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Ermittler nehmen Kreml ins Visier
Bundesanwaltschaft geht von russischem Auftragsmord im Berliner Tiergarten aus
Es ist nicht lange her, dass Kanzlerin Angela Merkel die Beziehungen zu Russland als einen Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft beschrieben hat, die am 1. Juli beginnt. Die geografische Nähe, globale Herausforderungen und wechselseitige Wirtschaftsbeziehungen seien »gewichtige Gründe für gute Beziehungen zu Russland«. Kritik übte die CDU-Politikerin allerdings einmal mehr wegen der Sezession der Krim.
Inzwischen sieht es danach aus, als sollten die deutsch-russischen Beziehungen einen neuen Tiefpunkt erreichen. Am Donnerstag drohte Bundesaußenminister Heiko Maas der russischen Regierung mit neuen Strafmaßnahmen. Anlass hierfür war, dass die Bundesanwaltschaft nach monatelangen Ermittlungen davon ausgeht, dass der Mord an einem Georgier im Kleinen Tiergarten in Berlin von der russischen Regierung in Auftrag gegeben wurde. »Hintergrund des Tötungsauftrags war die Gegnerschaft des späteren Opfers zum russischen Zentralstaat, zu den Regierungen seiner Autonomen Teilrepubliken Tschetschenien und Inguschetien sowie zu der pro-russischen Regierung Georgiens«, hieß es zur Begründung der Klage, die vor dem Staatsschutzsenat des Kammergerichts in Berlin erhoben wurde.
Maas sprach von einem »außerordentlich schwerwiegenden Vorgang«. Seine Regierung behalte sich weitere Maßnahmen in diesem Fall ausdrücklich vor, sagte der SPD-Politiker.
Das Opfer war ein 40 Jahre alter Tschetschene georgischer Staatsangehörigkeit und ehemaliger Kaukasus-Kämpfer, der am 23. August 2019 mit drei Schüssen ermordet wurde. Der tatverdächtige russische Staatsbürger war am Tag des Attentats gefasst worden. Zeugen hatten erklärt, dass der Verdächtige eine Perücke sowie ein Fahrrad und eine Waffe in der Spree versenkte. Der Mann sitzt seitdem in Untersuchungshaft und schweigt.
Er habe den Auftrag zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem 18. Juli 2019 erhalten, meint die Bundesanwaltschaft. Danach soll er von Moskau nach Paris und dann weiter nach Warschau geflogen sein. Von dort reiste er nach Berlin. Zur Einreise nutzte der Verdächtige laut Anklagebehörde falsche Papiere, die kurz zuvor ausgestellt worden waren. Sein Schengen-Visum soll über eine Faxnummer beantragt worden sein, die dem russischen Verteidigungsministerium zugeordnet wird. Wieso der Verdächtige den Auftrag für den Mord angenommen hat, ist der Anklagebehörde nicht ganz klar. Sie mutmaßt, dass er auf das Geld angewiesen war oder das Motiv der Auftraggeber teilte.
Die Bundesregierung hatte Russland zuletzt vorgeworfen, nicht bei der Aufklärung der Tat mitzuhelfen und deswegen zwei russische Diplomaten ausgewiesen. Daraufhin durften auch zwei deutsche Diplomaten nicht mehr in Moskau bleiben. Die russische Regierung geht davon aus, dass das Opfer ein Krimineller war, und weist jegliche Verantwortung für den Mord zurück. Das Auswärtige Amt bestellte am Donnerstag den russischen Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, ein.
Für den Grünen-Bundestagsabgeordneten Manuel Sarrazin ist der Fall, der noch einige Fragen aufwirft, offenbar schon gelöst. »Wir können nicht zulassen, dass der Kreml in Mafia-Manier Menschen in ganz Europa liquidieren lässt«, teilte Sarrazin mit und bezog sich dabei auch auf den Mordversuch an dem russischen Ex-Agenten und Überläufer Sergei Skripal und dessen Tochter in der englischen Stadt Salisbury im März 2018. Sarrazin forderte »ernsthafte Konsequenzen« gegenüber Russland.
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