping inklusive.
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