Den Wunsch der KZ-Opfer stur ignoriert

Oranienburgs Stadtparlament beschließt umstrittene Benennung von Straßen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Alle Bemühungen, alles Reden, alle Unterschriften und Protestnoten waren vergeblich. Weil Oranienburgs Linksfraktionschef Ralph Bujok es ahnte, sagte er vorsorglich bereits vor der Abstimmung der Stadtverordneten, er schäme sich für einen solchen Beschluss und entschuldige sich, dass die Linke es leider nicht verhindern konnte.

Am Montagabend um 22.05 Uhr entschied das Stadtparlament, im neuen Wohngebiet Aderluch nur zwei von acht Straßen nach Naziopfern zu benennen: eine nach einer sowjetischen Zwangsarbeiterin und die zweite nach Rosa Broghammer, die im Konzentrationslager gelitten hat, weil sie ein Kind mit einem französischen Kriegsgefangenen hatte, und die im Sommer 1945 an den Folgen der Haft starb.

Die Gedenkstätte Sachsenhausen und das Internationale Lagerkomitee (IKS) hatten eindringlich dafür geworben, alle acht Straßen nach einstigen Häftlingen zu benennen. Denn im Aderluch befand sich ab Oktober 1942 das Außenkommando Zeppelin. KZ-Häftlinge mussten dort Ballons fertigen und reparieren, mit denen der Anflug feindlicher Flugzeuge behindert werden sollte. Doch die Straßennamenkommission des Parlaments hatte sich bereits auf andere Namen festgelegt, bevor sie von dem historischen Hintergrund Kenntnis erhielt. Danach machte sie nur noch die genannten zwei Zugeständnisse.

Auch eine zu Beginn der Stadtparlamentssitzung in der MBS-Arena überreichte Petition des Wissenschaftlers Henning Schluß änderte nichts mehr. 1055 Menschen aus dem In- und Ausland hatten unterschrieben, darunter 147 Oranienburger, ein zukünftiger Bewohner des Aderluchs und die Tochter eines luxemburgischen KZ-Häftlings. Der Beschluss füge den Überlebenden und ihren Angehörigen »tiefe Verletzungen zu, die lange nachwirken werden«, erklärte IKS-Vizepräsident Andreas Meyer. Für zusätzlich Verbitterung sorgte, dass eine Straße nach Gisela Gneist benannt wird. Sie war nach dem Zweiten Weltkrieg als 14-Jährige im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen interniert worden. Linksfraktionschef Bujok erzählte, sein Schwiegervater sei im Speziallager eingesperrt gewesen. Doch dieser habe gewusst, dass dieses Lager und das KZ nicht gleichzusetzen seien. Mit den Worten »Wassersuppe anstatt Zyklon B« soll Gneist aber die Ereignisse vor und nach 1945 gleichgesetzt haben.

Dieser Darstellung widersprach der Stadtverordnete Michael Ney (CDU), der Gneist noch persönlich kennengelernt hatte. Keine der gegen sie erhobenen Anschuldigungen sei bewiesen. Gneist habe als 14-Jährige zu einer Gruppe von 27 Jugendlichen gehört, die protestierten, als in ihrer Heimat Wittenberge ein vormaliger Führer der Hitlerjugend in den Antifaausschuss gewählt wurde. Die Jugendlichen seien verhaftet, teils erschossen worden. Gneist habe immer anerkannt, dass es das sowjetische Speziallager ohne die Nazidiktatur zuvor nicht gegeben hätte, so Ney. Russland habe Gisela Gneist in den 1990er Jahren rehabilitiert.

Es sollten Orte mit Bezug zum KZ grundsätzlich nicht nach Häftlingen des Speziallagers heißen, meinte Petra Klemp, Fraktionschefin der Grünen. Sie wollte statt der Gisela-Gneist-Straße eine Marianne-Leiss-Straße. Das polnische Mädchen war im Alter von zweieinhalb Jahren im KZ ermordet worden. Doch Klemps Antrag wurde abgelehnt.

Nach dieser Logik könnte keine Straße nach einem Speziallagerhäftling benannt werden, erklärte der Stadtverordnete Thomas Ney - Pirat, Geschichtslehrer und verwandt mit Michael Ney. Er sprach von 89 Orten im Stadtgebiet, an denen in der Nazizeit Menschen erniedrigt worden sind und zeigte dazu eine fast komplett rot eingefärbte Karte.

Dass es nun eine Straße zu Ehren der früheren Oranienburger SED-Bürgermeisterin Hildegard Busse geben wird, damit hat CDU-Mann Michael Ney kein Problem - trotz »unüberwindlicher weltanschaulicher Differenzen«. Auch Busse hat er persönlich gekannt. Sie habe sich nichts vorzuwerfen für ihr Handeln vor und nach 1989, versicherte Ney. Es störe ihn nicht, ihr Respekt zu erweisen. Gleiches hätte er aber von der Linkspartei bei Gneist erwartet, sagte er.

Die Linke beteuerte, sie wolle die Namen von Gneist, Busse und weiteren Frauen lediglich für andere Straßen aufheben. Ein diesbezüglicher Antrag der Linksfraktion, der auch vorsah, der Gedenkstätte einen Sitz in der Straßennamenkommission einzuräumen, fand jedoch keine Mehrheit.

Beschlossen wurde dagegen, den an der Zufahrt der Gedenkstätte gelegenen Parkplatz für Reisebusse zu verlegen. Anwohner fühlen sich von Lärm und Abgasen gestört, weil wartende Busfahrer an heißen Tagen wegen der Klimaanlage die Motoren laufen lassen. Die Gedenkstätte will aber alle Besucher über die historische Lagerstraße eintreten lassen. Die Verlegung der Stellplätze verträgt sich nicht damit. Darum stimmte die Linke nicht zu. Grundsätzlich wolle man stets Lösungen im Einvernehmen mit der Gedenkstätte, so Ralph Bujok.

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