Das Beharren auf der Einzeltäterthese

BKA-Zeugen sehen lediglich Anis Amri - und referieren im Bundestags-Untersuchungsausschuss stundenlang über seine zahlreichen Kontakte

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 3 Min.

Es bedarf viel Spitzfindigkeit, um mit der Aussage »Anis Amri war ein Einzeltäter« noch sachlich richtig zu liegen. Lächerlich macht man sich damit trotzdem. In der vergangenen Sitzungswoche versuchten sich weitere Zeug*innen des Bundeskriminalamtes (BKA) vor dem Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss im Bundestag in dieser Disziplin.

Gelassen nehmen die Parlamentarier*innen Eingangsstatements hin, in denen die Zeugen ihre Sicht der Dinge ausführlich schildern dürfen. Detail um Detail soll belegen, dass man eben doch alles getan haben will, aber die Tat eines »fanatisierten Einzeltäters« letztlich nicht zu verhindern war. Die üppige Fragezeit der Regierungsfraktionen stützt diese Darstellung und gerät nur selten kritisch.

FDP, Grüne und Linke nutzen ihre knappe Befragungszeit und arbeiten Widersprüche der Ermittlungsarbeit heraus. Bilel ben Ammar, der mindestens als Mitwisser und mutmaßlich sogar als Mittäter gilt, wurde vom BKA nur nachlässig vernommen. Kurz nach der Tat war er für zehn Tage verschwunden. »Meiner Meinung nach haben die Kollegen in der Vernehmung alles herausgeholt«, verteidigt Zeuge A. M., Erster Kriminalhauptkommissar und Ermittler im BKA, das Handeln seiner Behörde. Benjamin Strasser (FDP) sieht das anders: »Die naheliegendste Frage hat man Bilel ben Ammar nicht gestellt: Wo waren sie in den letzten zehn Tagen?« Ermittler A. M. druckst herum, kann sich nicht erklären, wie so etwas passieren konnte. Vielleicht wurde es ja auch einfach nur nicht notiert? Doch der Mangel an Ermittlerambitionen geht schon aus der Länge der Vernehmungen hervor. Ben Ammar wurde an zwei Tagen für jeweils nur drei Stunden vernommen.

Nahezu alle Zeug*innen des BKA verbrachten zwischen drei, sechs und auch mehr Stunden vor dem Ausschuss. Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz und die Grünen-Obfrau im Ausschuss, Irene Mihalic, konfrontieren die BKA-Zeugen mit immer neuen Aspekten, die zeigen, was die Ermittler nicht beachteten. So fand sich nun ein Video, das den Mann zeigt, der mit Anis Amri kurz vor dem Anschlag in der Fussilet-Moschee zusammentraf. Ermittelt und befragt wurde dieser wichtige Zeuge durch das BKA nicht. »Diese Person war wahrscheinlich die letzte, die Amri vor dem Anschlag gesehen und vielleicht sogar mit ihm gesprochen hat«, kritisiert Mihalic. »Es ist überhaupt nicht erklärlich und ein schweres Versäumnis, dass bis heute noch nicht einmal versucht wurde, diese Person zu identifizieren und zu befragen.«

Das widersprüchliche Verhalten Amris, der einerseits hochgradig klandestin agierte, um seine Kontakte zu schützen, andererseits in den Monaten vor dem Anschlag ein Handy mit sich führte, das nahezu lückenlos dokumentierte, wo er sich in Berlin-Moabit und Wedding aufhielt, beschäftigte offenbar niemanden im BKA. Das Handy fand man in der Stoßstange des Lastwagens. Wer es dort ablegte, wurde vom BKA nicht untersucht.

Am Ende seiner Aussage reduziert Ermittler A. M. die »Einzeltäterthese« darauf, dass Amri wohl zum Zeitpunkt der Tat allein gehandelt habe. Ein Zeitraum, der durch die Ermittlungsarbeit im Bundestagsausschuss mittlerweile auf weniger als eine Stunde zusammengeschrumpft ist. Drum herum finden sich Personen, auf deren Handys Bilder vom Anschlagsort waren, die eine Tatvorbereitung vermuten lassen: der Kontaktmann in der Fussilet-Moschee und Moadh Tounsi. Noch im Lastwagen, mit dem Amri auf dem Breitscheidplatz kurz darauf elf Menschen tötete, telefonierte er mit Tounsi, der als Mittelsmann zum Islamischen Staat gilt.

Am Tag nach der Sitzung wurden neue Bezüge bekannt. Die italienische Polizei verhaftete einen algerischen Passfälscher, der Amri mit Papieren versorgt hatte.

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