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Welterbe mit Wasserzugang
Seit Juli 2019 darf sich Augsburg mit dem Welterbetitel der Unesco schmücken.
Eine Stadt des Wassers stellt man sich anders vor. Zumindest im Augsburger Stadtzentrum fließt nirgendwo ein Fluss, und auch die Kanäle, über die angeblich mehr Brücken führen als in Venedig, sucht man dort vergebens. Stattdessen stößt man auf die Spuren einstigen Reichtums.
Wer die Maximilianstraße entlanggeht, der kann den Wohlstand noch ahnen, der hier herrschte. Am einen Ende beginnt die Prachtstraße am Rathaus, am anderen endet sie am Ulrichsmünster und dazwischen ist sie von Bürgerhäusern gesäumt, in denen Patrizier, vermögende Kaufleute und Bankiers Hof hielten. Während heute Augsburg, was Wirtschaftskraft und Einfluss angeht, deutlich im Schatten der übermächtigen Nachbarin München steht, zählte die Stadt im späten Mittelalter zu den mächtigsten Metropolen weltweit.
Der 7. Juni ist der Unesco-Welterbetag 2020. In Deutschland, wo 46 Welterbestätten wegen ihres universellen Wertes für die Menschheit unter besonderem Schutz stehen, wird der Tag in diesem Jahr angesichts der Corona-Beschränkungen vor allem im Internet begangen.
Auf der neuen Website www.unescowelterbetag.de soll es dabei erstmals möglich sein, die deutschen Welterbestätten digital zu erkunden. Von den Altstädten von Wismar und Stralsund über den Naumburger Dom bis hin zur Klosterinsel Reichenau - auf einer interaktiven Karte sind alle erlebbar. Auf virtuellen Spaziergängen können auch Welterbestätten erkundet werden, die aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht oder nur schwer zugänglich sind. Zudem gibt es Videointerviews mit den Menschen, die die Welterbestätten vor Ort betreuen.
Weltweit dokumentieren 1121 Unesco-Welterbestätten in 167 Ländern die Geschichte der Menschheit und des Planeten. jig
Ein Vaterunser als Miete
Die vermögenden Augsburger Handelsfamilien Fugger und Welser finanzierten nicht nur die deutschen Kaiser, sondern nahmen, getreu dem Spruch »wer zahlt, bestimmt«, auch Einfluss auf deren Entscheidungen.
Doch die mächtigen Fugger hatten auch eine soziale Ader. Mit der Fuggerei gründeten sie die erste Sozialsiedlung der Welt - leisten konnten sie sich das problemlos. 1521 stiftete Jakob Fugger, der passenderweise den Beinamen »der Reiche« trug, 67 Häuser, die er für eine Jahresmiete von einem Rheinischen Gulden bedürftigen, aber ehrbaren Augsburgern katholischen Glaubens zur Verfügung stellte.
Die kleinen Häuser werden noch heute bewohnt, und da es seit fast 500 Jahren keine Mieterhöhung gegeben hat, freuen sich die 150 Bewohner der Fuggerei über die günstigste Kaltmiete weltweit. 88 Cent pro Jahr zahlen sie für ihre Wohnungen - allerdings müssen sie, auch das ist in der Stiftungsurkunde festgelegt, täglich einmal ein »Vaterunser«, ein »Ave Maria« und ein Glaubensbekenntnis für Jakob Fugger und dessen Nachkommen beten. Kontrolliert wird das freilich nicht.
Wasser marsch!
Als das Rathaus 1624 eingeweiht wurde, war das auch ein Statement der Macht und des Reichtums. Damals galt das 57 Meter hohe Gebäude als bedeutendster Renaissancebau nördlich der Alpen, und es war das erste Haus weltweit mit mehr als sechs Stockwerken. Zusammen mit dem benachbarten 70 Meter hohen Perlachturm bildete es ein in Mitteleuropa einmaliges Ensemble.
Vor dem Rathaus plätschert das Wasser aus dem Augustusbrunnen. Den krönt das Standbild des römischen Kaisers, auf dessen Befehl im Jahre 15 v. Chr. das Römerlager Augusta Vindelicorum - das spätere Augsburg - gegründet wurde. Der Augustusbrunnen ist im Sommer nicht nur ein beliebter Treffpunkt für die Augsburger Jugend, sondern zusammen mit den beiden anderen Prachtbrunnen im Stadtzentrum, dem Merkur- und dem Herkulesbrunnen, Teil des Welterbes. Heute genügt ein Knopfdruck und schon fließt das Wasser in die Brunnen. Als sie Ende 16. Jahrhunderts gebaut wurden, war dies noch nicht so einfach. Wer wissen will, wie damals das Wasser aus der Unterstadt mit ihren Kanälen, hinauf in die etwa 14 Meter höher gelegene Oberstadt befördert wurde, wo die Reichen wohnten, der verabredet sich am besten mit Petra Denk zu einer Führung durch die Wassertürme am Roten Tor. Der älteste der drei Türme wurde 1414 erbaut und ist damit der älteste seiner Art in Mitteleuropa.
Kanäle, in denen Wasser durch eine Stadt geleitet wurde, gab es damals an vielen Orten. Das Besondere in Augsburg war, dass man schon bei der Wasserzufuhr streng auf die Trennung von Brauch- und Trinkwasser achtete, letzteres stammte ausschließlich aus Quellen. Auch wandte man erstmals das Prinzip der kommunizierenden Röhren an, um das Wasser anzuheben. Da dabei das Wasser nur fließt, wenn es am Ausgangspunkt höher ist als am Endpunkt, musste man Wassertürme bauen. Darin pumpte man das Wasser ins oberste Stockwerk, von wo es durch Rohre und allein durch den aus der Schwerkraft resultierenden hydrostatischen Druck in die Oberstadt floss. Dort gab es dann Brunnen, aus denen sich jedermann bedienen konnte. Kirchen und Klöster waren die ersten, die eigene Wasseranschlüsse bekamen.
Danach kamen die reichen Kaufleute an die Reihe, allen voran die Fugger. Petra Denk erzählt, dass Wasser damals Luxus war und ein Hausanschluss 200 Rheinische Gulden gekostet hat. Dann schließt sie den Vergleich an, dass ein kleines Häuschen damals für 60 Gulden zu haben war und ein Handwerker sieben Gulden im Jahr verdiente.
Oasen der Ruhe
Ein Spaziergang durch die Altstadt, der ehemaligen Unterstadt, führt an den Kanälen entlang, die Augsburg schon früh zum Industriestandort gemacht haben - erst nutzten Handwerker die Wasserkraft, später kamen die Papier- und die Bekleidungsindustrie hinzu. Und heute? Die Kanäle sind vielfach Ruheorte abseits des Alltagsstresses und Ziele für kleine Ausflüge. In deren Nähe liegen Kneipen und Biergärten. Und im Gegensatz zu früher sind die Wohnungen entlang der Kanäle heute besonders gefragt.
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