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Chillen am Abgrund
Das Berliner Kulturzentrum Yaam kämpft um den Erhalt seines Standortes.
Corona zwang uns nicht in die Knie, dafür killt uns die Bürokratie?!» So steht es auf einem Banner, das die hölzerne Fassade des Yaam an der Schillingbrücke ziert. Damit spielt der Verein auf die überraschende Schließung des Hauptgebäudes vor zwei Wochen durch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg an. Der begehrte Spreeblick dort wird seither von einem Bauzaun beeinträchtigt. Doch die eingeschränkte Aussicht ist die kleinste Sorge des Vereins. Ein in Auftrag gegebenes Gutachten soll die Statik der versiegelten Halle überprüfen und Klarheit schaffen. Betreiber des Yaam ist der Kult – Verein für Jugendkultur.
«Das war ein Dämpfer, erst Corona und dann das», erinnert sich Yaam-Vorstandsmitglied Jamal. «Wir mussten innerhalb von fünf Stunden die Halle räumen, in der die Logistik und unsere Büros sind.» Anlass war ein statisches Gutachten, das die Spree-Ufermauer als einsturzgefährdet beurteilt. Der Berliner Bezirk ist Eigentümer des Geländes und für die Instandhaltung der Mauer verantwortlich. Aus Sicherheitsgründen wurden die angrenzenden fünf Meter mit einem Bauzaun abgesperrt – das 2,90 Meter entfernte Hauptgebäude fällt mit nur wenigen Überschneidungsmetern in das Sperrgebiet.
«Alles steht und fällt mit dem neuen Gutachten», berichtet Martin Gräff vom Treffen beim Bezirksamt Anfang der Woche. Man müsse erst Klarheit über die Schäden haben, um die Kosten und das weitere Vorgehen festlegen zu können. Der Bezirk arbeite unter Hochdruck, um die Sperrung der Halle aufzuheben, aber Sicherheit geht vor. «Das verstehen wir», sagt das Vorstandsmitglied, während auf der Spree-Seite des Bauzauns die Gefahrenzone mit Bojen und Schildern für den Wasserverkehr abgesperrt wird. «Es scheint wirklich akut zu sein», kommentiert Gräff die bauliche Situation.
Das schmale, aber weitläufige Ufergrundstück, auf dem der Verein seit fünf Jahren beheimatet ist, bricht mit dem glatten Stadtbild südlich des Ostbahnhofs. «Wir wollen hierbleiben», sagt Gräff. «Es ist wichtig, einen Platz in der Mitte der Stadt zu halten und nicht an den Stadtrand zu rücken.»
Dort, wo Hotels und Bürokomplexe das Friedrichshainer Spree-Ufer pflastern und Neubauten in die Höhe ragen, ist das Yaam in vielerlei Hinsicht ein Lichtblick. Entgegen der anonymen Nachbarschaft verbirgt sich hinter dem verhängten Lattenzaun ein Zufluchtsort: Young African Art Market. Das Yaam ist nicht nur eine Institution in der Berliner Clubszene, sondern auch ein multikultureller Safe Space. «Es ist ein multidimensionaler Ort der Gemeinschaft und des Zusammenkommens», erzählt Jamal. Das verwinkelte Gelände bietet vielfältige Nutzungsmöglichkeiten für Musik, Sport, Kinderfeste und Kulinarik – alles mit einem starken Afrikabezug.
Der alltägliche Betrieb im Außenbereich läuft eingeschränkt weiter. Man komme gerade so über die Runden, berichtet Gräff. «Im Sommer erwirtschaften wir normalerweise Rücklagen für den Winter. Das wird dieses Jahr schwierig», so das Vorstandsmitglied. Für den Juli ist es zu kühl und regnerisch – in den Außenbereichen bleiben die Gäste schnell aus. Wegen der Abstandsregeln musste die reguläre Besucher*innenzahl auf ein Drittel reduziert werden. Dennoch finden sich erste Gäste im Innenhof ein und genießen afrokaribisches Essen. Im hinteren Bereich des Geländes nehmen Kinder an einem Graffiti-Workshop teil. In weißen Schutzanzügen und mit Masken besprühen sie eigens dafür vorgesehene Pappwände.
Der Verein musste bereits mehrfach seinen Standort wechseln. Seit mehr als 25 Jahren werden die Angebote angenommen, darunter auch der Infopoint. «Dort leisten wir Hilfe für Migrant*innen», so Jamal. «Während Corona wurde eine Tafel eingerichtet, wir haben für die Menschen Essenstüten ausgegeben.» Beide Vorstandsmitglieder betonen die soziale Verantwortung des Vereins. Man brauche Planungssicherheit, wie einen langjährigen Mietvertrag. Derzeit fehle es an langfristigen Perspektiven inmitten eines durchgentrifizierten Stadtstreifens. «Wo sollen die Menschen sonst hin?», fragt Jamal.
Das Gutachten zur Statik der Halle soll bis Anfang August vorliegen, teilt der Bezirk mit. «Möglicherweise kann ein gesondert eingeschalteter Prüfstatiker vorher eine Aussage zur Gefährdung der Halle durch das marode Ufer treffen», sagte Sara Lühmann, Pressesprecherin des Bezirksamts, dem «nd».
Die bautechnische Problematik wurde bereits 2003 dokumentiert. Ein jahrelanger Rechtsstreit über die Sanierungskosten zwischen Bund, Land und Bezirk bremste allerdings das Vorgehen. «Die Liegenschaft, auf der das Yaam betrieben wird, wurde 2014 vom Land an den Bezirk übergeben», so Lühmann. Ein Urteil des Kammergerichts klärte Ende 2017, dass der Bezirk zuständig ist. Im Folgejahr begannen die Vorbereitungen für das Gutachten. «Die Ergebnisse liegen nun vor», teilt die Pressesprecherin mit. «Eine schnellere Vergabe/Beauftragung des Gutachtens war nicht möglich.» Gräff wünscht sich für das Yaam einen parteiübergreifenden Entschluss, bei dem die Eigeninteressen zurückgestellt werden. «Vielleicht können wir auf die Politik auch integrativ wirken.»
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