Der Christchurch-Nachahmer von Halle

Neun Monate nach der Tat beginnt am Dienstag der Prozess gegen den Mann, der rechten Terror in eine Synagoge tragen wollte

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Holztür am Ende der Backsteinmauer um die Synagoge im Paulusviertel von Halle hielt den Schüssen stand, die Stephan B. gegen Mittag des 9. Oktober 2019 abfeuerte. Im Inneren des Gotteshauses feierten zu dem Zeitpunkt rund 50 Menschen den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Wäre die Tür nicht so stabil gewesen - in dem Prozess gegen den 28-jährigen Täter, der an diesem Dienstag in Magdeburg beginnt, wäre es aller Wahrscheinlichkeit nach um ein »Massaker unbeschreiblichen Ausmaßes« gegangen, »wie wir es in Deutschland noch nicht erlebt haben«. Diese Einschätzung traf Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, am Tag nach der Tat.

Diese ist dennoch abscheulich genug und wirft viele Fragen auf. B., der in Benndorf im Mansfelder Land lebte, war an jenem Mittwoch nach Halle gefahren, um seinen antisemitischen und rassistischen Hass in einem Blutbad auszuleben. Das legt ein Manifest nahe, das er kurz vor der Tat im Internet veröffentlichte. Der Anschlag war dort auch live als Stream von seiner Helmkamera zu verfolgen. In Vorgehen wie Motiv zeigten sich augenfällige Parallelen zum Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch am 15. März 2019, bei dem ein Rechtsterrorist zwei Moscheen attackiert und 51 Menschen getötet hatte.

Auch im Fall des Anschlags von Halle stellte Generalbundesanwalt Peter Frank am 10. Oktober klar: »Was wir gestern erlebt haben, war Terror.« Seine Behörde hatte das Verfahren umgehend an sich gezogen. Im Magdeburger Prozess vertritt sie auch die Anklage. Der gewichtigste Vorwurf gegen den Beschuldigten lautet indes auf zweifachen Mord: B. hatte vor der Synagoge die 40-jährige Jana S. erschossen und auf seiner Flucht vor der Polizei in einem Dönerimbiss den 20-jährigen Kevin S. Zudem wird B. versuchter Mord in 68 Fällen vorgeworfen, dazu unter anderem fahrlässige und gefährliche Körperverletzung sowie Volksverhetzung. Ihm droht lebenslange Haft. Im Prozess wird zu klären sein, wie sich der wohl allein handelnde Täter, der seine Waffen teils selbst baute, radikalisierte - und warum er den Sicherheitsbehörden nicht auffiel.

B. wurde einige Stunden nach der Tat in der Nähe von Zeitz verhaftet - nach einem Unfall am Ende einer längeren Flucht, während derer er unter Androhung von Gewalt ein neues Fluchtfahrzeug erpresst hatte und zeitweise auch der Polizei entwischte. Genauere Umstände von deren Agieren vor und während der Tat - etwa auch, was den Schutz der Synagoge anbelangt - beleuchtet seit einiger Zeit ein Untersuchungsausschuss im Landtag von Sachsen-Anhalt.

Der Täter hatte dann zunächst in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Roter Ochse in Halle gesessen, zwei Kilometer vom Tatort entfernt. Am 30. Mai unternahm er einen Fluchtversuch. Begünstigt durch laxe Bewachung, konnte er sich minutenlang im Hof der Anstalt frei bewegen, ohne sie freilich zu verlassen. Dennoch sorgte die Panne im Zusammenhang mit dem gefährlichsten Untersuchungshäftling des Landes für politischen Wirbel; ein Staatssekretär musste gehen. Inzwischen sitzt B. in der JVA Burg, von wo aus er zum Gericht gebracht wird.

Der Prozess gegen ihn wird nicht zuletzt in den jüdischen Gemeinden bundesweit mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt werden. Das versuchte rechtsradikale Attentat auf die Hallenser Synagoge hatte Debatten über die Sicherheit von Juden und über Antisemitismus in Deutschland und in Sachsen-Anhalt entfacht. CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff hatte betont, dass jüdisches Leben »zu diesem Land gehört« und dass jüdische Menschen sich »sicher fühlen« könnten. CDU-Innenminister Holger Stahlknecht hatte eine bessere Bewachung der jüdischen Einrichtungen im Land angekündigt. Die Gemeinde in Halle hatte unmittelbar nach der Tat viel Solidarität und Sympathiebekundungen erlebt.

Doch das ist nur die eine Seite. Gleichzeitig gab es mehrere antisemitische Vorfälle, die bei Hallenser Juden für Verunsicherung sorgen. Ende Mai ging bei der Synagoge ein rechtsextremer Drohbrief ein; Tage später wurden an der Stelle, an der sich der Attentäter im Oktober Zutritt zur Synagoge hatte verschaffen wollen, zweimal Hakenkreuze aus Stoff drapiert. Dazu kamen in einem weiteren Fall Beschimpfungen in der Öffentlichkeit. Die »Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus« (RIAS) spricht mit Blick auf Halle bereits von einer »rechtsextremen Dynamik antisemitischer Vorfälle«.

Zum »Gefühl der Bedrohung« trage nicht zuletzt die »Bagatellisierung« des Holocaust bei, wie sie im Umfeld der Demonstrationen von Leugnern der Corona-Pandemie zu beobachten gewesen sei. In Halle hatte der Neonazi Sven Liebich solche Kundgebungen organisiert. Dabei wurden etwa gelbe Sterne mit der Aufschrift »Ungeimpft« getragen, die in Form und Schriftart an Judensterne der NS-Zeit erinnerten, oder T-Shirts mit dem Aufdruck »Anne Frank wäre bei uns - weg mit den Ausgangssperren«.

Ein RIAS-Dossier zitiert Igor Matviyets, Mitglied der Hallenser Gemeinde, mit der Aufforderung, den »vielen Reden gegen Antisemitismus« müssten endlich Taten folgen. Allerdings seien Behörden »Teil des Problems«, wird in dem Dossier konstatiert. Darin wird neben dem Fluchtversuch von Stephan B. ein Vorfall im Zusammenhang mit den Hakenkreuzen aus Stoff vor der Synagoge erwähnt. Eines davon soll ein zum Tatort gerufener Polizist zerstört haben.

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