Ein Lockdown ist kein Planszenario

IHK-Präsidentin Beatrice Kramm über die Folgen der Coronakrise in der Hauptstadtregion

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 7 Min.

Der Corona-Lockdown hat die Dienstleistungsmetropole Berlin hart ausgebremst. Wie bewerten Sie die gegenwärtige Lage?

So etwas hat Berlin und die Welt noch nie gesehen: Nahezu jedes Unternehmen ist betroffen. Vor allem im Dienstleistungsbereich, der in Berlin traditionsgemäß stark ist. In dieser Branche geht es um die Begegnung von Menschen, in der Corona-Pandemie geht es aber um das Gegenteil, nämlich Distanz zu wahren. Damit liegt das Problem auf der Hand: Messen, Tagungen, Restaurants, Clubs, Discos, Reisen, das alles ist plötzlich nur noch sehr eingeschränkt möglich. Jede Woche Lockdown bedeutet eine Woche Einnahmeausfälle für die Unternehmen.

Beatrice Kramm
Beatrice Kramm ist seit März 2016 Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) – bis heute ist sie eine der wenigen Frauen in Deutschland, die an der Spitze eines Wirtschaftsverbandes stehen. Die 54-jährige promovierte Juristin und Filmproduzentin ist eine langjährige Kennerin der Berliner Wirtschaft. Über die Auswirkungen der Coronakrise, die Situation für Auszubildende und die ökonomischen Aussichten der Metropolregion Berlin und Brandenburg sprach mit der IHK-Präsidentin Martin Kröger.

Bislang ist Berlin ja vergleichsweise glimpflich durch die Krise gekommen.

Ja, vieles war richtig, was Berlin gemacht hat. Die Menschen haben die Maßnahmen ganz konsequent verfolgt. Dafür muss man ein ganz großes Kompliment aussprechen.

Bei Ihnen dürften sich dennoch recht schnell viele Unternehmen etwa aus der Gastrobranche gemeldet haben, um darauf zu drängen, dass gelockert wird, oder?

Genau gesagt 46 Prozent, also fast die Hälfte der Gastronomiebetriebe, haben Angst vor Insolvenz, das ergab unsere jüngste Konjunkturumfrage. Das heißt, trotz der Lockerungen sind wir noch nicht an dem Punkt, wo die Unternehmerin oder der Unternehmer positiv in die Zukunft schauen kann. Im Gastrobereich sieht es dabei sogar vergleichsweise besser aus als im Reise- oder Clubgewerbe. Onlineformate ersetzen nicht die soziale Begegnung.

Welche Aussichten haben die Clubs, wegen denen einst die Jugend der Welt nach Berlin pilgerte?

Mit Prognosen bin ich vorsichtig. Wir sehen in anderen Regionen, dass man nicht zu früh loslassen darf. Das Schlimmste wäre ein Superspread-Event in einem Berliner Club. Dann haben wir sofort einen großen Ausbruch in der Stadt. Und wovor wir alle Sorge haben müssen, ist ein zweiter Lockdown. Gleichzeitig müssen für Clubs aber längerfristig wirksame Brücken gebaut werden, um diese Substanz zu sichern.

Dennoch fordern Sie, dass die Behelfsklinik auf dem Messegelände wieder eingemottet wird. Dabei zeigen Beispiele wie Israel, wie schnell das Infektionsgeschehen zurückkehren kann. Ist es nicht besser, gewappnet zu bleiben?

Das Gesundheitssystem Berlins ist exzellent aufgestellt, darauf können wir stolz sein. Es war richtig, dieses Krankenhaus zu bauen, aber nur für einen vorübergehenden Zweck. Notfalls kann es auch schnell wieder aufgebaut werden. Das kostet Geld, aber noch mehr kostet es, wenn an dem Standort der Behelfsklinik weiterhin keine Messen stattfinden können. Von diesem Geschäft lebt mehr als die Messe Berlin, davon profitieren auch Gastronomie, Hotellerie und Einzelhandel. Wir müssen Optimismus verbreiten, dass es besser wird, davon lebt die Wirtschaft.

Als Berlin im März, anders als der Bund, schnell Soforthilfen für die Solo-Selbstständigen geschaffen hat, also auch für Messebauer, ohne die es keine Messe gibt, war von Ihnen zu hören, dass mittlere Unternehmen gestützt werden müssen. Hätten Sie nicht auch die Hilfen für die Kleinen begrüßen können?

Der Eindruck ist falsch. Die Zuschüsse für kleine Unternehmen und Solo-Selbständige waren wichtig. Und wir haben uns gefreut, dass Berlin so schnell über ein onlinegestütztes System geholfen hat. Aber bereits das Restaurant an der Ecke hat mehr als zehn Mitarbeiter. Wir haben nur darauf verwiesen, dass Kredite diesen mittleren Unternehmen nur begrenzt helfen. In Berlin sind 85 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Unternehmen mit zehn und mehr Mitarbeitern tätig. Das ist der klassische Mittelstand, auf den sollte der Fokus gelegt werden, das haben wir zuletzt bei Rot-Rot-Grün vermisst.

Aber Sie waren doch selbst Gast bei einer Krisensitzung im Roten Rathaus, und inzwischen gibt es neue Soforthilfen?

Mittlerweise ist das angekommen. Aber die Hilfe hätte bereits damals notgetan. Dennoch hat sich der Senat zunächst nur um die ganz kleinen Unternehmen mit einem eigenen Zuschussprogramm gekümmert. Das war für den Mittelstand eine Botschaft, die schwer zu verstehen ist.

Aber müssen solche Firmen nicht auch ein paar Rücklagen bilden? Die Party konnte nicht endlos weitergehen, wir hatten ein unglaubliches Wirtschaftswachstum gerade hier in Berlin.

Das haben sie auch gemacht, sonst wären ja alle bereits pleite. Jedes Unternehmen ist angehalten, Rücklagen zu bilden. Allerdings nicht für den Fall eines kompletten Lockdowns, der vom Staat verordnet wurde. Das ist kein Planszenario. Ein Lockdown führt zu keinem Umsatz, führt zu keinem Gewinn, führt zur Existenzbedrohung. Die Eigenkapitalrücklage ist eben in der Regel bei den besonders betroffenen Dienstleistungsunternehmen nicht groß. Die haben keine Maschinen, die haben eigentlich in der Regel nichts außer Computer - und Menschen.

Die finanzielle Lage der IHK hat sich im Vergleich zu früher stark verbessert. Müssen Sie nicht auch Ihre Sparschweine schlachten?

Wir haben unsere Beiträge in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich gesenkt. Unsere Rücklagen ermöglichen uns, jetzt weiterzumachen. Dennoch müssen auch wir mit weniger Budget planen. Dazu machen wir das, was jeder Unternehmer in der Krise macht: Wir priorisieren neu, stellen Projekte auf den Prüfstand und besetzen weniger Stellen nach.

Die Coronakrise wirkt sich auch auf die Aktivitäten der IHK aus. Wie funktionieren Ausbildungsmessen im virtuellen Raum?

Das Thema Ausbildung ist das wichtigste und zugleich meist unterschätzte Thema. Zurzeit sollen krisengeschüttelte Unternehmen ausbilden, und auf der anderen Seite gibt es einen Fachkräftemangel. Wie überbrücken Sie diese Lücke? Die meisten Betriebe versuchen, ihre Angebote für Azubis zu erhalten, weil sie wissen, dass sie die Leute brauchen, wenn die Wirtschaft wieder läuft. Bei einem insolventen Unternehmen hingegen geht das schwer.

Berlins Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke) hat in dieser Zeitung vorgeschlagen, dass das Land Berlin Azubis von insolventen Unternehmen übernehmen soll. Was halten Sie davon?

Ich begrüße alles, was jungen Menschen ermöglicht, eine Ausbildung zu beenden. Wir haben ja gemeinsam in der »Sonderkommission Ausbildung« beim Regierenden Bürgermeister verabredet, dass wir zusammen mit den Ausbildungsmarkt- Akteuren alles dafür tun werden, damit die jungen Leute ihren Abschluss erhalten. Und im Übrigen auch die Beitriebe ihre vielen Tausend Stellen besetzt bekommen, die es trotz der Krise gibt.

Das heißt, einen sogenannten Ausbildungspakt mit Senat, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sowie der Bundesagentur für Arbeit unterstützen Sie?

Sicher. Wir haben dazu in der Sonderkommission Ausbildung die Taskforce Ausbildung gegründet. Die Duale Ausbildung, zumindest der Fokus darauf, hat in den vergangenen Jahren gelitten, weil das Studieren für viele Absolventen vermeintlich attraktiver ist. Ich wünsche mir, dass es uns gemeinsam gelingt, alle Jugendlichen und die Betriebe bestmöglich zu begleiten. Wenn die duale Ausbildung nicht gut durch die Krise kommt, laufen wir auf ein Fachkräfteproblem zu.

Aber müssen die Unternehmen nicht auch bei den Ausbildungsplätzen nachsteuern, was Arbeitsbedingungen und Bezahlung angeht?

Die Unternehmen tun da viel mehr als in den letzten Jahren. Das Besetzungsproblem haben auch nicht die großen Arbeitgeber, sondern die kleineren und mittelständischen Betriebe, die weniger sichtbar sind. An dieser Stelle fehlen uns die Ausbildungsmessen, wo sich die Betriebe und die jungen Menschen tatsächlich begegnen. Wir werden sehen, wie das Ausbildungsjahr am 1. September beginnt. Vielleicht etablieren wir notfalls wie die Hotels am 1. Februar einen zweiten Ausbildungsbeginn.

Mit Blick auf 2021: Welche wirtschaftliche Perspektive sehen Sie für Berlin?

Ich hoffe, dass wir 2021 an die Erfolgsgeschichte vor der Coronakrise anknüpfen und wieder Wirtschaftswachstum generieren können. Es ist richtig, weiter darüber nachzudenken, wie wir bei den Themen Wissenschaft und Forschung weiterkommen. Die Universitäten mit ihren Exzellenzinitiativen und den Zigtausenden Studierenden können ein Wachstumsmotor sein. Der Schlüssel zum Erfolg ist auch, dass wir uns mehr Richtung Brandenburg öffnen und die gemeinsame Metropolregion strukturell weiterentwickeln.

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