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Es hat sich was geändert - aber nicht zum Besseren

DER FEIND STEHT RECHTS: Der Rassismus bei der Polizei äußert sich vielfältig - und nicht erst seit gestern

  • Stephan Anpalagan
  • Lesedauer: 10 Min.

Verehrte Leserschaft,

lassen Sie uns bitte zu Anfang ein Quiz spielen. Ich schreibe Ihnen einen Beitrag der NDR-Sendung »Panorama« auf und Sie müssen raten, aus welchem Jahr er stammt. Einverstanden? Los geht's:

Stephan Anpalagan
Stephan Anpalagan ist Journalist und Musiker. Seine Texte haben den Schwerpunkt Rechtsextremismus. Anpalagan ist zudem Geschäftsführer der gemeinnützigen Unternehmensberatung „Demokratie in Arbeit“. Für "neues deutschland" schreibt er die monatliche Kolumne „Der Feind steht rechts“.

»Vorgestern sind in Hamburg 27 Polizeibeamte vorläufig vom Dienst suspendiert worden, weil sie im Verdacht stehen Ausländer misshandelt und verprügelt zu haben. Der Senat wollte offenbar Handlungsfähigkeit beweisen, nachdem er bei der Verhinderung, Aufklärung und Verfolgung polizeilicher Übergriffe auf Journalisten, Alternative und vor allem Ausländer jahrelang eine schlechte Figur gemacht hat. Sogar Amnesty International hat Bürgerrechtsverletzungen der Hamburger Ordnungshüter und lasche Ermittlungen der Staatsanwälte gerügt.«

Was meinen Sie? Richtig, der Beitrag stammt aus dem Jahr 1994 und ist somit 26 Jahre alt.

Der gesamte Beitrag lohnt sich sehr, er zeigt unter anderem:

- Ein junger Mann wird vor einem linken Szene-Treff von der Polizei schwer verprügelt, ein Polizist meint zu seinem Kollegen: »Na, erschieß ihn doch!«.
- Ein Notfallarzt berichtet davon, wie er immer häufiger Opfer von Polizeigewalt versorgen muss.
- Journalist*innen erzählen, wie sie gezielt und brutal von der Dokumentation polizeilicher Gewalt zurückgedrängt werden.
- Opfer der meisten Übergriffe sind Ausländer. Ein Schwarzer wird von Polizisten als »Negersau« bezeichnet, er solle Deutschland verlassen. Ein anderer Schwarzer wird von zwei Polizisten verprügelt, weil er eine Mütze trug auf der »Gebt Nazis keine Chance« stand.

Die Konsequenzen für die Polizeibeamten: jahrelang keine. Bis die Skandale derart überhand nehmen, dass ein ganzer Einsatzzug entlassen wird. Bezeichnend: Während ein Zivilgericht Polizeibeamte verurteilt und dem Opfer der Polizeigewalt Recht zuspricht, stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen im selben Fall ein.

Der Leiter der Polizeidirektion Hamburg-Mitte erklärt sich die Übergriffe und Misshandlungen damit, dass »diese Personen« (gemeint sind die Schwarzen) maßgeblich mitverantwortlich seien, »für das sichtbare Elend« und Polizeibeamte dadurch »Gefühle entwickelten«, wie beispielsweise »Abneigung bis hin zu Hass« und dadurch auch schon mal vergäßen, dass sie es bei dem »Straftäter dennoch mit einem Menschen« zu tun hätten.

In dem Video kommt auch ein ehemaliger Innensenator zu Wort, der die Polizei als »Spiegelbild der Gesellschaft« bezeichnet und ein Vertreter der Polizeigewerkschaft GdP, der davor warnt, alle Polizeibeamte »pauschal vorzuverurteilen«.

Falls Ihnen die Pointe bis hierhin noch nicht aufgefallen sein sollte: In 26 Jahren hat sich am Rassismus innerhalb der Polizei, an der Polizeigewalt, an der Konsequenzlosigkeit polizeilichen Handelns und an der Art wie wir darüber diskutieren nichts, aber auch gar nichts, geändert. Noch immer sprechen Innenminister angesichts der rassistischen Übergriffe in den Sicherheitsbehörden davon, dass die Polizei ein »Spiegelbild der Gesellschaft sei«, noch immer warnt die Polizeigewerkschaft GdP davor, Polizisten mit »pauschalen Aussagen« »vorzuverurteilen«. Zuletzt übrigens vor exakt einer Woche.

Der Innensenator in dem 26 Jahre alten »Panorama«-Bericht sagt aber noch eines. Und das wiederum ist bemerkenswert: »Ich denke, dass der Beruf des Polizeibeamten gerade für eher rechtsextremistisch denkende Menschen aus ihrer Sicht eine Attraktivität bedeutet. Sie bekommen Macht in die Hand, sie bekommen Machtmittel in die Hand. Die Strukturen sind sogar so, dass man in einer Einheitslaufbahn sehr hoch aufsteigen kann, wenn man immer nur das Richtige macht, sich nicht erwischen lässt zum Beispiel.«

Nach dem Tod von George Floyd explodierte die Debatte über Rassismus weltweit. Auch in Deutschland. Auch innerhalb der Polizei. Dass es Rassismus in der Polizei gibt, dass die Polizei oft genug unverhältnismäßige Gewalt anwendet, dass sie Terroristen in ihren Reihen beherbergt, all das kann nun kaum mehr bestritten werden. Auch, weil die Fälle mittlerweile so zahlreich und die Verfehlungen offensichtlich staatsgefährdend sind. Eines aber vermeiden die Verteidiger*innen der Polizei wie der Teufel das Weihwasser: Die Anerkenntnis, dass diese Verfehlungen »strukturell«, »institutionell« oder »systematisch« erfolgen.

Noch immer wird von »Einzelfällen« und »schwarzen Schafen« gesprochen, von einer »überwältigenden Mehrheit«, die sich an Recht und Gesetz hält. Und selten, eigentlich nie, wird dieser Erzählung widersprochen, obwohl sie offensichtlich falsch ist.

Es gibt genug Hinweise und Indizien, die eine überproportionale Diskriminierung von Ausländern, Zuwanderern und Menschen mit dunkler Hautfarbe bezeugen. Es gibt Polizeigesetze, die auf die Erniedrigung und Diskriminierung von Minderheiten abzielen und es gibt zahlreiche Polizeibeamte, die das wissen und dieses System dennoch mal mehr mal weniger zähneknirschend mittragen.

Beispiel Polizeiaufgabengesetz

Das Polizeiaufgabengesetz in Bayern, das unter Eingeweihten als »härtestes Polizeigesetz seit 1945« gilt, ging am 15. Mai 2018 an den Start. Anderthalb Jahre später ließ sich feststellen, dass unter denjenigen, die nun wochen- und monatelang ohne Anklage und häufig ohne anwaltlichen Beistand inhaftiert wurden, fast ausschließlich Ausländer befinden.

»Seit der Änderung des Gesetzes gilt: Um eine Person einzusperren, genügen bereits geringfügige Verstöße gegen die Rechtsordnung. Das sind beispielsweise Trunksucht verbunden mit Aggressivität und Zechbetrügereien.«

»Dass von dem Präventivgewahrsam vor allem Ausländer:innen betroffen sind, ist jedoch keine Überraschung. Zwar ist die Formulierung offen gehalten, doch viele der weiteren neu eingeführten Regelungen im Polizeigesetz richten sich ganz explizit gegen Personen ohne europäischen Pass, etwa die Durchsuchung von Wohnheimen.«

Das Polizeiaufgabengesetzt ermöglicht es Polizisten, Menschen wegen Nichtigkeiten wie »Zechbetrügereien« ohne Anwalt und Anklage unbegrenzt hinter Gitter zu stecken. Das Polizeiaufgabengesetz richtet sich ganz explizit besonders gegen Ausländer. Was soll das anderes sein als struktureller Rassismus?

Beispiel POLIKS

In der Polizeidatenbank Berlins POLIKS wurden über Jahrzehnte hinweg Merkmale wie »Volkszugehörigkeit« und »ethnische Zugehörigkeiten« auf Basis des »Phänotyps«, also des Aussehens, gespeichert. Kategorien sind dort unter anderem: »afrikanisch« oder »indianisch«. Aber auch »westeuropäisch«, »südeuropäisch« und »osteuropäisch«, zudem aus irgendeinem Grund: »europäisch«. Den kriminalistischen Nutzen konnte bis zum heutigen Tag niemand erklären. Sinti und Roma wurden noch darüber hinaus gesondert als »Reisender Täter Eigentum/Vermögen« gespeichert. Was intern mit den Eintragungen geschieht, lässt sich an einem Brief der Staatsanwaltschaft illustrieren: »Zwischen der Anrede in der ersten und seinem Namen in der zweiten Zeile stand im Adressfeld: «bei Mutter (Zigeuner)»«. Die Sammlung von äußerlichen Merkmalen und ethnischer Zugehörigkeit, die Einordnung als »Zigeuner« per Anweisung der Polizeibehörde ohne erkennbaren kriminalistischen Nutzen. Was soll das anderes sein als struktureller Rassismus?

Beispiel Clankriminalität

Mit großer Welle, viel Getöse und außerordentlicher Medienaufmerksamkeit sollte in Niedersachsen die »Clankriminalität« bekämpft werden. Wie die Polizei nun zuordnen will, welche Person innerhalb des Clans kriminell ist und welche nicht? Egal. Was mit Menschen passiert, die nur entfernt verwandt sind? Ebenfalls egal.

Die Zugehörigkeit zum Clan definiert die niedersächsische Polizei einfach durch den Familiennamen. Dazu haben die Beamten schlicht dutzende arabisch- und türkisch-klingende Namen auf einen Zettel geschrieben und die Familienmitglieder, also all jene Menschen, die einen solchen Nachnamen tragen als potenzielle Clankriminelle definiert. Wer nun an die deutsche Tradition der »Sippenhaft« denkt, liegt nicht gänzlich falsch: »Der jugendliche Sohn hat zum Beispiel etwas geklaut, und es ist leider zu befürchten, dass er nicht wie eigentlich vorgesehen von der Privilegierung des Jugendstrafrechts profitiert. Während jemand, der 14 Jahre sei und einen deutschen Nachnamen trage, lediglich einige Sozialstunden absolvieren müsse, bekomme der Jugendliche mit dem arabischen oder türkischen Nachnamen wahrscheinlich eine Verurteilung und einen Eintrag ins Erziehungsregister.«

In dem aktuell veröffentlichten Lagebild zur Clankriminalität berichtet das LKA Niedersachsen übrigens völlig ironiefrei davon, dass 34% der ausgewerteten Clankriminalität »unterhalb der Schwelle strafbarer Handlungen oder Ordnungswidrigkeiten« lägen und zieht folgendes Fazit:

»Wenngleich sie quantitativ sowohl in Bezug auf die Tatverdächtigen und Beschuldigten als auch in Bezug auf die Ermittlungsverfahren bei Betrachtung des Gesamtvolumens krimineller Handlungen in absoluten Zahlen kaum ins Gewicht fallen, beeinträchtigen sie das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und fordern die Strafverfolgungsbehörden in einem besonderen Umfang.«

Eine polizeiliche Maßnahme, die Menschen aufgrund eines türkischen oder arabischen Namens diskriminiert? Die Menschen härter bestraft, weil sie einer nichtdeutschen Familie angehören? Ohne jegliche kriminalistische Erfordernis?

Was soll das anderes sein als struktureller Rassismus?

Man könnte so weitermachen und erzählen von den »schwarzafrikanischen Drogendealern«, gegen die die Polizei mit all ihren Ressourcen mobil macht, obwohl sie - wenn überhaupt - nur 7,8 Prozent aller Tatverdächtigen im Deliktbereich »Handel und Schmuggel« von Drogen ausmachen. Man könnte darüber nachdenken, warum es Razzien und Racial Profiling nur gegen Schwarze gibt, obwohl in jedem Studentenwohnheim, jeder WG-Party, jeder Innenstadtdisko an jedem Wochenende dutzende Drogenumschläge stattfinden. Man könnte darauf hinweisen, dass seit Jahrzehnten der Handel und der Konsum von Amphetamin und Methamphetamin in Sachsen nicht abnimmt. Ja, dass Chemnitz europaweit den höchsten »Crystal-Rückstand« im Wasser hat und dass das wiederum nur deshalb niemanden interessiert, weil niemand ein sächsisches Pickelgesicht vor Augen hat, wenn mal wieder über das Drogenproblem schwadroniert wird.

Man könnte davon erzählen, wie die Polizei in Köln gezielt und systematisch Menschen mit dunkler Hautfarbe durchsucht und dies als Maßnahme gegen »Nafris« verbucht. Zu den »Nordafrikanischen Intensivstraftätern« zählen ohne erkennbaren Sinn auch Syrer, Iraker, Afghanen und Türken. Überhaupt alle jungen Männer, die »nordafrikanisch beziehungsweise arabisch aussehen«. Und wie ein Nordafrikaner aussehe, das wisse man ja. Sagt niemand Geringeres als der Polizeisprecher auf einer Pressekonferenz, um den Vorwurf gegen rassistische Polizeikontrollen zu entkräften.

Das Polizeiaufgabengesetz, die Volkszugehörigkeit in der Polizeidatenbank, die AWM »Clankriminalität«, das Racial Profiling im Kampf gegen den Drogenhandel, die »Nafris«, alles (!) das sind Verordnungen und Maßnahmen, die überdurchschnittlich, ja beinahe ausschließlich Menschen mit dunkler Hautfarbe betreffen. Ohne jegliche kriminalistische Erfordernis. Ohne jeglichen kriminalistischen Erfolg. Regelungen, die über die einzelne Handlung einzelner Polizisten, über Einzelfälle Hinausgehen.

Was soll das anderes sein als struktureller Rassismus?

Dass die Polizei ernsthaft bereit ist, über Leichen zu gehen und Menschen zu töten, wenn sie nur die falsche Hautfarbe haben, zeigt sich an einem besonders grausamen Ritual, das die Polizei in Bremen und in Hamburg jahrelang praktizierten: Der Einfuhr von Brechmittel gegenüber Tatverdächtigen im Drogenhandel.

Im Kampf gegen den Drogenhandel führte die Polizei jahrelang ein Brechmittel durch die Nase in den Körper junger Männer ein, denen vorgeworfen wurde, im Zuge einer Festnahme Drogen verschluckt zu haben. Mediziner warnten vor dieser Praktik, forderten die sofortige Unterlassung, sprachen von der Einführung der Todesstrafe durch die Hintertür. Der Präsident der Hamburger Ärztekammer appellierte an die Politik: »Der Senat muss aufhören, Menschen mit Gewalt umzubringen.« Die Polizeibehörden und die Innensenatoren indes hielten daran fest, auch als die Menschen anfingen an dieser Behandlung zu sterben. Erst durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, der diese Art der Polizeipraktik als Folter einstufte, ließ die Polizei davon ab. Warum diese polizeiliche Maßnahme nun rassistisch sein soll? Von den zwei Personen, die durch diese jahrelang ausgeübte Foltermethode starben, waren beide schwarz. An dem Wochenende als einer der beiden starb, führte die Polizei dieselbe Praktik an neun anderen Personen durch.

Allesamt: schwarz.

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