Proteste gegen »Klimaverbrechen«

Aktivisten blockieren wegen geplanten Kohleausstiegsgesetzes bundesweit Parteizentralen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Was wollen wir? Klimagerechtigkeit! Wann wollen wir sie? Jetzt!« Rund 200 Aktivist*innen skandieren die bekannte Parole der Umweltbewegung am Mittwochmorgen vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin. Die Kohlegegner*innen von »Ende Gelände«, den »Anti-Kohle-Kidz«, der »Interventionistischen Linken« und »Extinction Rebellion« haben den Haupteingang der SPD-Parteizentrale nahe des Halleschen Tors blockiert. Dutzende sitzen auf dem Boden, sind umringt von Polizisten. Die Aktivist*innen haben Transparente gespannt. »Friede den Gruben, Stress den Palästen« steht auf einem Plakat, auf einem anderen »Fuck 2038«.

Das Plakat spielt auf das sogenannte Kohleausstiegsgesetz an, das am Freitag Bundestag und Bundesrat beschließen wollen. Demnach soll im Rahmen eines Fahrplans spätestens bis zum Jahr 2038 die Energiegewinnung aus der Kohleverbrennung beendet werden. Aus Sicht der Umweltaktivist*innen viel zu spät. »Das Kohleausstiegsgesetz verdient nicht seinen Namen«, sagt Ronja Weil von dem Bündnis »Ende Gelände« gegenüber »nd«. »Es sorgt nur dafür, dass diese tote Industrie noch 18 weitere Jahre durchgeschleppt und mit Milliarden Euro subventioniert wird.« Da die SPD mitregiere, habe vor allem sie die Möglichkeit, das Gesetz und damit das »Klimaverbrechen« zu stoppen.

Die Sozialdemokraten selbst sind dabei offenbar von ihrer Unterstützung für das Gesetz überzeugt, sprechen gegenüber Medien von einem »guten Kompromiss« mit der Union. »Auch die ›tote‹ Atomindustrie haben wir nicht etwa 19 Jahre ›durchgeschleppt‹, sondern Schritt für Schritt abgebaut und transformiert, und genau das ist jetzt auch unser Plan«, erklärte die SPD-Ko-Vorsitzende Saskia Esken in Reaktion auf die Kritik von »Ende Gelände«. »Ob wir dafür 18 Jahre brauchen oder früher fertig werden, bestimmen wir gemeinsam«, fügte sie hinzu.

Nicht alle wollen ihrer Argumentation folgen. »Das Kohleausstiegsgesetz ist auch ein dreifaches ›Fuck you‹: an die Klimagerechtigkeitsbewegung, an die junge Generation und an den Rest der Welt«, erklärte Tadzio Müller, Klimareferent der Rosa-Luxemburg-Stiftung während der Blockade gegenüber dem »nd«. »Wir sind sauer auf die Große Koalition, ein viel früherer Kohleausstieg ist notwendig«, sagte Lorenz Gösta Beutin, der klima- und energiepolitische Sprecher der Linksfraktion, bei den Protesten.

Die Kritik der Umweltschützer*innen traf dabei am Mittwoch auch die Konservativen. Mit 3000 Quadratmetern schwarzer Stoffbahnen hatten Aktivist*innen von »Greenpeace« die Glasfassade des Konrad-Adenauer-Hauses, der CDU-Parteizentrale in Berlin, am Morgen verhüllt. »CDU: Dunkle Geschäfte mit der Kohleindustrie - Kein Geld für gestern« stand auf einem Banner, das Kletter*innen zusätzlich anbrachten. Der Vorwurf richtete sich konkret an CDU-Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.

»Minister Altmaier hat mit der Kohleindustrie eine milliardenteure und zu lange Betriebsdauer für ihre besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke ausgehandelt«, sagte Karsten Smid, Greenpeace-Experte für Klima und Energie. »Das vorliegende Kohlegesetz verhöhnt den Klimaschutz.« Es müsse komplett überarbeitet werden, bevor darüber im Bundestag abgestimmt werden könne, so der Experte.

Ein Sprecher der CDU kommentierte nur die Kletteraktion, nicht aber das Gesetz: »Die Höhenrettung der Berliner Polizei hat die Damen und Herren von Greenpeace angewiesen, aus Sicherheitsgründen das Glasdach der Bundesgeschäftsstelle der CDU zu räumen. Demonstrationen sind aus Sicht der CDU legitim, aber Sicherheit geht vor.«

Auch in weiteren deutschen Städten demonstrierten am Mittwoch Umweltaktivist*innen gegen das Kohleausstiegsgesetz. In Hamburg, Göttingen und Hannover besetzten Aktivist*innen von »Extinction Rebellion« SPD-Parteizentralen.

Bereits vergangene Woche hatten Kohlegegner*innen in Tagebauen in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg Kohlebagger blockiert.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!