Naivität des Westens?

Wie Clive Hamilton und Mareike Ohlberg China dämonisieren wollen

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.

Das bevölkerungsreichste Land der Erde wird von einer kommunistischen Partei geführt - und betreibt einen erfolgreichen Kapitalismus. Das Land ist auf dem Wege, den USA den Rang als Führungsnation in der Welt streitig zu machen. Entsprechend heftig sind die Konflikte, angeheizt von einem undiplomatisch agierenden Präsidenten im Weißen Haus in Washington. Aber strebt das Land, strebt die KPCh wirklich die Weltherrschaft an? Das suggeriert eine Kampfschrift des australischen Ethikprofessors Clive Hamilton und der deutschen »China-Expertin« Mareike Ohlberg. Sie orakeln von einer »lautlosen Eroberung«, einer Unterwanderung westlicher Demokratien durch Peking. Sie zeichnen ein Bild, das einen gruseln lässt, Schrecken verbreiten soll. Noch größere Furcht müsste nach Ansicht der Autoren allerdings die »Naivität des Westens« einflößen.

Sie beklagen chinesische Einflussnahme durch die »Neue Seidenstraße«, in der sie wirtschaftliches Erpressungspotenzial wittern, und warnen vor einer offensiven politischen, militärischen und industriellen Spionage seitens China, während sich das Land zugleich immer stärker vor westlichen Einflüssen abschotte. Hunderttausende chinesische Studenten würden an die besten US-amerikanischen und europäischen Universitäten entsandt, um dort als zukünftige Eliten ihres Landes mit großem finanziellen Aufwand ausgebildet zu werden, wobei sie zugleich von den Machthabern fernab in ihrer Heimat durch ein raffiniertes System ideologisch bei der Stange gehalten werden. Nicht leicht zu manipulierende Leser werden hier als Ghostwriter die CIA vermuten.

In Bezug auf Deutschland, in einem Europa gewidmeten Kapitel behandelt, haben die Autoren den »Sündenfall« schon vor Jahrzehnten registriert, begangen durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu China veranlasst hatte. Die politische Elite Frankreichs sei ebenso in den letzten Jahrzehnten chinesischen Annäherungen auf den Leim gegangen. Ähnliches konstatieren die Autoren für Großbritannien und andere europäische Staaten.

In ihrem Hohelied auf die Meinungs- und Pressefreiheit, die China nicht gewähre, diffamiert das Duo die Übersetzung von klassischen Werken der westlichen Geistesgeschichte ins Chinesische als irrelevant. Irrelevant? Im aktuellen, dem anstehenden 200. Geburtstag von Hegel gewidmeten Heft der »Zeitschrift für Ideengeschichte« wird über zwei monumentale Transkriptionen von Hegel-Editionen, einer fünfbändigen Ausgabe der Werke Fichtes und einer 22-bändigen Schelling-Gesamtausgabe ins Chinesische berichtet. Philosophen des sogenannten deutschen Idealismus, aus dem für die KPCh kein ideologischer Honig zu saugen ist! Doch damit nicht genug. Die Autoren beklagen wirtschaftliche Kooperation. Deutsche Anlagen-, Auto- und Maschinenbauer, die in China lukrative Geschäfte tätigen, würden also den Expansionskurs Chinas mitfinanzieren.

Auch Kulturaustausch sowie wissenschaftliche Konferenzen mit westlicher Präsenz in China oder chinesischer im Westen, diskreditieren die Autoren als Baustein zur Errichtung einer neuen, von China dominierten Weltordnung. Eine Lehre der Menschheitsgeschichte indes ist: Wer nicht miteinander spricht, wird irgendwann aufeinander schießen. Die »Neue Seidenstraße« ist sicher kein uneigennütziges Entwicklungsprojekt, bietet aber allen beteiligten Staaten Vorteile. Vergleichbares kann der Westen nicht vorweisen. Dessen klassische Entwicklungshilfe gilt seit Langem als verfehlt.

Kampfschriften wie dieses Buch, die keinerlei Zwischentöne, keine Spur von Zweifel, von Reflexion und Diskussion erkennen lassen, die jede andere Meinung als von Peking beeinflusst kriminalisieren, sind »Rohrkrepierer«.

Clive Hamilton/Mareike Ohlberg: Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet. A. d. Engl. v. Stephan Gebauer-Lippert. DVA, 496 S., geb., 26 €.

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