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Mehr als nur eine »Causa Mbembe«

»Streitfall Antisemitismus« - Buchpremiere in Berlin mit Wolfgang Benz und Micha Brumlik

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

Ist der Philosoph und Historiker Achille Mbembe ein Antisemit? Diese Frage beschäftigte für einige Wochen Medien und Politiker*innen hierzulande. Seine Texte wurden inspiziert; es hagelte Proteste weil er die Ruhrtriennale eröffnen sollte, die wegen der Coronakrise dann sowieso abgesagt werden musste. »Als diese Debatte begann, hatten wir unser Buch eigentlich schon abgeschlossen«, sagte der Historiker Wolfgang Benz (Jg. 1941), langjähriger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, am Mittwoch im Literaturforum des Brecht-Hauses in Berlin. Dort stellte er gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler Micha Brumlik ein Buch vor: »Streitfall Antisemitismus«.

In 15 Kapiteln befassen sich Wissenschaftler*innen, Publizist*innen und mit Shimon Stein auch ein ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland mit der aktuellen Antisemitismusdebatte. Anlass war die Kontroverse um den ehemaligen Direktor des Jüdischen Museums, Peter Schäfer, dem vorgeworfen wurde, der Israel-Boykott-Kampagne (BDS) nicht entschieden genug entgegengetreten zu sein und in einer Ausstellung in seinem Haus zu stark die palästinensische Sichtweise berücksichtigt zu haben. Die umstrittene Exposition, die Schäfer schließlich zum Rücktritt zwang, wurde von Brumlik jedoch gelobt; er merkte allerdings an, dass ein Foto, das den Jerusalemer Großmufti Al Husseini dereinst im Gespräch mit Hitler zeigt und damit die historisch durchaus vorhandene Judenfeindschaft unter Arabern belegt, vielleicht manche Schärfe aus der Auseinandersetzung um die Ausstellung genommen hätte.

Der 1947 geborene Brumlik begründete sodann, warum er die aktuelle Debatte um die BDS-Kampagne als »Neo-McCarthyismus« klassifiziert. Dass es bereits genüge, wenn jemand Kontakte zu BDS-Unterstützer*innen hatte, um von Kongressen ausgeladen zu werden, diesen Zustand kritisiere er, so Brumlik. Er selbst unterstütze die BDS-Kampagne nicht und werfe dieser zudem vor, dass sie auch regierungskritischen Personen und Institutionen schade. Es müsse auch klar zwischen Antizionismus und Antisemitismus unterschieden werden. Brumlik sieht jedoch Schnittmengen, so etwa wenn Antizionist*innen das Existenzrecht des Staates Israel ablehnen. Eindeutig antisemitisch ist für ihn das Statut der Hamas und die Politik des iranischen Regimes, das Israel wiederholt als »Krebsgeschwür« bezeichnet habe. Deshalb habe er es auch für einen Fehler gehalten, dass der Direktor des Jüdischen Museums in Berlin seinerzeit den iranischen Kultur-Attaché eingeladen habe. Unterschiedlich bewerten Benz und Brumlik die Rolle des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein. Während Benz in ihm einen »Diplomaten« sieht, der seinen Job macht, wirft Brumlik jenem vor, nicht nur in der Causa Mbembe einen harten Ton angeschlagen zu haben.

Im vorgestellten Buch setzt sich Benz in einem Kapitel auch mit der Frage auseinander, ob es in der DDR Judenfeindschaft gegeben habe. Er bejaht dies, betont aber zugleich, dass die DDR kein antisemitischer Staat gewesen sei. Problematisch in der DDR sei allerdings die durchgängig ablehnende Haltung gegenüber Israel und die einseitige Parteinahme für die Palästinenser*innen gewesen. Auch dass man Antisemit*innen nur in der BRD verortet habe, sei falsch gewesen. Brumlik regte eine Untersuchung über die Behandlung des Holocaust in Schulbüchern der DDR an.

Leider kommt im Buch keine einzige Stimme aus der DDR zu Wort. Der Ostberliner Geschichtsprofessor Mario Keßler vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, Gastdozent unter anderem in New York, habe beispielsweise darauf verwiesen, dass - lange vor der Ausstrahlung der US-Serie »Holocaust« im westdeutschen Fernsehen und der damit in der BRD begonnenen Debatte - in der DDR bereits eine intensive künstlerische Verarbeitung des millionenfachen Mordes an den Juden stattgefunden hat. Das Stück »Die Ermittlung« von Peter Weiss etwa wurde 1965 zunächst in der Volkskammer und danach auf 15 Theaterbühnen der DDR aufgeführt.

Wolfgang Benz (Hg.): Streitfall Antisemitismus. Anspruch auf Deutungsmacht und politische Interessen. Metropol, 328 S., geb., 24 €.

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