- Brandenburg
- Folgen der Coronakrise
Der Feind zu Hause
Angesichts wachsender häuslicher Gewalt fordert der Frauenpolitische Rat rasche Gegenmaßnahmen
Wäre morgen Landtagswahl in Brandenburg, dann hätten Männer und Frauen ungeachtet des Ausgangs die gleiche Anzahl an Sitzen. Vor wenigen Tagen ist im Land das Paritätsgesetz in Kraft getreten. Die Umsetzung ist ein bundesweit wichtiger Schritt - und doch wird die politische Beteiligung von Frauen eine von vielen Forderungen für Geschlechtergerechtigkeit bleiben, die das Gesetz längst nicht einlöst.
Was darüber hinaus wichtig ist, markiert ein Impulspapier des Frauenpolitischen Rates Brandenburg (FPR). Mit einem Katalog für »krisenfeste Geschlechtergerechtigkeit« richten sich der Rat und seine 23 Mitgliedsorganisationen an die Landesregierung. So wenig neu die Forderungen sind. Die Krise habe die Lage verschärft, sagt Pressesprecherin Verena Letsch. Denn den akuten Problemen, mit denen besonders Frauen in den vergangenen Monaten konfrontiert waren, lägen strukturelle Ungleichheiten zugrunde. Dass die Coronakrise Frauen besonders hart treffen würde, »war allen klar«.
Cottbus, Werder (Havel), Zossen. Drei Femizide. Drei Frauen, die vermutlich von ihren Partnern ermordet wurden, einfach weil sie Frauen waren, allein im Mai dieses Jahres, allein in Brandenburg. Die Anzeigen wegen häuslicher Gewalt lagen zwischen Mitte März und Mitte Mai um 22,5 Prozent höher als im Vorjahr. Etliche Stimmen hatten seit Beginn der Pandemie genau davor gewarnt.
Zwar werden erst die kommenden Jahresstatistiken Einblick in die tatsächlichen Zahlen gewähren, doch sind schon jetzt Effekte der Krise beobachtbar, erzählt Laura Kapp vom Netzwerk brandenburgischer Frauenhäuser. In den zwei Wochen nach dem Lockdown Mitte März habe es einerseits einen »spürbaren Rückgang« an Kontaktaufnahmen gegeben, andererseits gebe es seit den Lockerungen wieder mehr Anfragen. Aktuell registriere man »einen deutlichen Anstieg«.
Die coronabedingten Maßnahmen haben auch die Einrichtungen getroffen. Beratungsangebote mussten ein- oder auf digital umgestellt werden, Neuaufnahmen wurden durch den Infektionsschutz erschwert. Die Arbeitsplätze der Mitarbeiter*innen, die unter Tarif und auf Basis von Jahresverträgen »eh zu schlecht bezahlt« sind, könnten nun noch prekärer werden, so Kapp. Denn Frauenhäuser werden zu 40 Prozent aus kommunalen Mitteln finanziert - als freiwillige Leistungen. Kapp formuliert die Sorge der Einrichtungen so: »Die kommunalen Kassen werden nach der Krise leer gefegt sein - was, wenn in einem Dreivierteljahr die Häuser und ihre Projekte auf der Abschussliste stehen?«
Michaela Burkard vom Autonomen Frauenzentrum Potsdam sieht das ähnlich. Auch wenn die zum Zentrum gehörenden Einrichtungen - etwa Notunterkunft, Beratungsstelle und Mädchentreff - auf unterschiedliche Weise von den Maßnahmen betroffen waren, so eint die Mitarbeiter*innen die Sorge vor Kürzungen. Das »Risiko, dass es die Frauenprojekte trifft, ist hoch«, sagt Burkard. Verena Letsch sieht einen Widerspruch zwischen der hohen medialen Aufmerksamkeit für Schutzeinrichtungen während der Krise und den fehlenden politischen Konsequenzen. Deshalb fordert der FPR eine verpflichtende und über jährliche Verträge hinausgehende Förderung: ein Frauenhausfinanzierungsgesetz.
Ein weiterer Punkt ist das sogenannte Gender Budgeting. »Maßnahmen müssen darauf geprüft werden, welche Effekte sie auf Männer und Frauen haben«, so Letsch. Die notwendigen Schritte zur Eindämmung der Pandemie seien nicht geschlechtsspezifisch gedacht worden. Die Ursache erkennen die Einrichtungen in der mangelnden Beteiligung frauenpolitischer Positionen in den Krisengremien. In den Debatten um Eindämmungen und Lockerungen wurde schlichtweg »die Situation von Frauen verfehlt«, sagt Christiane Bonk von der LAG Kommunale Gleichstellungsbeauftragte. In der Paritätsdebatte gehe es generell darum, »die spezifischen Erfahrungen« von Frauen in die Kommunalpolitik einzubringen. In der Krise habe es also auch deswegen keine »zivilgesellschaftliche Frauenlobby« gegeben, weil dezidiert frauenpolitische Perspektiven in den politischen Gremien fehlen.
Zwar habe es mit dem Krisenstab - der nach Angaben des brandenburgischen Sozialministeriums zu etwa einem Drittel mit Frauen besetzt war und ist - eine »engmaschige Kommunikation« gegeben, wie Kapp erklärt. Das Gremium habe vom Netzwerk einen regelmäßigen Lagebericht eingeholt und »pragmatische, akute« Probleme bearbeitet - etwa die rechtzeitige Lieferung von Masken. An der Konzeption der Maßnahmen allerdings, die beispielsweise die sogenannten systemrelevanten Berufe in Pflege, Betreuung oder Einzelhandel sowie die private Sorgearbeit betreffen, »haben wir gemerkt, dass die Frauenperspektive fehlt«, sagt Burkard.
Deshalb greife auch ein Paritätsgesetz in der jetzt in Kraft getretenen Form zu kurz, bestätigt Bonk. Es brauche auch konkrete Programme für eine politische Beteiligung. Die Landesregierung soll deshalb kurzfristig »die Alltagsexpertise von Frauen und die Fachexpertise von Gender-Expert*innen« in »Entscheidungsgremien, Krisenstäben, Arbeitsgruppen« auf allen Verwaltungsebenen einbeziehen. Langfristig müsse etwa »die gesellschaftliche und politische Mobilisierung für Parität weiterhin mit Landesgeldern unterstützt werden«, heißt es im Impulspapier.
Weiterhin fordert der FPR die Kompensation von Betreuung etwa durch ein Corona-Elterngeld, die Aufwertung der systemrelevanten Berufe durch Tarifverträge und Nachwuchsförderung sowie wirtschaftliche Existenzsicherung unter Gleichstellungskriterien.
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