- Berlin
- Antidiskriminierungsgesetz
Rassismus von Amts wegen keine Seltenheit
Nach Kritik am neuen Landesantidiskriminierungsgesetz legen Verbände Zahlen zu staatlicher Benachteiligung vor
Fälle von Diskriminierung vonseiten der Behörden sind nach den Erfahrungen von Beratungsstellen keine seltene Ausnahme, so Céline Barry vom Antidiskriminierungsverband Deutschland. »Was wir zum Beispiel für die Beratungsstelle Each One sagen können: Dort war fast die Hälfte der Fälle im institutionellen Bereich«, sagte Barry. Der Verein engagiert sich gegen Rassismus. »Was wir sehr oft hören, wenn wir People of Colour beraten, ist, dass es Diskriminierungen aufgrund der Sprache gibt, dass die Leute schlechter behandelt und ihre Anträge nicht richtig bearbeitet werden.«
Barry erzählt von einem Fall in einem Jobcenter: Ein Geflüchteter habe dort einen Antrag stellen wollen. »Und der Bearbeiter hat gesagt: ›Für Sie ist hier sowieso kein Platz.‹« Sie kenne auch viele Fälle von Diskriminierung im Jugendamt. »Oft werden in Streitfällen schwarze Eltern diskriminiert«, sagte Barry. Bei Auseinandersetzungen zwischen einem deutschen Elternteil und einem migrantischen würden People-of-Colour-Eltern häufig ausgegrenzt, als aggressiv dargestellt oder gar nicht zu Gesprächen eingeladen.
Auch vonseiten der Polizei gebe es Diskriminierung, betonte Barry. »Das gilt einmal für Racial Profiling.« Wenn beispielsweise eine Wiese voller Menschen sei, aber nur schwarze Menschen kontrolliert würden. »Es kommt auch oft vor, wenn es einen Konflikt zwischen einer schwarzen Person und einer weißen gibt, dann ruft die schwarze die Polizei. Und die Polizei widmet sich nicht der schwarzen Person, sondern spricht sofort mit der weißen«, weiß die Beraterin aus der Praxis.
Das Abgeordnetenhaus hat am vergangenen Donnerstag das bundesweit erste Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) beschlossen. Es soll Menschen vor Ungleichbehandlung durch Behörden schützen und auch Schadenersatzansprüche möglich machen. Die CDU will das LADG schnellstmöglich wieder abschaffen. Polizeigewerkschaften und Opposition sprechen von einem »Generalverdacht« gegen Mitarbeiter von Verwaltung und Polizei und bezweifeln die Notwendigkeit des Gesetzes.
»Diskriminierung ist ein alltägliches Phänomen. Das kann ich aus unserer Erfahrung sagen«, erklärt hingegen der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke. »Nach unseren Erfahrungen stehen an erster Stelle Menschen, die sich wegen ihrer ethnischen Herkunft oder einer rassistischen Zuschreibung diskriminiert sehen.« Sie machten etwa ein Drittel der gesamten Anfragen aus.
Was das neue Antidiskriminierungsgesetz bringt, müsse die Praxis zeigen, betonte Franke. Dann werde man sehen, wie viele Fälle und wie viele Gerichtsentscheidungen es gibt. »Wichtig ist, dass das Gesetz in gewisser Hinsicht ein Signal setzt, dass es auch bei Diskriminierung durch öffentliche Stellen möglich ist, sich dagegen rechtlich zur Wehr zu setzen.« Das Gesetz könne außerdem eine Präventivwirkung entfalten, hofft Franke, »also dazu führen, dass auch bei staatlichem Handeln mehr darauf geachtet wird, dass es diskriminierungsfrei ist«.
Die im Rahmen des LADG geplante Ombudsstelle soll im August oder September ihre Arbeit aufnehmen. Die Vorbereitungen dafür laufen bereits, wie die Senatsverwaltung für Justiz und Antidiskriminierung mitteilte. Sie soll Menschen, die sich an sie wenden, kostenfrei bei der Durchsetzung ihrer Rechte beraten und unterstützen. dpa/nd
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