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Neue Hebammen braucht die Stadt
Immer mehr Menschen wollen den Beruf der «weisen Frau» lernen
Von einer schwangeren Frau zu verlangen, sie solle einen Mundschutz tragen, ist wissenschaftlich unzulässig«, sagt Katja Salatzki nach den Erfahrungen aus den letzten Wochen mit den Eindämmungsverordnungen gegen die Ausbreitung des Coronavirus. »Ich kann mich als Hebamme mit FFP-Maske und Schutzkittel schützen, aber eine Frau, die entbindet, braucht Sauerstoff, sonst wird auch das Kind unterversorgt«, erklärt die erfahrene Hebamme. Es sei in der ersten Phase der Coronakrise ein »Riesenaufwand« gewesen, die vertrauensbildenden Kurse und Angebote auf Online-Präsenz umzustellen, berichtet sie. Sehr schnell habe man auf die jeweils neuen Bestimmungen reagieren müssen, die nötige Schutzkleidung zum Glück mit Hilfe der Hauptstadtkliniken zusammenbekommen.
Seit 32 Jahren arbeitet Salatzki in ihrem Beruf. Mit 16 begann die heute 48-Jährige in Ostberlin ihr Fachschulstudium, wie es damals hieß: »Ich war sehr jung, stand selbst noch mitten in der Phase sexueller Orientierung«, erinnert sich die Hebamme. Als sie mit 19 ihren Abschluss hat, beginnt sie im Krankenhaus zu arbeiten, steht zehn Jahre im Drei-Schicht-System im Kreißsaal, unter anderem im Vivantes-Klinikum Neukölln. In dieser Zeit bekommt Katja Salatzki selbst zwei Kinder. Jeweils nach vier Wochen fängt sie wieder an zu arbeiten - »Erziehungsgeld gab es damals nicht«. Dann wechselt sie in ein Geburtshaus, wo Frauen außerklinisch, nur mit Hilfe von Hebammen, entbinden können. Nach einigen Jahren entschließt sie sich, selbst eines zu gründen und eröffnet - kurz nach der Geburt des dritten Kindes - das Geburtshaus Treptow: »Wir waren nur zu zweit und fingen an mit zwei Geburten im ersten Jahr.«
Jetzt arbeiten zwölf Hebammen in dem Haus, das am 10. Juni seinen 15. Geburtstag feiert und im deutschsprachigen Raum die meisten Geburten zu verzeichnen hat: 350 pro Jahr. »Die Wartelisten sind lang, wir schaffen kaum, alles abzuarbeiten«, fasst Katja Salatzki den Arbeitsalltag auf 500 Quadratmetern in der alten Villa am Treptower Park mit drei Geburts- und mehreren Kursräumen zusammen.
»Man kann sich in dem Beruf entwickeln«, ist sich Salatzki Berufskollegin Isabelle Kunze sicher. Auch Kunze hat über zwölf Jahre im Kreißsaal bei Vivantes gearbeitet, einige davon zusammen mit Katja Salatzki. »In der Klinik ist es hart, da gibt es auch viel Leid«, sagt die resolute Spreewälderin, die ebenfalls für das Hebammenstudium nach Berlin gekommen ist. »Und das Drei-Schicht-System machst du solange mit, bis du selbst Kinder hast«, lacht sie. 2010 hat Kunze sich zusammen mit zwei ehemaligen Schüler*innen aus dem Krankenhaus selbstständig gemacht und die »Kiezhebammen« gegründet, betreut seitdem werdende Mütter in Neukölln, Kreuzberg und Treptow.
Beide, Salatzki und Kunze, strahlen Verlässlichkeit und Zugewandtheit aus, und große Empathiefähigkeit - die eine bedachter, die andere mit fröhlicher Unruhe. Beide sind der Ansicht, dass es vor allem die Praxis sei, die das Erfahrungswissen der früher häufig »weise Frauen« genannten Geburtshelferinnen ausmache. Sie freuen sich, dass sich immer mehr Frauen in Berlin zu Hebammen ausbilden lassen. Aktuell sind es 283 an den drei Hebammenschulen und im Dualen Studium, 49 mehr als im Jahr zuvor, wie das Statistische Landesamt im Mai mitteilte. Allerdings sei die anschließende Verweildauer im Beruf deutlich geringer, erklärt der Berliner Hebammenverband auf Anfrage. »Die Arbeitsbedingungen sind immer noch sehr schlecht«, sagt die Vorsitzende Ann-Jule Wowretzko.
Bislang fand die Ausbildung immer in Kliniken mit geburtshilflicher Abteilung statt. Innerhalb von drei Jahren mussten 1600 Theorie- und 3000 Praxisstunden absolviert werden. 2019 haben Bundestag und Bundesrat die Hebammenausbildung aufgewertet. Zukünftig besteht sie aus einem drei- bis vierjährigen Bachelor-Studium mit hohem Praxisanteil und einer staatlichen Abschlussprüfung. Deshalb stehen nun auch in der Hauptstadt Veränderungen an: Die letzten Ausbildungsjahrgänge von Charité und Vivantes starten in diesem Jahr, die Charité bereitet einen Hebammenstudiengang ab 2021 vor.
Den Weg gewiesen hatte die Evangelische Hochschule Berlin (EHB). Seit 2013 gibt es hier den Studiengang Hebammenkunde, in dem zur Zeit knapp 50 Studierende eingeschrieben sind. 60 sollen es einmal werden, erklärt Melita Grieshop. Die Professorin für Hebammenwissenschaft und Leiterin des Studiengangs gehört zu den absoluten Verfechter*innen einer Akademisierung des Berufs. »Wir mussten dringend die Ausbildungskapazitäten erhöhen, das hat der Runde Tisch Geburtshilfe klargestellt«, sagt sie eindringlich. Der Mangel an Hebammen vor allem in Kliniken liege auch an der unzureichenden Attraktivität der Arbeit, erklärt Grieshop. »Das sich der Gesetzgeber mit dem Hebammengesetz eindeutig zu dieser eigenständigen Arbeitsform bekannt hat, finde ich ein großartiges Zeichen«, erklärt die energische Wissenschaftlerin. Das Studium entspricht mit den praktischen Studienphasen einer Vollzeitbeschäftigung und habe eine hohe Prüfungslast. Die Neuerung stärke die Anerkennung, auch wenn sich dies noch nicht im Gehalt widerspiegele. »Aber das ist ja in allen Sorgeberufen so, in denen Frauen den größten Anteil stellen und die man neuerdings als systemrelevant erkannt hat«, so Grieshop.
»Das Studium ist super, aber wir müssen dafür auch ein Jahr länger auf die dringend benötigten jungen Kolleginnen warten«, beschreibt Katja Salatzki ihre Perspektive auf die Akademisierung. »Das ist eine rundum wissenschaftliche Ausbildung, die können Studien lesen«, meint auch Isabelle Kunz. Aber allein, dass die zukünftige »Examensgeburt« nicht mehr am Menschen stattfinden soll, sondern mit Schauspielerinnen, lasse sie zweifeln, ob die Qualifikation ausreiche für die praktische Arbeit: »Empathie kannst du ja nicht im Studium lernen«, gibt sie zu bedenken.
Katja Salatzki formuliert es im Bezug auf die Zeit der Corona-Verordnungen ähnlich: »Es war schwer, die Balance zu halten und in der Struktur zu bleiben, und dabei trotzdem immer beherzt und liebevoll zu reagieren.« Das ihr das allerdings nicht gelungen sein könnte, scheint schwer vorstellbar.
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