Podcasterin Jenny mischt sich ein

Sie war ein Jahr AfD-Mitglied. Heute produziert sie Hörstücke über Demokratie.

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein paar Mal verhaspelt sich Jenny Günther. Sie bekommt beispielsweise das Wort »Kolonialisierung« nicht sauber über die Lippen. »Manchmal habe ich einen Knoten in der Zunge«, entschuldigt sich die 36-Jährige. Ihre Stimme klingt aber angenehm, und es ist interessant, was sie mit dem Soziologiestudenten Ole Nymoen bespricht - das bereits 2008 in deutscher Übersetzung erschienene Buch »Postdemokratie« von Colin Crouch. Günther ist keine professionelle Radiomoderatorin, nicht einmal ausgebildete Journalistin. Sie ist Beamtin im Finanzamt Calau und nebenbei Podcasterin. Das heißt, sie lädt Hörstücke ins Internet hoch. Die erste Folge ihres »Einmischen!«-Podcasts veröffentlichte sie am 22. Januar 2018. Damals fand sie nur sieben Zuhörer und hatte bei der Aufnahme nicht bedacht, dass im Hintergrund ihre alte Waschmaschine ratterte und den Ton verdarb. Inzwischen sind 113 Folgen online. Für Juni verzeichnet die Statistik 7793 Hörer und 6797 Abonnenten. Das sind für so ein Format sehr ordentliche Werte.

Beim »Einmischen!«-Podcast dreht es sich immer um Politik und Demokratie. Anfangs hielt Podcasterin Jenny - so nennt sie sich - nur Monologe, mittlerweile interviewt sie Politiker, Autoren sowie andere Podcaster und berichtet von Parteitagen. Stefan Schulz und Tilo Jung, die Macher des »Aufwachen!«-Podcasts, haben sie dafür begeistert, sagt Günther. Jung ist Journalist und bekannt geworden mit dem Format »Jung & Naiv«. Er habe sie 2018 zu einem Bundesparteitag der Linken in Leipzig mitgenommen und Leuten vorgestellt. Das habe ihr Türen geöffnet, sagt die 36-Jährige. Sie lobt, dass die Parteien offen gegenüber Bloggern und Podcastern seien. Diese dürften meistens auf die Presseplätze, auch wenn sie keinen Presseausweis hätten, wie ihn hauptberufliche Journalisten erhalten. Podcaster produzieren ihre Beiträge dagegen in der Regel in ihrer Freizeit. Günther verdient nichts damit, zahlt für ihr Hobby sogar noch drauf. Sie erhält viele kleine Spenden, die sich auf 100 oder 150 Euro im Monat summieren. Dafür schafft sie Technik an und bezahlt das Benzin, wenn sie zu Parteitagen fährt. Das gespendete Geld reichte dafür bisher nie.

Biografisches
  • Jenny Günther ist Jahrgang 1984 und stammt aus Jüterbog.
  • An der Universität Potsdam hat sie ein Studium der Politikwissenschaften abgeschlossen.
  • Um ein festes Einkommen und eine sichere berufliche Perspektive zu haben, absolvierte sie später ein duales Studium an der Fachhochschule für Finanzen des Landes Brandenburg in Königs Wusterhausen. Gegenwärtig ist sie am Finanzamt Calau eingesetzt.
  • Nachdem sie aus der AfD ausgetreten war, gönnte sie sich ein Jahr völlige Abstinenz von der Politik.
  • Im Bundestagswahlkampf 2017 ärgerte sich Jenny Günther darüber, wie wenig bei genauerem Hinsehen hinter den Versprechungen des SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz steckte, auf den viele erst so große Hoffnungen setzten, und wie wenig er sich im Kern von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unterschied, so dass die Wähler keine echte Wahl zwischen unterschiedlichen Ideen hatten.
  • Anfang 2018 startete Günther ihren Podcast »Einmischen!« mit einer ersten, 40 Minuten langen Folge. Alle 113 Folgen sind im Durchschnitt 122 Minuten lang – die Spanne reicht von 30 Minuten bis zu vier Stunden.
  • Aus privatem Interesse und um sich auf eigene Sendungen vorzubereiten, hört Günther zahlreiche Politik-Podcasts, darunter diverse Angebote der öffentlich-rechtlichen Radiosender, außerdem zur Unterhaltung Podcasts über Fußball. Sie hat sich angewöhnt, eine höhere Abspielgeschwindigkeit einzustellen, um mehr zu schaffen. af

Aber darum geht es Günther auch gar nicht. Sie interessiert sich für Politik, wird aber nach schlechten Erfahrungen wohl nie wieder in eine Partei eintreten. Der Podcast ist eine Art Ersatzhandlung, eine Möglichkeit, sich trotzdem zu engagieren, sich einzumischen. Das kam so: Ursprünglich hat Günther Politikwissenschaften an der Universität Potsdam studiert und brauchte vor dem Abschluss noch ein Praktikum. Als sie dafür Bewerbungsbilder machen ließ, kam sie ins Gespräch mit dem Fotografen, der ihr ein Praktikum in der CDU-Kreisgeschäftsstelle Teltow-Fläming vermittelte. Dort fand sie es »persönlich angenehm«, trat in die Partei ein und blieb fast sieben Jahre. Einige Zeit ist sie Wahlkreismitarbeiterin des Landtagsabgeordneten Sven Petke (CDU) gewesen. Schließlich sei es »persönlich unangenehm« geworden, sagt sie. 2016 trat Günther enttäuscht aus der CDU aus und in die AfD ein. Das nennt sie heute eine Kurzschlusshandlung. Andere CDU-Mitglieder wechselten die Partei damals auch oder tun es teils heute noch, oft mit der Begründung, CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel habe illegal die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet und konservative Werte verraten.

Bei Günther war das nicht der Grund. Sie teilte praktisch zu keinem Zeitpunkt irgendeine der für die AfD typischen Ansichten. Sie war lediglich mit den anderen Parteien unzufrieden und erinnert sich, bei einem Bundesparteitag der AfD gegen ein Verbot von Abtreibungen gestimmt zu haben. Ob sie dort zu anderen Fragen irgendwelche Beschlüsse mitgetragen hat, für die sie sich schämen muss, weiß sie nicht mehr. »Ich habe nicht nachgedacht«, bedauert Günther. Sie will sich nicht rausreden, sagt von sich aus, dass sie ja alt genug gewesen sei und es mit einem Abschluss in Politikwissenschaften besser hätte wissen müssen. Als junge AfD-Mitglieder in Chats antisemitische Bemerkungen machten, versuchte Günther, sie zur Vernunft zu bringen und erlebte heftige Reaktionen. Da reichte es ihr. Ein Jahr war sie in der AfD. Dann zog sie einen Schlussstrich. Dass sie jemals wieder in irgendeine Partei eintritt, will Günther nicht völlig ausschließen. »Man soll niemals nie sagen.« Aber das sei »sehr unwahrscheinlich«. Sie möchte jedoch niemandem abraten, sich einer Partei anzuschließen. »Die Demokratie in der Bundesrepublik ist nun einmal so angelegt, dass man in eine Partei eintreten muss, wenn man etwas bewegen will«, meint sie. Nur welche Partei, da solle jeder genau nachdenken - anders als sie es tat.

Günther hat ein gewisses Misstrauen gegen Politiker entwickelt. Früher hieß ihr Podcast außer »Einmischen!« noch zusätzlich »Politikbetreuung«, ungefähr wie betreutes Wohnen. Denn sie findet, die Bürger müssen den Abgeordneten auf die Finger schauen. Günther behauptet aber nicht, Politiker seien ausnahmslos schlecht. Sie fühlt eine Verantwortung ihren Hörern gegenüber, »und wenn es nur fünf wären«, journalistische Standards einzuhalten und fair zu berichten. So meidet sie nicht die CDU an sich, aber Parteitage der Brandenburger CDU, weil sie da befangen ist oder zumindest als befangen wahrgenommen werden könnte. Zur AfD geht sie grundsätzlich nicht.

Wie Günther soziale Fragen behandelt, lässt die Schlussfolgerung zu, sie stehe links. Sie selbst würde sich mittlerweise als »eher links« einstufen. Welche Partei sie bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr ankreuzt, weiß sie noch nicht. Zu den Landtagswahlen 2019 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen hatte Jenny gemeinsam mit Frank Staudinger den Podcast »Wahllokal Ost« produziert und dafür Wahlprogramme analysierte. Zur Bundestagswahl 2021 möchte sie das fortsetzen und aus jedem der zehn Brandenburger Wahlkreise einen Kandidaten befragen.

Einmischen!-Podcast im Internet unter: https://podcaste97de5.podigee.io

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.