Das Territorium der Poesie verteidigen

Die ostdeutsche Autorin Elke Erb erhält den Georg-Büchner-Preis

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist die wichtigste literarische Auszeichnung in Deutschland. Bereits im August 1923 vom Volksstaat Hessen gestiftet und seit 1951 von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung alljährlich vergeben, geht sie erst zum elften Male an eine Frau. Und noch dazu an eine Dichterin aus Ostdeutschland, diesem in vielerlei Hinsicht mit Zurücksetzung bestraften Gebiet, obzwar »neue Bundesländer« doch so aufstrebend klingt. Mit der Entscheidung der Jury für Elke Erb, so überraschend sie manch einem auch erscheinen mag, stellt die Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung unter Beweis, dass sie sich nicht an Medienpräsenz, schon gar nicht an Verkaufszahlen orientiert, wobei sich in der Liste der Ausgezeichneten durchaus diesbezügliche Prominenz findet. Was zählt, ist literarische Qualität.

Da hebt die Jury ausdrücklich das Unverwechselbare, Eigenständige in Elke Erbs Lebenswerk hervor, »dessen Anfänge 1975 in der DDR lagen und das sich nach deren Ende unbeirrt bis in die Gegenwart fortsetzt. Elke Erb gelingt es wie keiner anderen, die Freiheit und Wendigkeit der Gedanken in der Sprache zu verwirklichen, indem sie sie herausfordert, auslockert, präzisiert, ja korrigiert.« Womit anklingt, dass diese Dichtung dem Gängigen auch etwas entgegensetzt. Dieses Eindimensionale hat es ja nicht nur in der ideologischen Verfasstheit der DDR gegeben. Heute spüren wir es mehr denn je in der Aufmerksamkeit heischenden Sprache der Medien, der Werbung und in der unvermeidlichen Verflachung der Kommunikation als Begleiterscheinung der Digitalisierung.

Da wird das Überdenken und Korrigieren einer Formulierung aus einer Selbstverständlichkeit für Schreibende zum Luxus, der trotzig zu behaupten ist.

Elke Erb, 1938 in Rheinbach, Voreifel, geboren, folgte 1949 mit Mutter und Schwester ihrem Vater, dem Literaturwissenschaftler Ewald Erb, nach Halle, wo dieser an der Martin-Luther-Universität tätig war. Sie studierte, Germanistik, Slawistik, Geschichte und Pädagogik, machte ihr Lehrerinnenexamen und arbeitete bis 1965 als Lektorin beim Mitteldeutschen Verlag, bevor sie sich als freiberufliche Schriftstellerin und Übersetzerin aus dem Russischen (von Marina Zwetajewa bis Oleg Jurjew verdanken wir ihr viel) selbstständig machte.

Dabei dauerte es noch Jahre bis zu ihren ersten Buchpublikationen: »Gutachten. Poesie und Prosa« (1975), »Einer schreit: Nicht!« (1977, bei Wagenbach, Westberlin, erschienen), »Der Faden der Geduld« (1978), »Trost« (1982, bei DVA in Stuttgart), »Vexierbild« (1983), »Kastanienallee« und »Gesichtszüge« (1987), wobei bemerkenswert ist, dass einige Bände damals nicht in der DDR, sondern in der BRD erschienen. Dahinter standen Konflikte und waren auch programmiert, die sie wohl aushielt, die aber auch bedrücken konnten. Wut auf erstarrte Verhältnisse - sich dem DDR-Literaturbetrieb abseits zu stellen, brachte wohl Gleichgesinnte, andererseits auch Harmonieentzug.

Auffällig durchaus eine lebendiger werdende Publikationstätigkeit ab 1991. Über zwanzig Bände sind seitdem erschienen, meist in dem kleinen Schweizer Verlag Urs Engeler Editor. Für ihre Kunst nahm Elke Erb in Kauf, dass manche ihrer Texte für ein Massenpublikum zu schwierig sein konnten. Denn darum ging es ihr ja gerade: Sprache intuitiv tastend in der Tiefe auszuleuchten, die »Dinge«, nur einen Hauch seitwärts gerückt, neu zu überdenken. Dadurch war ihr Werk immer auf hintergründige Weise subversiv. Querdenken und geradliniges Handeln - ein suchendes, selbstforschendes Schreiben, unbeirrt durch fremdes Urteil. Umso erfreulicher, dass die 82-Jährige, verbunden mit 50 000 Euro, jetzt die verdiente Ehrung erfährt.

»Für die unverdrossene Aufklärerin ist Poesie eine politische und höchst lebendige Erkenntnisform«, heißt es im Votum der Akademie. Auf die Büchner-Preis-Rede von Elke Erb am 31. Oktober in Darmstadt darf man gespannt sein. Über ein autonomes Territorium der Poesie verfügt sie wohl und weiß es zu verteidigen, doch das sie Umgebende hat sie immer auch auf scharfsinnige Weise zu durchschauen gewusst.

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