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Zweiter Anlauf: Seattle beschließt Amazon-Steuer
Extra-Steuer soll jährlich 200 Millionen US-Dollar einbringen, um gegen soziale Ungleichheit in Seattle vorzugehen
Ob sich Jeff Bezos rückblickend wünscht, er hätte lieber den Vorschlag für eine Amazon-Steuer von 2018 akzeptiert statt ihn durch eine Lobbykampagne im Stadtrat von Seattle zu Fall zu bringen? Wir wissen es nicht. Jetzt jedenfalls könnte es sein, dass Amazon viermal so viel zahlen muss. Am Dienstag hat der Stadtrat von Seattle im zweiten Anlauf eine Extra-Steuer für Großunternehmen beschlossen.
»JumpStart Seattle«-Steuer heißt der Vorschlag der progressiven Demokraten-Stadträtin Teresa Mosqueda. Mit sieben von neun Stimmen wurde er angenommen – eine Mehrheit, die ein Veto von Bürgermeisterin Jenny Durkan überstimmen könnte. Die Demokratin an der Spitze der Stadt lehnt das Projekt ab. Durkan hätte eine einprozentige Extra-Einkommenssteuer für alle Haushalte bevorzugt, um benötigte Zusatzeinnahmen für die Stadt zu generieren. Mit der neuen »Amazon-Steuer« - der Konzern hat seinen Hauptsitz in der Stadt - werden hohe Gehälter von Großunternehmen besteuert, die über sieben Millionen US-Dollar für Gehälter zahlen.
Nur Gehälter über 150.000 US-Dollar – die in der teuren Pazifikmetropole aber durchaus verbreitet sind, etwa bei Top-Programmieren von Tech-Unternehmen – werden demnach besteuert. Dazu werden die Unternehmen nach dem Umfang ihrer Lohnzahlungen in verschiedene Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe: Unternehmen wie Amazon, deren »payroll« bei über eine Milliarde Dollar liegt, müssen demnach eine Extra-Steuer von 1,4 Prozent auf alle Gehälter zwischen 150.000 und 399.999 und 2,4 Prozent für alle Mitarbeiter, die 400.000 Dollar oder mehr verdienen. Betroffen sind die größten Konzerne in der Stadt, etwa drei Prozent aller Unternehmen.
Die Steuer soll jedes Jahr rund 214 Millionen Dollar in die Kassen der Stadt spülen. In dieser Woche werden noch weitere Details besprochen werden, aber bisher ist geplant, die Mittel für Hilfe in der Coronakrise, zur Schaffung von bezahlbaren Wohnraum, Community-Investments und Green-New-Deal-Maßnahmen ausgegeben werden. Stadträtin Mosqueda erklärte nach der Abstimmung, die sei »ein großer Sieg« und »historisch«.
Sie spielt auf den 2018 gescheiterten Versuch an, mit einer Extra-Steuer den größten US-Konzern stärker in die soziale Verantwortung zu nehmen. Damals hatte eine knappe Stadtratsmehrheit für einen Vorschlag gestimmt. Eine Extra-Steuer von 275 Dollar pro Angestelltem hätten die 500 größten Unternehmen in der Stadt fortan jährlich zahlen müssen – eine verschwindend geringe Abgabe für einen Konzern wie Amazon, der in der Stadt Jahresgehälter für Programmierer und Analysten in Höhe von über 100.000 US-Dollar bezahlt. Mit einer massiven Lobbykampagne gingen Amazon und andere Großkonzerne dagegen vor, schon wenige Wochen später nahm der Stadtrat die Steuer wieder zurück. Bei den Stadtratswahlen im Herbst vergangenen Jahre versuchte Amazon dann relativ erfolglos, durch Wahlkampfspenden in Höhe von über einer Million Dollar an wirtschaftsfreundliche Demokraten für die Wahl eines dem Konzern genehmen Stadtrates zu sorgen.
»Die Anti-Amazon-Bewegung hat Geschichte geschrieben«, jubelte die sozialistische Stadträtin Kshama Sawant am Dienstag. Sie hatte ebenfalls für Mosquedas Vorschlag gestimmt, obwohl sie eine selbst einen noch aggressiveren Steuervorschlag vorgelegt hätte. Sawant gratulierte auch den »Hunderten, gar Tausenden Arbeitern, Gewerkschaftsmitgliedern, Progressiven und Vertreter von Glaubensgemeinschaften, die für eine Amazon-Steuer gekämpft haben«. Dass der Stadtrat nun »plötzlich« und unerwartet schnell die neue Steuer beschlossen habe, führt Sawant auch darauf zurück, dass Aktivisten 30.000 Unterschriften gesammelt hätten, um eine Amazon-Steuer per Volksabstimmung parallel zur Präsidentschaftswahl im November einzuführen.
Per Volksabstimmung könnte auch die Wirtschaftselite in der Stadt versuchen, eine Amazon-Steuer zu stoppen. Schon 2018 hatten Unternehmensvertreter gedroht, eine millionenschwere Kampagne dazu zu finanzieren – mehrere Demokraten-Stadträte knickten unter diesem Druck ein. Sollte es zu einer solchen Volksabstimmung gegen die Amazon-Steuer kommen, sei »die Bewegung« bereit, erklärte Sawant, in einem Beitrag für die linke Zeitschrift The Nation. Sie kritisierte auch, dass der Steuer-Vorschlag durch das Demokraten-Establishment »verwässert« worden sei und dass es Schlupflöcher gebe. Die Sozialistin will, dass Seattle wieder Vorbild für die Nation wird. Wie schon 2014, damals beschloss die Pazifikmetropole die Einführung eines Mindestlohns von 15 Dollar – andere Staaten, Städte und auch das US-Repräsentantenhaus zogen nach, teils erst Jahre später.
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