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Judenretter und NS-Beamter
In Osnabrück soll Gedenkstätte nach NS-Jurist Hans Calmeyer benannt werden. Aus den Niederlanden kommt Protest
Die »Villa Schlikker« in Osnabrück war in der Nazizeit die örtliche Zentrale der NSDAP. Die niedersächsische Stadt will in dem Gebäude ein »lebendiges Forum zur Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus« einrichten. Ein Konzept dafür wird ein wissenschaftlicher Beirat zusammen mit einer Agentur entwickeln. Das gaben Vertreter der Stadt am Montagnachmittag bekannt. Unter anderem soll darin eine Auseinandersetzung mit dem 1972 im Alter von 69 Jahren verstorbenen Osnabrücker Rechtsanwalt Hans Calmeyer stattfinden. Die ursprünglich von der Stadt geplante Benennung des Hauses nach dem Juristen, der von 1941 bis 1944 als Beamter mitverantwortlich für die Judenverfolgung war, im Rahmen seiner Möglichkeiten aber auch jüdischen Bürgern das Leben rettete, war auf der Pressekonferenz kein Thema mehr.
2017 hatte der Stadtrat beschlossen: Die Villa bekommt den Namen »Hans-Calmeyer-Haus«. Als »Rassereferent« der deutschen Besatzungsbehörde im niederländischen Den Haag hatte er von 1941 bis 1944 zu entscheiden, wer »deutschblütig« ist und wer nicht. Rund 3000 Juden bewahrte er durch Ausstellung falscher »Ariernachweise« vor dem Tod. Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ehrte ihn dafür 1992 mit dem Titel »Gerechter unter den Völkern«.
Doch insbesondere aus den Niederlanden kommt Kritik an dem Beschluss zur Namensgebung: Calmeyer habe dort auch rund 1500 jüdischen Bürgern jenen Nachweis verweigert, was einem Todesurteil gleichkam. Rund 250 Wissenschaftler und Künstler aus den Niederlanden appellierten Ende Mai in einer Petition an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Einrichtung der Osnabrücker Gedenkstätte nicht mit Bundesmitteln zu fördern, sofern diese nach Calmeyer benannt werde. Die Unterzeichner weisen darauf hin, dass der Jurist Teil eines »verbrecherischen Systems« und aufgrund seiner Position »an der Vernichtung von mindestens 104 000 in den Niederlanden ansässigen Juden« beteiligt gewesen sei.
Inzwischen hat die Stadt für Sanierung und barrierefreie Gestaltung des Gedenkorts vom Bund 1,7 Millionen Euro bekommen, die Kommune selbst beteiligt sich mit 200 000 Euro. Eröffnet werden soll das Haus 2023. Wie wichtig Orte sind, an denen an die Verbrechen der NS-Zeit erinnert wird, unterstrich Nils-Arne Kässens, Direktor des Museumsquartiers Osnabrück: »Wenn auch 75 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus weltweit Antisemitismus und Rassismus nicht gebannt sind, unterstreicht dies, wie unverzichtbar Bildungs- und Reflexionsorte für die Zukunft sind.« Und der Kulturdezernent der Stadt, Wolfgang Beckermann, betonte, am Beispiel Calmeyers lasse sich gut erörtern, welche Handlungsspielräume Menschen in der Nazizeit hatten.
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