- Berlin
- Ausbildungsjahr 2020
Ausbildung retten trotz Corona
Gemeinsame Task Force von Senat und Sozialpartnern sucht Auswege für Azubis
Das Ausbildungsjahr 2020 beginnt in Kürze. Im Herbst werden Tausende Jugendliche ihre Berufsausbildung beginnen. Mit Stand Anfang Juni haben 7700 von ihnen einen Ausbildungsplatz, über 9300 suchen noch bei knapp 6900 freien Stellen. Berliner Unternehmen meldeten bei der Bundesagentur für Arbeit 2100 Ausbildungslätze weniger als im Vorjahr; ein Minus von 14 Prozent. Das ist eine Folge der andauernden Covid-19-Pandemie.
Die Auswirkungen sind sehr unterschiedlich. »In unserem Industriebereich, also der Lebensmittelindustrie, arbeiten die Kolleg*innen seit Beginn der Krise unvermindert weiter, teilweise noch mehr, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche«, sagt Sebastian Riesner, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Berlin und Brandenburg. Die Unternehmen fänden gar nicht so viele junge Menschen, wie sie Ausbildungsplätze haben.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Ganz anders sehe es im Hotel- und Gaststättenbereich aus. »Viele große Häuser sind seit Monaten geschlossen.« Tagungen und Messen finden nicht statt, und wenn, dann nur stark eingeschränkt. »Wenn du einen Raum hast, in den normalerweise über 200 Personen passen, sind es jetzt wegen der Abstandsbestimmungen höchstens noch 100«, sagt Riesner. Entsprechend weniger Übernachtungsgäste gibt es. Die gesunkenen Touristenzahlen kommen dazu. »Ein Hotel braucht eine Auslastung von 60 Prozent, um wirtschaftlich zu arbeiten. Vor der Krise waren es selten unter 85 Prozent Auslastung, derzeit melden uns die Hotels 5 bis 20 Prozent«, so der Gewerkschafter. Knapp 91 Prozent weniger Übernachtungen als im Jahr zuvor wurden im Mai in der Bundeshauptstadt gezählt, in Brandenburg waren es rund 66 Prozent weniger, wie das Statistische Landesamt Berlin-Brandenburg mitteilte.
Das Hotel »InterContinental« an der Budapester Straße hat nach Riesners Informationen alle 16 Auszubildenden nach einer zunächst verlängerten Probezeit entlassen. »Da kannst du als Gewerkschafter noch nicht einmal ›Skandal‹ schreien. Die Häuser kämpfen ums Überleben.«
Bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ist die Situation etwas entspannter - noch. »Wir stellen in den Branchen, in denen wir gut vertreten sind, für dieses Ausbildungsjahr kaum Unterschiede fest«, sagt Sprecher Andreas Splanemann. Besonders im Reisegewerbe, bei Busunternehmen oder im Einzelhandel rechnet Verdi aber mit einem »dramatischen Rückgang« der Ausbildungszahlen im kommenden Jahr.
»In der Metall- und Elektroindustrie sehen wir hier in den tarifgebundenen Unternehmen bisher keine dramatischen Verschiebungen«, sagt die Berliner IG-Metall-Chefin Birgit Dietze. Sie warnt angesichts der sinkenden Zahl von Ausbildungsplätzen, es dürfe nicht »im Reflex« falsch gehandelt werden. Die Ausbildung sei »immer und jederzeit eine der sinnvollsten Investitionen in die Zukunft«, so Dietze.
»Die Lage in Berlin ist angespannter als in Brandenburg«, erklärt Matthias Loke, Sprecher der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Arbeitsagentur. Das liege daran, dass Brandenburg »einen anderen Mix« aus Dienstleistung und Industrie habe, während Berlin stark auf Handel, Gastronomie und Tourismus setze. Die Agentur geht davon aus, dass die Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum in Berlin stärker sein werden als im Bundesdurchschnitt.
Nach dem ersten Treffen der Task Force aus Senat, Spitzen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sowie der Bundesagentur für Arbeit am Donnerstag geht es nun um konkrete Lösungen. Als Beispiel dient der Lehrbauhof in Marienfelde, eine seit Jahrzehnten bestehende, umlagefinanzierte zentrale Ausbildungsstätte der Bauwirtschaft, die allein seit 1991 rund 35 000 Auszubildende verschiedener Berufe durchlaufen haben.
»Wir haben hier die Verantwortung für eine ganze Generation«, sagte Arbeits- und Sozialsenatorin Elke Breitenbach nach dem Treffen zu »nd«. »Wir alle müssen einen Anstieg von Jugendarbeitslosigkeit verhindern«, hatte sie vorige Woche erklärt. Es müssten Lösungen für diejenigen gefunden werden, die im Zuge der Krise ihren Ausbildungsplatz verloren haben und die in Kurzarbeit sind.
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