Die Luft nach oben

Wie sollen Musiker noch Geld verdienen? Die Onlineplattform Patreon organisiert für sie Abos

  • Jakob Buhre
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass die Pandemie die Kreativbranche besonders hart trifft, ist inzwischen tägliche Gewissheit. Erst kürzlich berichtete Sänger Dirk Jora in dieser Zeitung von seinem Antrag auf Hartz IV - wie die meisten Musiker erzielt auch seine Band Slime die Haupteinnahmen mit Live-Auftritten. Der Verkauf von physischen Tonträgern bringt immer weniger Geld, noch weniger lässt sich mit Klicks bei Spotify oder Youtube verdienen.

Es war der Frust über ebenjene niedrigen Streaming-Einnahmen, der 2013 zur Gründung der Onlineplattform Patreon führte. Damals hatte der kalifornische Singer-Songwriter Jack Conte sein Konto geplündert, um auf eigene Faust mit einem aufwendigen Musikvideo einen Youtube-Hit zu landen. Tatsächlich erreichte er mit dem Dancefloor-Rock-Stück »Pedals« ziemlich schnell die Marke von einer Million Klicks - wofür ihm das Portal jedoch nur magere 166 Dollar überwies.

»Das brachte mich zum Nachdenken«, erzählt Conte. »Es hat mich angewidert, zu sehen, wie wenig Kreative in dieser Welt wertgeschätzt werden. Wir füllen das Internet mit Leben, aber selbst davon leben können wir nicht.« Also rief er mit seinem Mitbewohner Sam Yam Patreon ins Leben, eine »Social Payment«-Plattform, auf der sich Musiker direkt von ihren Fans unterstützen lassen können, in Form von monatlichen Abos. Und nicht nur Conte fand seitdem über die Website viele Abonnenten. Mittlerweile sind über 150 000 »Creators« registriert, die von vier Millionen »Patrons« unterstützt werden, mit 500 Millionen Dollar allein im Jahr 2019.

Dabei ist das Modell Crowdfunding ja keineswegs neu, die Einstürzenden Neubauten etwa finanzieren schon seit 2002 ihre Album-Produktionen direkt aus Fanspenden. Doch in der Coronakrise muss mit einem Schlag eine Vielzahl von Musikern das eigene Finanzierungsmodell mindestens überdenken. »Für die meisten Künstler wird jetzt sehr sichtbar, auf wie wackeligen Beinen ihre Existenz steht«, erzählte unlängst Judith Holofernes dem Internetdienst laut.de. »Glücklicherweise macht die Krise diesen Umstand aber auch für die Fans sehr sichtbar, und es entsteht eine Solidarität, die vorher noch nicht so gefestigt war.« Die frühere Sängerin von Wir sind Helden sammelt seit Ende 2019 Spenden bei Patreon und produziert im Gegenzug Erklär-Videos oder beantwortet Fan-Fragen. »Es ist eine gute Zeit, um sich direkt mit seinen Fans zu verbinden und sie um Unterstützung zu bitten.«

Laut Patreon-Gründer Conte haben sich in der Pandemie seit der Schließung von Clubs und Konzertstätten dreimal mehr Menschen als sonst üblich auf seinem Portal registriert. Darunter ist auch die norwegische Band Kakkmaddafakka. Mit 90 Online-Unterstützern ist freilich noch viel Luft nach oben, doch bereits nach zwei Monaten reichen die Abo-Spenden zumindest mal, um laufende Studiokosten zu decken.

Allerdings zeigt sich auf Social-Payment-Portalen wie Patreon oder dem 2017 in Berlin gestarteten SteadyHQ auch, dass zu den Bestverdienern vor allem solche Kreative zählen, deren Plattform von Anbeginn das Netz war: Podcaster, Youtuber oder Blogger wie zum Beispiel Brandon Stanton, der mit seiner populären Porträtserie »Humans of New York« inzwischen ein Monatseinkommen im fünfstelligen Bereich erzielt. Ähnlich gut steht die Ukulele-Spielerin Cynthia Lin da, die sich ihren großen Unterstützerkreis allein mit Coverversionen auf Youtube erspielt hat. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass nun auch viele andere Musiker die konzertfreie Zeit nutzen, um sich eine Expertise beim Online-Aufbau einer Fangemeinde anzueignen - und sich möglicherweise auch die Frage stellen, ob es den Deal mit der Plattenfirma noch braucht.

Dass große Stars, die aufwendige Studioproduktionen und Tourneen vorfinanzieren müssen und deren Musik mit viel Marketing-Tamtam beworben und vertrieben wird, allein auf das Unterstützer-Modell setzen, scheint eher fraglich.

Der Hamburger Musiker Jan Delay etwa winkt beim Thema Crowd᠆funding ab: »Ich habe in letzter Zeit viel über dieses Modell nachgedacht, aber am Ende die Entscheidung getroffen, dass das nichts für mich ist. Ohne Plattenfirma, das würde bedeuten, dass ich viel mehr Dinge selbst machen muss und sehr viel mehr in der Verantwortung stehe, für eigene Mitarbeiter. Mit 20 Jahren macht man so was sicherlich eher, aber jetzt habe ich zu viele andere Dinge um die Ohren«, so Delay bei einem Pressetermin im Juni in Berlin. Doch für kleinere Bands, die im Wesentlichen von der Bühne in den Mund leben, kann Social Payment eine gute Absicherung sein - mit der man dann vielleicht auch die nächste Pandemie ohne große Kratzer übersteht.

Vorgemacht hat das bereits die »DNA Lounge« in San Francisco: Obwohl der beliebte Club im März seine Pforten schließen musste, verbucht er weiterhin Einnahmen von rund 12.000 Dollar im Monat - ohne einen einzigen Gast, dem digitalen Förderverein sei dank.

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