- Politik
- Walter Rodney
Schwarze Regierungen, weiße Politik
Vor 40 Jahren wurde der antikoloniale Intellektuelle Walter Rodney ermordet
Vor 40 Jahren wurde Walter Rodney in Georgetown, der Hauptstadt von Guyana, durch eine Bombe ermordet. Ausgeführt wurde das tödliche Attentat von Agenten der Regierung von Forbes Burnham, der die britische Ex-Kolonie zwischen Venezuela, Suriname und Brasilien immer repressiver regierte. So verstummte nach nur 38 Lebensjahren die Stimme eines der bedeutendsten Denker und Praktiker von Black Power, antikolonialem Widerstand und Panafrikanismus. Wer war dieser Mann, der im weißen Europa noch immer zu wenig bekannt ist? Welche Verhältnisse trachteten ihm nach dem Leben?
In den Aktivismus eingeführt wurde der 1942 in Georgetown geborene Walter Rodney von seinen Eltern - und von einem Aufwachsen in einer von Rassismus und extremer Ausbeutung geprägten nachkolonialen Gesellschaft. In die Wissenschaft gelangte er durch ein Stipendium für die Universität der Westindischen Inseln (UWI) in Mona, Jamaika.
Von dort kam der herausragende Student nach London, wo er 1966 - mit nur 24 Jahren - an der einst als kolonialwissenschaftliches Institut gegründeten »School of Oriental and African Studies« (SOAS) über die Versklavungsökonomie in Westafrika promovierte. In London stieß er zu einem Kreis von Aktivist*innen um Selma und C. L. R. James. Auch in den Diskussionen mit dem sozialistischen Theoretiker und Schriftsteller aus Trinidad begann er, sich mit dem Marxismus zu befassen.
Dabei war Rodney sich schon früh der Widersprüche bewusst, denen afrikanische Intellektuelle in einem Bildungssystem ausgesetzt waren, das vor allem dem Kapitalismus und der weißen Vorherrschaft zu dienen hatte. Seine Parteinahme für die »Verdammten dieser Erde« hatte Folgen: Als er 1968 - nach einer Zwischenstation in Dar es Salaam - aus Afrika nach Jamaika zurückkehrte, um an der UWI zu lehren, zog er schnell die Aufmerksamkeit der Machthaber auf sich.
Trotz formaler Unabhängigkeit handelte die damalige jamaikanische Regierung nämlich weitgehend im Sinne der alten Kolonialmacht - nur dass deren Interessen nun von lokalen Politiker*innen bedient wurden. So erklärte man Marcus Garvey - eine der wichtigsten Figuren des Panafrikanismus und ein Vorläufer der späteren Black-Power-Bewegung - zum Nationalhelden, ohne seine Gedanken auch nur im Ansatz wirksam werden zu lassen: Noch immer galt die seit der Plantagensklaverei bestehende Einteilung: je weißer, desto mächtiger.
Mit diesem Verhältnissen befasste sich Rodney. Gestützt auf Analysen von C. L. R. James und Eric Eustace Williams - dem trinidadischen Historiker und späterem langjährigem Regierungschef - beschrieb er die Kolonisierung der Karibik und die damit einhergehende Ausbreitung des auf versklavter Arbeit basierenden Kapitalismus als Ursache des Rassismus. So wie es Frantz Fanon auf Martinique beobachtet hatte.
Das Wissen aus der Uni tragen
Als Rodney folgerichtig begann, nicht nur Wissen aus der Uni auf die Straße zu bringen, sondern auch umgekehrt am Rand der Gesellschaft nach Wissen zu suchen, war der Konflikt programmiert. Die schwarze Regierung hatte keinerlei Interesse an afrikanischer Geschichte als Unterrichtsfach. Im Gegenteil fand man das bedrohlich. Die Texte von Malcolm X wurden verboten und Aktivist*innen wie Stokely Carmichael und H. Rap Brown mit Einreisesperren belegt.
Gleichzeitig ging der Staat höchst brutal gegen die entstehende Bewegung der Rastafari vor. In diesen sah nicht nur Rodney eine lebendige Verkörperung von afrikanischer Geschichte und Widerstand. Mit ihrer Ablehnung aller kolonialen Werte und der Orientierung auf Afrika waren die Rasta-Communitys der neokolonialen Regierung in Kingston ein Dorn im Auge; die Polizeigewalt und Verfolgung, der sie ausgesetzt waren, glich der Kolonialzeit. Als Rodney sein akademisches Wissen mit dem tradierten der Rastafari in sogenannten Groundings oder Reasonings in Austausch brachte, geriet auch er ins Fadenkreuz.
Nach einer Konferenz afrikanischer Schriftsteller*innen in Montreal, auf der auch andere Persönlichkeiten der Black-Power-Bewegung auftraten, verwehrte man ihm die Wiedereinreise, nach nur wenigen Monaten an der UWI. Doch spielten seine Analysen, Reden und Erfahrungen aus dieser kurzen, aber intensiven Zeit - veröffentlicht als »The Groundings with my Brothers« -, eine wichtige Rolle bei der Studierenden- und Jugendrevolte, die 1968 auch Jamaika erfasste. Und seine Exilierung führte zu schweren Unruhen.
Rodney kehrte nach Dar es Salaam zurück, wo er bis 1974 lehrte und unter anderem seine Studien zur afrikanischen Geschichte wieder aufgriff. Um etwa über Tansania sprechen zu können, lernte er Deutsch, die Sprache der früheren Kolonialmacht. In dieser Zeit entstand auch Rodneys bis heute wichtigstes Werk, »How Europe underdeveloped Africa«, das - als einzige seiner Schriften - unter dem etwas irreführenden Titel »Afrika: Geschichte einer Unterentwicklung« auch hierzulande veröffentlicht worden ist.
Rodneys Forschungen, etwa über die Geschichte des heutigen Ghana oder die Geschichte der arbeitenden Bevölkerung Guyanas, zeigen seinen scharfen Blick für Unterdrückungsmechanismen. So analysiert er die Bedingungen der auf den Westindischen Inseln, aber auch in Guyana installierten Knechtschaftsverhältnisse, in die sich Arbeiter*innen aus Indien begeben mussten. Ausgehend von der Entstehungsgeschichte des Rassismus als definiertem Nichtweißsein, kommt er zu einem globalen Begriff von Schwarzsein - der, wenn auch mit Differenzierungen, Menschen aus Indien, Sri Lanka, Pakistan und West-Papua einschließt.
Für Rodney galt es, das durch den Kolonialismus gelöschte Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigenen Kräfte wiederherzustellen. Die Befassung mit der Lage der Schwarzen auf Kuba vor und nach der Revolution machte ihm deutlich, dass nur im gemeinsamen Kampf auf der Grundlage eines antikapitalistischen Programmes ein Punkt erreicht werden könne, von dem aus sich rassistische Kategorien überwinden ließen. Hierfür müsse die konkrete Geschichte zum Beispiel der Afrikaner*innen in der Karibik freigelegt werden, nicht nur die Geschichte Afrikas.
Entwicklung und Extraktion
Grundsätzlich mit dieser beschäftigt hat sich Rodney in seinem erwähnten Hauptwerk. Darin setzt er sich mit Begriff und Praxis von »Entwicklung« auseinander und erforscht die Charakteristiken afrikanischer Gesellschaften vor der Kolonialzeit. Wie bereits in den Werken über die Westindischen Inseln erklärt Rodney den Rassismus als ideologische Rechtfertigung von Machtverhältnissen, die auf Ausbeutung beruhen: »Gelegentlich besteht das Missverständnis«, schreibt er, »die Europäer hätten die Afrikaner aus rassistischen Gründen versklavt.«
Tatsächlich waren ökonomische Motive entscheidend, denn »ohne die afrikanische Sklavenarbeit hätte man nicht auf kapitalistischer Grundlage die Neue Welt erschließen« und ihre Reichtümer absaugen können. »Erst als sie von dem afrikanischen Arbeitskräftereservoir endgültig abhängig waren, mussten die Europäer im In- und Ausland diese Ausbeutung rassistisch rechtfertigen.«
Nicht unähnlich wie Lenin in seiner kanonischen Imperialismusanalyse zeigt Rodney, wie »Entwicklung« den Wegen der Rohstoffextraktion folgt und europäische Lebensstandards für Europa repliziert werden, aber nur zum Preis der Verdammung der Massen zum Elend. Afrikanische Länder sind »Entwicklungsländer« und wirtschaftlich abhängig, weil sie gewaltsam unterworfen und abhängig gemacht wurden. In Dar es Salaam hielt Rodney auch Vorlesungen zur Oktoberrevolution und deren antiimperialistischen Impetus. Robin D. G. Kelley und Jesse Benjamin haben daraus das posthume Buch »The Russian Revolution: A View from the Third World« gemacht, das Rodneys Stellenwert als Historiker unterstreicht.
Als Geschichtsprofessor hatte ihn 1974 auch die University of Guyana in seiner Heimatstadt Georgetown im Blick. Doch die Regierung von Forbes Burnham kassierte die Berufung. Rodney blieb dennoch, unterbrochen von Auslandsaufenthalten wie 1978 einem Gastsemester in Hamburg - und gründete die sozialistische »Working People’s Alliance« mit. 1979 bezichtigte man ihn einer Brandstiftung, ein Jahr später war er tot - kaltblütig ermordet von einem weiteren schwarzen Regime, das letztlich eine Politik der Weißen machte.
Lernen lässt sich von Walter Rodney vieles. In den sozialen Kämpfen seiner Zeit verankert und aus den Erfahrungen der Massen schöpfend, bleibt sein theoretisches Vermächtnis, dass sich Klassengesellschaft und rassistische Machtverhältnisse nicht unabhängig voneinander analysieren lassen - nicht in einer Gesellschaft und nicht im Weltmaßstab: Vielleicht ist es höchste Zeit, in diesem Sinn die Kritik der Politischen Ökonomie und deren Geschichte auf breiterer Basis wiederzuentdecken.
Die Geschichte bleibt dabei aber niemals abstrakt. Sie dient dazu, Lehren zu ziehen, ohne Analysen aus einem Kontext mechanisch auf einen anderen zu übertragen. Und nicht zuletzt bedeutet Bewusstsein über die Geschichte, diese bewusst selbst weiterzuschreiben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.