- Politik
- Fleischindustrie
Werkverträge abschaffen alleine reicht nicht
Damit sich wirklich etwas in der Fleischindustrie bewegt, braucht es auch dauerhaften öffentlich Druck, meint Elmar Wigand
Dass Krisen auch Chancen bieten, ist ein ödes Mantra von Neoliberalen und Selbst-Optimierern. Leider vergrößern sich die Chancen in Krisenzeiten meist nur für die Mächtigen und Besitzenden. Aber manchmal gibt es unverhoffte Gelegenheiten:
Jetzt soll es nach einem Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den Werkverträgen an den Kragen gehen. Auch der NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) unterstützt eine harte Gangart gegen Sub-Unternehmer, die Arbeitsmigranten zu Tausenden in Schlachthäuser und Sammelunterkünfte lotsen.
Es ist gut, dass die Arbeitsminister hier aufräumen wollen! Die Corona-Pandemie hat die erbärmlichen Zustände in der deutschen Fleischindustrie wie unter einem Mikroskop sichtbar gemacht. Weil sich die Bürger im Kreis Coesfeld eine kollektive Ausgangssperre einfingen - aufgrund einer Infektionswelle bei Westfleisch -, empörten sie sich auf einmal über katastrophale Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse von Migranten. Dass in dieser plötzlichen Empörung eine gewisse Heuchelei liegt, sollten wir derweil großzügig behandeln. Weil das Interesse für Werkverträge eine unverhoffte Chance ist.
Zwar sollte das Ausmisten nicht bei der Fleischindustrie halt machen, aber irgendwo muss man anfangen und da ist es klug, sich den größten und übelsten Sektor heraus zu greifen. Aber wir dürfen nicht vergessen: In der Landwirtschaft, dem Reinigungsgewerbe, dem Bau und vielen Zulieferbetrieben der Autoindustrie ist es nicht viel besser. Osteuropäer*innen sind überall dort anzutreffen, wo es industrielle Drecksarbeit zu machen gibt. In diesen Branchen sind durch EU-Osterweiterung und Hartz-Gesetze riesige Bereiche ohne Betriebsräte und Tarifverträge, ohne behördliche Kontrollen entstanden. Hier grassiert ein Rechtsnihilismus, von dem die meisten braven Bürger nur eine leise Ahnung haben (wollen).
Es ist darüber hinaus sogar sehr gut, dass Heil und Laumann nicht nur von einzelnen »schwarzen Schafen« und »Missbrauch von Werkverträgen« reden - oder wie manche NGOs »WerkFAIRträge« fordern - , sondern die Werkverträge generell abschaffen wollen. Denn rund um das Konstrukt Werkvertrag wuchert ein sozialschädlicher und moralisch verkommener Dschungel aus mafiösen Sub-Unternehmern und betrügerischen Generalunternehmern.
Leider haben die wenigsten begriffen, dass es sich bei den so genannten Werkverträgen in Wirklichkeit um ein riesiges Betrugsmanöver handelt. Tatsächlich hätte der Staat den Sumpf auch ohne Gesetze und Sonderregeln längst austrocknen können. Die angeblichen »On-Site-Werkverträge« sind bei Licht betrachtet nur juristisch verbrämte illegale Arbeitnehmerlassung. Weder Clemens Tönnies, der größte Alligator im Schlachthof-Sumpf, noch seine Subunternehmer geben sich große Mühe, diese Tatsache zu kaschieren. Hinzu kommt der Straftatbestand des systematischen Mietwuchers.
Hier wird das wahre Problem deutlich: Ermittlung, Strafverfolgung und Kontrollen finden nicht statt. Staatsanwaltschaften bleiben untätig, Arbeitsschutz-Abteilungen der Bezirksregierungen, Gewerbeaufsicht und Zoll sind unterbesetzt. Solange aber einzelne Kriminelle nicht empfindliche Strafen ereilen, ist keine grundlegende Änderung zu erwarten.
Damit kommen wir zum zweiten Problem: mangelnde Öffentlichkeit. Das Elend der Wanderarbeiter, Leiharbeiter, Werkvertragsarbeiter und befristeten Niedriglöhner interessiert nur manchmal. Jeder weiß es oder könnte es wissen, niemand redet drüber und guckt genauer hin. Aber nur durch dauerhaften öffentlich Druck wird sich wirklich etwas bewegen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.