Als würde man keine Grenzen kennen
Wie Limonade, gemischt von einem Menschen, den man sehr gerne hat: die Musik von Spirit Fest
Ich stelle mir das so vor: Man liegt auf einer weichen Liege im Garten eines Landhauses mit vielen großen Zimmern, irgendwo in einer Landschaft, in der zugleich Herbst und Sommer ist, die Sonne brutzelt einem das Gehirn weich, und alles ist recht angenehm. Der Blick in den klaren Himmel geht durch rote Apfelbaumblätter hindurch, das Licht blitzt durch die Lücken, zu trinken hat man viel zu süße Limonade, gemischt von einem Menschen, den man sehr gerne hat. Dann dämmert man weg, und da ist dann keine Angst mehr und keine Beklemmung. So klingt das dritte Album von Spirit Fest, »Mirage Mirage«. Also so in etwa.
Spirit Fest haben sich nach einem Geist benannt, der nachts zu den Menschen kommt, um für sie zu singen. Unheimlich ist an dieser Musik allerdings nichts, aus einem unbestimmten Drüben aber scheint sie schon zu kommen.
Feingewobener Klingklang, filigrane Gitarren, Klöppelschlagzeug, undefinierbare Geräusche, Bläser, ein weißer Flügel, zarte Stimmen. Gesungen wird auf Japanisch und Englisch. An einer Stelle sampelt sich eine Kinderstimme in die Musik hinein: »Dies ist ein Fisch.«
Mit der Niedlichkeit im Pop ist es so eine Sache, oft wirkt sie infantil. Hier nicht, die Anmutung von allen Geräuschen und Melodien, die auf »Mirage Mirage« zu durchlässigem Introvertiertenpop verwoben werden, ist friedfertig und freundlich. Und detailreich und präzise noch im kleinteiligsten Soundgefissel.
Man merkt, dass hier Menschen am Werk sind, die das schon seit ein paar Jahrzehnten machen: Virtuosen, die nicht nerven, weil sie ihre Virtuosität mit Spieltrieb verbinden können und damit eben auch mit Eigensinn und Spaß am Sound als Selbstzweck.
Bei Spirit Fest spielen Mitglieder der ebenso umtriebigen wie musikalisch überaus aufgeschlossenen Weilheimer Popgruppe The Notwist, des japanischen Psych-Folk-Duos Tenniscoats und des undefinierbaren Avantgarde-LoFi-Ambient-Projekts Jam Money. Alle Bands veröffentlichen ansonsten auf dem Label Alien Transistor, das von Markus und Micha Acher betrieben wird, den Notwist-Brüdern, die - seit dem Ende von Neu!, Can und Cpt. Kirk &. - hierzulande routiniert die interessanteste Musik machen. Musik, die auch durch ihre Grenzenlosigkeit überzeugt.
Im Kreis um Alien Transistor verbinden sich Musikerinnen und Musiker aus Japan, England, München und so weiter. »Das ist so eine Art großer Freak-Haufen an Leuten, die auch untereinander Sachen miteinander machen«, erzählt Markus Acher. Ein System, das Musik produziert, als würde es keine Grenzen kennen. Schön.
Spirit Fest: »Mirage Mirage« (Morr Music/Indigo)
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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