Obdachlose verboten

Privater Sicherheitsdienst vertreibt wohnungslose Menschen vom Hansaplatz

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist ein warmer Sommerabend auf dem Hansaplatz in Berlin-Mitte. Vor den Imbissen in der Passage sitzen vereinzelt Leute und trinken Bier. Auch vor dem Supermarkt wird Bier getrunken - allerdings ist dies den sich dort aufhaltenden Obdachlosen im Gegensatz zu den Imbissbesucher*innen untersagt. Eine neue Platzordnung, die die Shopping-Center im Hansaviertel GmbH herausgegeben hat, untersagt Alkoholkonsum außerhalb von Gastronomien. Auch Nächtigen und Betteln sowie »unnötiger Aufenthalt« sind untersagt. Durchgesetzt werden die Regeln von einem privaten Sicherheitsdienst, der vor allem die Obdachlosen immer wieder von ihrem angestammten Platz vertreibt.

Dass ein Unternehmen auf seinem Privatgrundstück Regeln aufstellt und diese auch durchsetzt, ist an sich nicht ungewöhnlich. Doch beim Hansaplatz handelt es sich zum Teil um öffentlichen Raum - und hier gelten normalerweise die Gesetze des Landes Berlin beziehungsweise des Bundes. Alkohol- oder Bettelverbote sind darin nicht enthalten.

»Die Platzordnung gilt aber nicht nur für das Privatgelände, sondern auch für den öffentlichen Raum«, empört sich Andreas Abel, Straßensozialarbeiter beim Verein Gangway. Für Abel ist das Aufstellen von Regeln für einen öffentlichen Platz durch ein Privatunternehmen eindeutig ein Verstoß gegen das Grundgesetz. »Obdachlosigkeit ist nicht verboten«, stellt er klar. »Es kann nicht einfach jeder seine eigenen Gesetze machen.« Für den Sozialarbeiter, seit acht Jahren rund um den nahe gelegenen Bahnhof Zoo im Einsatz, ist das Ziel der Maßnahme klar: »Es geht darum, obdachlose Menschen zu vertreiben.«

Die Platzregeln und der private Sicherheitsdienst sind für Gangway jedoch nur ein Teil des Problems. »Dass hier jemand ganz offensichtlich seine Kompetenzen überschreitet, ist das eine. Skandalös ist jedoch, dass das Bezirksamt Mitte dies nicht nur duldet, sondern aktiv unterstützt«, sagt Juri Schaffranek von Gangway. 40 Prozent der Kosten, die für den Platzdienst anfallen, werden nämlich vom Bezirk übernommen.

Der Bürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, sieht darin kein Problem. Der Bezirk übernehme einen Kostenanteil für die Kontrolle der öffentlichen Flächen, teilt der Grünen-Politiker auf nd-Anfrage mit. »Seit Jahren beschweren sich Anwohnende sowie Gewerbetreibende am Hansaplatz über problematisches Verhalten einiger Gruppen und Einzelpersonen, die sich sehr aggressiv verhalten und diese zum Teil auch körperlich bedrohen«, so von Dassel. Hinzu kämen Gewaltvorfälle unter den wohnungslosen Menschen und »eine fortwährende Verschmutzung, auch mit Fäkalien, von öffentlichen Aufenthaltsbereichen«.

Die Maßnahme will er trotzdem nicht als klassischen Sicherheitsdienst, sondern als »gewaltpräventiven Ansatz« verstanden wissen: »Der Platzdienst verfügt über ein internationales, speziell geschultes Personal, das bei alltäglichen Konflikten und Regelverstößen regulierend und deeskalierend einschreitet.« Der Dienst, der dreimal die Woche vor Ort ist, arbeite eng mit Polizei und Bezirk zusammen und stoße bei Anwohnenden und Gewerbetreibenden auf positive Resonanz. Auch zu einigen der Obdachlosen habe er wegen seiner Mehrsprachigkeit ein Vertrauensverhältnis aufbauen können.

Vor Ort ergibt sich ein anderes Bild. Befragt, ob er schon etwas von dem neuen Platzdienst mitbekommen hat, winkt einer der Obdachlosen vor dem Supermarkt ab. »Schlimme Leute«, sagt er. »Die kommen einfach so und vertreiben uns, ohne dass wir etwas gemacht hätten.« Seit 20 Jahren halte er sich hier auf, erzählt der nicht mehr ganz nüchtern wirkende Mann - und auf einmal soll das nicht mehr in Ordnung sein? »Wir sind ganz friedlich und machen auch keinen Dreck«, beteuert er. Vor ihm liegen ein paar Verpackungen und leere Kippenschachteln. »Das war ich nicht, ehrlich«, sagt er lachend.

Es ist nicht das erste Mal, dass Bezirksbürgermeister von Dassel mit seiner rigiden Vorgehensweise gegen Obdachlose auffällt. In den letzten Jahren hat der Bezirk mehrfach Obdachlosencamps räumen lassen und dafür heftige Kritik geerntet. Auch der Konflikt um die Obdachlosen am Hansaplatz ist nicht neu. Der einstige Kältebahnhof wurde auf Druck einer Bürgervereinigung in einen »Kulturbahnhof« umgewandelt, erzählt Streetworker Andreas Abel. »Kultur ist da bis heute keine drin.« Auch damals sei es einzig um die Verdrängung der Obdachlosen gegangen, glaubt er.

In den letzten Jahren sei es ruhiger geworden auf dem Hansaplatz, der einst als sogenannter kriminalitätsbelasteter Ort galt. »Es gibt weniger Obdachlose, weniger Kriminalität, dafür wird das Geschrei darum immer lauter«, sagt Abel. Zwei bis drei Leute würden sie meist rund um den U-Bahnhof antreffen, manchmal auch niemanden. »Am Bahnhof Zoo haben wir das 20-fache Aufkommen an Obdachlosen.« Dass es trotzdem zu Konflikten kommen kann, will der Sozialarbeiter nicht abstreiten. »Ich kann die Beschwerden verstehen, aber den Umgang damit nicht«, sagt Abel. »Die Lösung kann nicht sein, die Leute einfach wegzuschicken.«

Im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, zu dem sein Arbeitsschwerpunkt am Bahnhof Zoo gehört, gebe es einen anderen Umgang mit Obdachlosen, erzählt Abel. Während Mitte den Leuten von Gangway mangelnde Kooperation vorwirft, weil sich diese laut eigenen Angaben nicht für ordnungspolitische Aufgaben instrumentalisieren lassen möchten, gebe es dort guten Kontakt zum Ordnungsamt. Bei Problemen wie zu viel Müll oder Lärm gäben die Mitarbeiter den Streetworkern Bescheid, damit sie mit den Obdachlosen reden und diese die Missstände beseitigen können, statt einfach gleich zu räumen. »Das ist in Mitte völlig anders. Es ist egal wie die Obdachlosen sich verhalten, sie werden trotzdem vertrieben.«

Der Hansaplatz ist nicht der erste öffentliche Ort, auf dem der private Sicherheitsdienst eingesetzt wird, auch auf dem Leopoldplatz im Wedding war dieser schon aktiv - erfolgreich, wie von Dassel betont. Nach jahrelangen Konflikten zwischen Anwohnenden und Obdachlosen war dies Teil der Umgestaltung des Leopoldplatzes. Im Gegensatz zum Hansaplatz war dem aber ein langer Dialog mit allen Beteiligten vorausgegangen, bei dem gemeinsam Regeln erarbeitet wurden, sagt Abel.

Der Bezirksbürgermeister will die Bedenken von Gangway nun prüfen und kündigt an, die Platzordnung zu überarbeiten und anzupassen. Der Straßensozialverein will seinerseits das Vorgehen des Bezirks juristisch prüfen lassen und erwägt, dagegen zu klagen. Dabei haben beide Seiten eigentlich das gleiche Anliegen. »Ziel des Bezirks ist es, Plätze für alle Nutzergruppen, unabhängig von ihrem sozialen und finanziellen Status zu schaffen«, sagt von Dassel zu »nd«. Das will auch Gangway, nur mit anderen Mitteln. »Wir müssen den Hansaplatz wieder zu dem machen, wofür er geschaffen wurde - zu einem Ort der Begegnung«, sagt Abel.

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