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Die tägliche Bombenshow
Ungeschönt und herzzerreißend: Der Dokumentarfilm «Für Sama» über den Krieg des Assad-Regimes gegen Aleppo
Sama, wirst du dich an Aleppo erinnern?«, fragt die syrische Filmemacherin Waad al-Kateab gegen Ende des Films aus dem Off ihre kleine Tochter. Und als sich die letzten Aufständischen aus den dampfenden Ruinen der ehemaligen Millionenstadt, die nun nichts mehr ist als ein gigantisches sandiges Grab, schließlich doch evakuieren lassen: »Wirst du mir vorwerfen, hiergeblieben zu sein? Oder dass ich jetzt gehe?«
»Für Sama« startete hierzulande bereits Anfang März, wurde aber nach zwei erfolgreichen Wochen Opfer der coronabedingten Schließung der Kinos und erlebt nun am 18. Juni seinen Re-Start. Der Film hat bereits einige Wellen verursacht. Er war für den Dokumentarfilm-Oscar nominiert, wurde bei den British Independent Film Awards mehrfach prämiert und bei den British Academy Film Awards als bester Dokmentarfilm ausgezeichnet. Und er gewann den Europäischen Filmpreis 2019.
Regisseurin al-Kateab spricht als Off-Stimme immer wieder ihre Tochter Sama an, sie will erklären, warum die Eltern trotz des Krieges und der tödlichen Gefahren in der belagerten Stadt Aleppo aushielten, anstatt wie viele andere zu fliehen. Im Mittelpunkt steht dabei der Aufstand gegen das Assad-Regime und schließlich die Belagerung und Bombardierung der Stadt durch dessen Truppen.
Al-Kateab hat seit Beginn der Unruhen 2012 gefilmt, zunächst als Studentin mit dem Smartphone, später dann mit einer professionelleren Filmkamera. Mit ihrem Mann, dem Arzt Hamza, gründet sie ein Krankenhaus und bleibt trotz der Bedrohungen in der Stadt. Ihre Tochter kommt zur Welt und wächst in dem zunehmend dichter werdenden Bombenhagel auf, während Hamza im letzten Krankenhaus des von den Rebellen besetzten Ost-Aleppo um die Leben der oft sehr jungen Kriegsopfer kämpft.
»Für Sama« ist nichts für schwache Nerven. Al-Kateab hält auch dann noch drauf, wenn direkt vor der Kamera Kinder sterben oder ein Vater seine tote Tochter wiederzubeleben versucht, während die weinende Mutter ihn mehrfach auffordert, den Leichnam in Ruhe zu lassen. Sie zeigt Massengräber, Rettungstrupps, die Leichen aus einem Fluss ziehen, und Geschwisterkinder, die um ihren gerade gestorbenen kleinen Bruder weinen. Überall fließt und klebt Blut, mischt sich mit dem durch die Detonationen aufgewirbelten weißen Sand. Es gibt kaum eine Szene ohne Einschläge von Bomben, immer wieder Bilder von Fassbomben, die aus Hubschraubern abgeworfen werden, dann Mütter, die voller Verzweiflung die toten Körper ihrer kleinen Kinder aus dem Krankenhaus schleppen. Eine Übertragung aus der Hölle auf Erden.
Bei einem Notkaiserschnitt wird ein lebloses Baby aus dem Bauch einer Mutter gezogen, man sieht minutenlang in Großaufnahme, wie die Ärzte den Säugling zu reanimieren versuchen - schließlich mit Erfolg. Die Bilder sind kaum zu ertragen, und sie in dieser ungeschönten und ungefilterten Intensität zu sehen, wie sie al-Kateab festhält, dürfte den meisten Kinogängern das Blut in den Adern gefrieren lassen.
Emotionale Tiefe erfährt die Erzählung aber vor allem dadurch, dass die Regisseurin die Menschen, die in der Stadt verharren, in den Mittelpunkt ihrer Darstellung rückt, sie dabei beobachtet, wie sie mit der dauernden Bedrohung, den Bombeneinschlägen, den Toten, dem Verlust von Freunden und der zunehmenden Aussichtslosigkeit umgehen.
Ein kleiner Junge bricht in Tränen aus, als er davon erzählt, dass alle seine Freunde weg sind, er aber seine Heimat nicht verlassen möchte. Mutter Afraa tröstet und beruhigt und wird zu einer wichtigen Protagonistin des Films, auch wegen ihres so derben wie herzerfrischenden Zynismus. Einmal erzählt sie während einer Bombardierung grinsend: »Letztens nannte es jemand die tägliche Bombenshow. Mit all unseren Lieblingsbomben. Raketen, Granaten, Kugeln, einfach alles, was dem Präsidenten einfällt.« Überhaupt blüht unter den dem Tode geweihten erstaunlich häufig der Flachs - der Humor ist offenbar nötig, um angesichts des Terrors nicht verrückt zu werden. Ein älterer Herr lässt beim Schachspielen wissen, Assad habe einen langen Hals, was ein Symbol für ein langes Leben sei. »Eine verdammte Giraffe ist er«, schimpft ein anderer.
»Für Sama« ist ein außergewöhnlicher Film. Um die große Politik geht es al-Kateab nicht, politische Einordnungen gibt sie nur, wo es für das Verständnis des Gezeigten notwendig ist, und sie konzentriert sich ganz auf ihr persönliches Erleben und ihren persönlichen sozialen Nahbereich.
In einer Szene aus dem März 2015 sieht man eine Menschenmenge tanzen und jubeln, Feuerwerk wird gezündet, die Menschen sind berauscht von der Revolution. Al-Kateab kommentiert: »Lange waren wir so sicher, dass wir siegen würden. Im aufständischen Aleppo lebten wir frei. Endlich hatten wir das Gefühl, eine Heimat zu haben. Wir waren bereit, dafür zu sterben.«
So funktioniert der Film als Lehrstück. Er zeigt, dass revolutionäre Bewegungen schnell zerschossen und zerbombt sind, wenn es an Strategie, Perspektive und Unterstützung mangelt, und dass von vornherein verloren ist, wer auf die Solidarität irgendwelcher angeblich bürgerlich-westliche Werte vertretenden Staatenbünde angewiesen ist. Der Film ist aber letztlich eine Erzählung von dem Gefühl, den Wind der Revolution zu spüren, und davon, dass dieses Gefühl so stark sein kann, dass man sein Leben und das seiner Kinder dafür aufs Spiel setzt.
Es ist unmöglich, von dem Film unberührt zu bleiben. Ein herzzerreißender und fesselnder Dokumentarfilm, aber auch eine wilde Geschichte von Optimismus und Wehrhaftigkeit.
»Für Sama«, Großbritannien, Syrien 2019. Regie: Waad al-Kateab, Edward Watts. 100 Min.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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