Xi unterzeichnet Sicherheitsgesetz

China ergänzt Grundgesetz der Sonderverwaltungszone Hongkong

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit den Nachmittagsstunden am Dienstag teilen die Anhänger der Hongkonger Zivilgesellschaft einen Aufruf, Blumensträuße an den Ausgängen der Metrostationen niederzulegen. Mit der symbolischen Geste sollen nicht nur die Opfer der Protestbewegung im letzten Jahr betrauert werden, sondern auch der Tod des Prinzips »ein Land, zwei Systeme«.

Das Versprechen auf Autonomie hat Chinas Präsident Xi Jinping laut Ansicht vieler Hongkonger mit der Unterzeichnung des Nationalen Sicherheitsgesetzes am Dienstag zu Grabe getragen. Zuvor hatten die 162 Abgeordneten des Ständigen Ausschusses des Volkskongresses das Dekret einstimmig angenommen.

Während des Nationalen Volkskongresses Ende Mai in Peking hatte die Staatsführung das umstrittene Gesetz erstmalig angekündigt. In den kommenden Wochen wurde es in ungewöhnlicher Eile ausgearbeitet und nun verabschiedet, damit es pünktlich am 1. Juli - dem 23. Jahrestag der Übergabe Honkongs von den Briten an Festlandchina - in Kraft treten kann. Bisher bekannt ist, dass es gegen vier Straftatbestände vorgeht: Untergrabung der Staatsgewalt, Sezession, Kollaboration mit ausländischen Mächten und Terrorismus. Klar ist: Peking zielt mit dem Gesetz auf die Protestbewegung ab.

Nicht klar ist die konkrete Umsetzung: Möchte die Zentralregierung lediglich den radikalen, gewaltbereiten Kern der Bewegung ausschalten? Oder das gesamte prodemokratische Lager mundtot machen? Wird die Kommunistische Partei gar Gerichte in der Finanzmetropole installieren? In den letzten Tagen und Wochen haben chinesische Staatsmedien die westliche Kritik als übertrieben gewertet: Das Gesetz werde nur »eine kleine Anzahl« an Hongkongern überhaupt betreffen, hieß es immer wieder. Stattdessen würde es Recht und Ordnung sowie wirtschaftliche Prosperität wiederherstellen. Parlamentschef Li Zhanshu sagte, das Prinzip »ein Land, zwei Systeme« solle »in die richtige Richtung gesteuert« werden.

Doch die bereits bekannten Details des Gesetzes lassen einen gegenteiligen Schluss zu: So sollen einzelne Gerichtsverfahren auch von chinesischen Gerichten durchgeführt werden. Das Recht, das Gesetz zu interpretieren, liegt zudem beim chinesischen Volkskongress in Peking. Laut Angaben des Chefredakteurs der Parteizeitung »Global Times«, Hu Xijin, sei lebenslange Haft die mögliche Höchststrafe.

Von der Europäischen Kommission hagelte es deutliche Kritik. »Diese neue Gesetzgebung steht weder mit dem Grundgesetz Hongkongs noch mit Chinas internationalen Verpflichtungen im Einklang«, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel. China müsse mit »sehr negativen Konsequenzen« rechnen. Die Drohung dürfte jedoch eine leere sein: Dass europäische Mitgliedsstaaten oder gar die EU als Ganzes Wirtschaftssanktionen gegen Peking verhängen, gilt als absolut unwahrscheinlich. Innerhalb diplomatischer Kreise in Peking heißt es, dass direkte Konfrontationen in den laut Staatsführung inneren Angelegenheiten ohnehin kontraproduktiv seien und die Lage nur weiter verschärfen würden.

Aus Washington kommen bislang die stärksten Vergeltungsmaßnahmen. Die Regierung von Donald Trump hat bereits angekündigt, Visa-Beschränkungen gegen Chinesen im Zusammenhang mit dem Nationalen Sicherheitsgesetz einzuführen. Der US-Senat hat zudem eine Gesetzesvorlage eingereicht, die Sanktionen gegen chinesische Regierungsbeamte, Geschäfte und Banken vorsieht. Auch verbot die US-Regierung die Ausfuhr bestimmter Technologien nach Hongkong.

Bis Redaktionsschluss hielt Peking den Gesetzestext unter Verschluss: »Zum ersten Mal in Hongkongs Geschichte wurde ein Gesetz verabschiedet, von dessen Bestimmungen niemand in der Stadt weiß, nicht einmal die höchstrangige Regierungsvertreterin. Allein das beweist, dass Hongkong nicht länger autonom ist«, schreibt Alex Lam, Reporter bei der prodemokratischen Zeitung »Apple Daily«, auf seinem Twitter-Account. Ganz richtig ist das nicht: Ein paar wenige Regierungsvertreter Hongkongs sollen das Gesetz zuvor eingesehen haben.

Nicht allerdings Regierungschefin Carrie Lam, die jedoch wiederholt versicherte, dass das Sicherheitsgesetz nicht die rechtliche Unabhängigkeit von Hongkongs Gerichten antaste. Am Abend sagte Lam, sie hoffe, das Gesetz bringe Stabilität nach Hongkong, das seit vergangenem Juni von Antiregierungsprotesten geplagt sei.

Der 1. Juli ist der traditionell wichtigste Demonstrationstag des prodemokratischen Lagers. In diesem Jahr ist erstmals keine Protestveranstaltung genehmigt worden. Mitbegründer Joshua Wong, der den Austritt aus seiner Partei Demosisto und deren Auflösung bekanntgegeben hat, schrieb auf Twitter, das neue Sicherheitsgesetz stelle »das Ende von Hongkong dar, wie die Welt es bisher gekannt hat«.

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