Statt Geisterflügen nun Drohnenstarts
Forschungszentrum für unbemannte Flugobjekte soll dem sachsen-anhaltischen Cochstedt neues Leben einhauchen
Es war leise geworden um Cochstedt. Das Dorf im Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt verschwand aus dem Schlagzeilen. Schon lange liegt kein Dröhnen von Flugzeugturbinen mehr in der Bördeluft. Ab 1958 entstand hier ein Flugplatz der 16. sowjetischen Luftarmee. Er verfügte zuletzt über eine 2500 Meter lange Landebahn. Von hier starteten Jak-, MiG- und Suchoi-Maschinen. Später stationierte die Sowjetarmee dort eine Hubschrauberstaffel. Rund 15 Jahre nutzten die Moskauer Militärs den Flugplatz zwischen Aschersleben und Staßfurt als zentralen Punkt. Soldaten aus der Heimat ersetzten jeweils im Mai und November jene, die in die Reserve versetzt wurden. Am 7. Juli 1992 starteten die letzten Militärhubschrauber gen Osten.
1997 erfolgte der erste Spatenstich für ein Prestigeobjekt der damaligen Landesregierung, für das rund 83 Millionen Mark flossen. Vom »Airport Magdeburg Cochstedt International« kündeten dann selbstbewusst die Hinweisschilder. Doch es blieb ruhig im Luftraum über dem Salzlandkreis. Urlaubs- oder Linienflieger drehten nur eine große Schleife über Cochstedt. 2002 erfolgte die erste Bruchlandung.
Acht Jahre später erwarb ein dänischer Investor für 1,075 Millionen Euro den Flugplatz. Zur Wiedereröffnung des Flughafens flog der irische Chef von Ryanair Michael O’Leary im Till-Eulenspiegel-Kostüm ein - und narrte auch den damaligen Wirtschaftsminister und heutigen Regierungschef Reiner Haseloff (CDU). Ryanair- und Germania-Maschinen brachten Urlauber eher in homöopathischen Dosen nach Hurghada, Las Palmas und Girona, aber auch betuchte Shoppinggäste aus der Provinz nach München. Bis zur nächsten Pleite. 2016 folgte die Insolvenz. Danach nutzten Fallschirmspringer das Flugplatzgelände, und ein Radiosender lud zur »Nacktrodel-Weltmeisterschaft«.
Nun gibt es ganz andere Pläne für Cochstedt: »Wir haben den Traum von einem halbwegs rentablen Regionalflughafen aufgegeben, um eine neue Chance zu nutzen«, sagte vor einigen Tagen Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD) beim Besuch des Nationalen Erprobungszentrums für zivile unbemannte Luftfahrtsysteme. Das soll dort im Mai 2021 den Betrieb aufnehmen. »Mit der Ansiedlung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt haben wir den Flughafen Cochstedt aus dem Dornröschenschlaf geweckt.« Der Minister hofft auf einen »Leuchtturm für Zukunftstechnologien«, der auch für Start-ups interessant wird, zumal es Möglichkeiten zur Vernetzung mit dem Wissenschaftsstandort Magdeburg gibt. »Ich bin davon überzeugt, dass der Einsatz ziviler Drohnen in den nächsten Jahrzehnten zu den absoluten Wachstumsbereichen gehört«, sagte Willingmann.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hatte den Flughafen Mitte 2019 für knapp 16 Millionen Euro erworben. Das DLR selbst will dort mindestens zehn Millionen Euro in die wissenschaftliche und betriebliche Infrastruktur stecken und erhält den Kaufpreis in den nächsten Jahren vom Land in Raten als institutionelle Förderung zurück. Laut Wissenschaftsministerium sollen dort moderne Systeme für Kommunikation, Flugvermessung und Überwachung entstehen. Cochstedt gilt als wichtiges Element im Aktionsplan unbemanntes Fliegen, den die Bundesregierung am 13. Mai der Öffentlichkeit vorgestellt hat.
Dass künftig gerade im sachsen-anhaltischen Cochstedt Drohnen getestet werden, liegt an der Lage, der Verkehrsanbindung und der politischen Unterstützung, erklärte DLR-Präsident Rolf Henke. 20 Flugplätze quer durch Deutschland habe sich das Institut angeschaut. Keines der geprüften Objekte konnte mit Cochstedt mithalten. »Etwas flapsig formuliert, hier ist es so schön leer«, meinte der Professor. 10 mal 3,7 Kilometer dünn besiedeltes Gebiet garantiere, »dass bei den Testflügen niemandem etwas auf den Kopf fällt«, betonte der Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt, Thomas Jarzombek (CDU). Den Bernburger Provinzlandrat Marcus Bauer (SPD) freut es, dass seine Region endlich einmal von der Abgeschiedenheit profitieren kann, was sonst immer ein dickes Standortminus sei.
Für Jarzombek sind die Drohnen, die in Cochstedt erprobt werden sollen, keineswegs »Spielzeuge, sondern Dinge mit hohem gesellschaftlichen Nutzen«. Längst hilft Drohnentechnik Feuerwehrleuten bei der Lagebeurteilung. Oder Medifly-Drohnen sollen zum Einsatz kommen, wenn bei Patienten während der Operationen Gewebe untersucht werden muss, die Pathologie aber weit entfernt ist.
Wissenschaftler und Ingenieure müssen ihre Ideen in einer sicheren Umgebung testen können, um Drohnenanwendungen aus dem Labor in die Praxis zu holen. Erfolgreiche Tests gab es in Cochstedt bereits für den Prototyp einer Tragschrauber-Drohne, die bis zu 200 Kilogramm schwere Frachtstücke in niedrigen Flughöhen bis zu 500 Kilometer weit transportieren kann.
Der Leiter des Drohnentestzentrums, Jean Daniel Sülberg, will in Cochstedt die Forschung auf dem Gebiet der unbemannten Flugobjekte bündeln. »18 Institute des DLR treffen sich in der Cochstedter Praxis zusammen.« Dort werde alles zusammenlaufen, versprach er. Der Flughafen solle ein Freiraumlabor für die zivile Drohnenforschung werden. Die Entwicklung sei schnell, erklärte Sülberg: Schwebten derzeit Drohnen bis zu 150 Meter hoch, wolle man später bis auf 500 Meter Höhe unterwegs sein. Hier erproben künftig auch Firmen aus der freien Wirtschaft ihre Entwicklungen und können nicht nur die Infrastruktur des Flughafens nutzen, sondern dort auch die nötigen Zulassungsverfahren durchlaufen.
Sülberg betonte, dass in Cochstedt auch ein internationales Netzwerk bis hin zur US-Luft- und Raumfahrtbehörde NASA geknüpft werde. »Dabei spielt die Akzeptanz hier vor Ort eine große Rolle. Unsere Drohnenflüge werden nicht ohne das Einvernehmen mit den lokalen Naturschutzbehörden möglich sein.«
Durchstarten wollte das Drohnentestzentrum eigentlich schon im August, Corona verschiebt nun aber den Zeitplan.
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