Kuhhandel um die Abwrackprämie

Große Koalition berät über milliardenschweres Konjunkturpaket

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Bis diesen Dienstagabend wird hoch gepokert werden. Und vermutlich wird der Abend sehr lang. Denn es gibt mit dem Konjunkturpaket, das die Große Koalition in ihrem Koalitionsausschuss festzurren will, viel Geld zu verteilen. Und über das wird natürlich gestritten. Die SPD macht sich etwa stark für einen einmaligen Familienbonus und die Entlastung der Kommunen. Die Union will die Coronakrise nutzen, um den Solidaritätszuschlag ganz abzuschaffen. Da ist viel Kuhhandel nötig, um die unterschiedlichen Interessen richtig auszutarieren. Selbst die Höhe des Konjunkturpaketes ist noch nicht sicher, vermutlich wird sie irgendwo zwischen 50 und 100 Milliarden Euro liegen.

Ein Thema reizt besonders die Gemüter: eine mögliche Abwrackprämie. Bereits in der letzten Krise vor rund zehn Jahren pumpte der Bund mittels einer Kaufprämie für Neuwagen fünf Milliarden Euro in die Automobilindustrie. Und spätestens, nachdem der Nachbar Frankreich an diesem Montag sein Förderprogramm für die Autobauer startete, will man sich in Berlin nicht lumpen lassen - auch wenn laut aktuellem ZDF-Politbarometer eine Mehrheit der Menschen hierzulande von 61 Prozent gegen eine Neuauflage der Abwrackprämie ist. Schließlich hat die Autobranche mit ihren über 800 000 Jobs so manchen Führsprecher in Bund und Ländern.

So will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auch in der Coronakrise wieder VW, BMW, Daimler und Co. mit fünf Milliarden Euro aus dem Staatssäckel unter die Arme greifen. Dies berichtete der »Spiegel« am späten Sonntagabend. Demnach sollen Pkw bis zu einem Kaufpreis von 77 350 Euro 2500 Euro gefördert werden. Sind sie es besonders effiziente Verbrenner, sollen 500 Euro oben drauf kommen. Für Plug-In-Hybride gibt es 750 Euro, für reine Elektroautos 1500 Euro zusätzlich.

Der Koalitionspartner SPD tut sich mit der Forderung aus Altmaiers Haus noch schwer. »Ich halte eine wie auch immer geartete Unterstützung des Verkaufs von Verbrennern nicht für den richtigen Weg«, sagte Parteichef Norbert Walter-Borjans laut Medienberichten. Und auch in der Union selbst regt sich Kritik. Eine Neuauflage der Abwrackprämie sei »ein Paradebeispiel dafür, wie sich eine Lobby in Deutschland durchsetzt«, so der Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU und CSU, Carsten Linnemann, gegenüber der »Welt«.

Doch besonders die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen machen seit längerem Druck, da bei ihnen viele Jobs von der Branche abhängen. Sie taten sich Anfang Mai zusammen, um gemeinsam eine »Innovationsprämie« zu fordern. Die besten Automobile - und zwar weltweit - würden hier erfunden, designt, entwickelt und gebaut, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Da ist es Niedersachsen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) egal, was seine Parteichefs meinen. Und der grüne Landesvater von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, wird zum Fürsprecher des Verbrennungsmotors, während sich seine Partei sonst als Klimavorreiter inszeniert.

Die Linkspartei ruft unterdessen gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Gruppen wie Attac, Campact und Fridays for Future für Dienstag zu einer Menschenkette gegen die Abwrackprämie auf. Vom Kanzleramt soll es quer durchs Berliner Regierungsviertel bis zum Sitz des Verbands der Automobilindustrie (VDA), dem Lobbyistenverband der Branche, gehen. »Es deutet sich an, dass sich die Autolobby auf ganzer Linie durchsetzt, und Kaufprämien für Autos bekommt, die mit einem Ausstoß von 140 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer deutlich über dem EU-Richtwert von 95 Gramm liegen«, so Linksparteichef Bernd Riexinger.

Dabei stellen immer mehr Ökonomen den Nutzen einer solchen Konjunkturmaßnahme infrage. »Unter dem Strich geben die meisten Studien keinen Hinweis, dass durch die Prämien mehr Autos verkauft werden«, heißt es seitens des ifo Instituts. Zudem könne eine Abwrackprämie schnell Nebenwirkungen auf andere Branchen haben: Wer den Autokauf wegen der Prämie vorzieht, hat dann kein Geld mehr für neue Möbel. Das Plus der Autobranche kann deshalb schnell zum Minus in anderen Branchen werden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.