- Politik
- Kohleausstieg in Deutschland
»Ein bunter Ort am Tagebausee«
Über das Leben in einem Dorf, das eigentlich der Kohle weichen sollte
Wie alt ist Ihr Vierseithof in Pödelwitz, auf dem wir gerade sitzen?
Jens Hausner: Er wurde vor 200 Jahren aus gerettetem Material eines anderen, abgebrannten Hofes im Ort errichtet. Zu den ältesten Gebäuden zählt er damit bei Weitem nicht. Unsere Kirche stammt aus dem 13. Jahrhundert. Das Dorf ist noch älter. Es hat die Form eines slawischen Rundlings, und die Slawen siedelten vor mehr als 1000 Jahren in unserer Region. Unsere Geschichte ist also lang ...
… hätte aber bald enden sollen.
Hausner: Wir leben ja am Tagebau »Vereinigtes Schleenhain«. Dessen Betreiber, die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (Mibrag), hätte das Dorf ab 2028 abbaggern wollen - obwohl der Ort im Braunkohleplan für den Tagebau formal gar nicht zum Überbaggern vorgesehen ist. Einen entsprechenden Antrag oder gar eine Genehmigung gibt es bis heute nicht. Notwendig war es ohnehin nie. Der Tagebau hätte das hiesige Kraftwerk Lippendorf auch so über die geplante Laufzeit bis 2040 voll versorgen können. Man wollte uns als Sahnehäubchen, um auf 70 Hektar zusätzlich Kohle abbauen zu können. Dafür gab es eine riesige Werbekampagne. In der Folge sprach sich eine Mehrheit im Ort für die Umsiedlung aus, und viele Pödelwitzer ließen sich aus ihren Häusern rauskaufen.
Die stehen nun leer. Wie lebt es sich in einem solchen Ort?
Franziska Knauer: Einerseits ist es ein wenig bedrückend. 80 Prozent der Häuser sind nicht bewohnt. Das prägt das Ortsbild. Die Mibrag hat ja den zweiten Schritt vor dem ersten getan und das Dorf leergekauft, bevor eine Abbaggerung überhaupt genehmigt war. Das hätte die Politik nie zulassen dürfen. Andererseits war es gut, dass diejenigen gegangen sind, die gehen wollten. Es hätte sonst keinen Frieden mehr im Ort gegeben. Die Braunkohlenindustrie trägt den Spaltpilz in Dörfer wie unseres.
Wie kommen die verbliebenen Einwohner klar?
Knauer: Das Dorfleben ist intensiver als je zuvor. Es ist familiärer; der Protest gegen die Kohle hat uns zusammengeschweißt und auch viel Kultur in das Dorf gebracht. Wer in Zukunft hierherzieht, findet eine intakte Gemeinschaft vor.
Gleichzeitig wirkt der Ort wie aus der Zeit gefallen, weil über viele Jahre nicht mehr investiert wurde.
Hausner: Klar, es gibt einen Investitionsstau. Viele Häuser sind seit fünf, sechs Jahren leer und entsprechend marode. Unsere Brücke harrt seit 20 Jahren der Sanierung. Da muss Geld investiert werden. Aber das ist ja da: Für den Strukturwandel durch den Kohleausstieg werden Milliarden ausgegeben. Wir denken, Pödelwitz könnte im mitteldeutschen Revier zum Synonym für gelebten Strukturwandel werden. Einiges passiert auch schon. Das Bürgerhaus wurde renoviert, die Straßenbeleuchtung wurde auf LED umgerüstet. Die Elektrik in der Kirche ist neu; drei Solaranlagen sind entstanden. Es könnte noch mehr sein, aber dazu brauchen wir Rechtssicherheit.
Was ist dafür notwendig?
Hausner: Pödelwitz ist im Braunkohleplan aktuell noch immer als »Vorbehaltsgebiet« für Braunkohleabbau ausgewiesen. Diese Formulierung muss gestrichen werden, was aber leider ein langer Weg ist. Zunächst musste der Bundestag die Gesetze zum Kohleausstieg und zum Strukturwandel beschließen. Nun müssen aber noch der Landesentwicklungsplan, die Pläne für die Regionalentwicklung und am Ende der Braunkohleplan angepasst werden. Unsere Anwälte sagen, dass wir erst 2021 Sicherheit haben werden. Man hätte das schon viel eher haben können. Man weiß seit Jahren, dass es energiepolitisch nicht notwendig ist, Pödelwitz abzubaggern.
Was bedeutet der Zeitverzug für Sie?
Hausner: Wir können keine Fördermittel beantragen, weil es noch nicht die dafür geforderte Planungssicherheit über 30 Jahre gibt. Das hemmt uns sehr. Da geht die Politik komplett an den Bürgern vorbei.
Formal mag Pödelwitz noch auf der Kippe stehen, faktisch ist es von der Schippe gesprungen: Der Kohleausstieg ist beschlossen; das Kraftwerk Lippendorf geht spätestens 2038 vom Netz; Sachsens Koalition aus CDU, Grünen und SPD will den Erhalt des Dorfes. Gibt es schon wieder Menschen, die hierherziehen wollen?
Knauer: Es gibt unheimlich viele Anfragen. Jedes Wochenende kommen junge Familien und schauen sich Häuser an. Wir sind 20 Kilometer südlich von Leipzig, wo Wohnungen und Häuser äußerst knapp sind. Hier steht ein Dorf, das nur etwa 20 Fahrminuten vom Leipziger Zentrum entfernt liegt, zu 80 Prozent leer. Das weckt großes Interesse und bietet große Chancen.
Welche Art Zuzügler würden Sie sich wünschen?
Knauer: Wir wünschen uns wie gesagt, dass Pödelwitz ein Modell für den Strukturwandel wird. Wir haben ein Maßnahme- und Positionspapier entwickelt, in dem viele Ideen formuliert sind. Zum Beispiel könnte hier eine Energiegenossenschaft entstehen, die eine autarke Energieversorgung gewährleistet. Und wir wünschen uns natürlich, dass Menschen hierherziehen, die dabei mitwirken wollen. Wir sind offen für Familien, für alternative Wohnprojekte, für Handwerker und kleine Unternehmen. Pödelwitz soll ein bunter, pluralistischer Ort sein; eine offene Gesellschaft im Kleinen.
Welchen Einfluss haben Sie darauf, wer hier Häuser kauft?
Hausner: Das Problem ist: Die Mibrag hat privatrechtliche Verträge mit den Vorbesitzern geschlossen; die Häuser gehören ihr. Wir wollen nicht, dass damit spekuliert wird. Wir möchten nicht, dass sich hier nur Leute einkaufen, die später teure Wohnungen am Tagebausee bauen wollen, der ja in 500 Metern Entfernung entsteht. Dass Pödelwitz erhalten blieb, ist faktisch unserem Kampf für den Erhalt des Ortes geschuldet. Nun wollen wir die Entwicklung auch mitgestalten. Den Anspruch erheben wir gegenüber dem Land, der Kommune und auch gegenüber dem Kohleförderer. Wir fordern ein Mitspracherecht.
Müssten die Immobilien also in eine Art Fonds überführt werden?
Knauer: Das gehört zu den schwierigsten Punkten der Wiederbelebung; das ist uns klar. Die Politik muss gemeinsam mit dem Kohleunternehmen eine Lösung finden. Vielleicht kommen die Häuser ja in eine Stiftung. Über die Vergabe könnte eine Art »Dorfrat« mitentscheiden. Schon unser jetziges Papier wurde von einer Arbeitsgruppe »Dorfentwicklung« geschrieben; es gibt also Strukturen. Was auf keinen Fall passieren darf: dass man über unsere Köpfe hinweg entscheidet.
Welche dörfliche Infrastruktur bräuchte Pödelwitz am dringendsten?
Knauer: Die Busverbindung ist leider stark ausgedünnt worden - das muss sich ändern. Wir brauchen endlich Mobilfunknetz. Wir sind nicht an eine zentrale Abwasserentsorgung angeschlossen, und die Förderung des Landes für die biologische Umrüstung von Kleinkläranlagen ist 2015 ausgelaufen. Da müsste für uns eine Lösung gefunden werden. Jetzt haben wir die Chance, den Ort wieder zu beleben und ihn schöner zu gestalten als zuvor. Das kann ein Beispiel werden für Kohledörfer in der Lausitz und im Rheinischen Revier - und nicht nur für diese. Es gibt die Chance, ein Dorf komplett neu zu planen und alles richtig zu machen, was im ländlichen Raum in Sachsen 30 Jahre lang falsch gelaufen ist. Das Leben findet ja nicht nur in den Großstädten und deren Speckgürteln statt.
Sie haben viele Jahre mit der Ungewissheit leben müssen, was aus Ihrem Ort wird. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Hausner: Der Tiefpunkt war 2012, als die Kommune und der Bergbaubetreiber den Vertrag über die Umsiedlung unterschrieben, über die Köpfe der Minderheit hinweg, die sich dem verwehrte. Da gab es Punkte, wo wir uns einer mächtigen Gegenseite sehr unterlegen fühlten. Wir haben dann eine gute Medienarbeit aufgebaut und Unterstützer gewonnen: bei Umweltverbänden, der Klimabewegung. Die Klimacamps 2018 und 2019 im Ort haben uns viel Kraft gegeben. Die vergangenen fünf Jahre waren für uns sehr positiv, weil wir gemerkt haben: Wir stehen nicht allein da.
Wie viel Zeit braucht der Strukturwandel in Pödelwitz?
Knauer: Da kann in vier oder fünf Jahren viel geschafft sein - wenn man es will. Wir als Einwohner wollen es. Nun müssen wir sehen, ob die Politik und der Kohleförderer das auch wollen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.