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Als der »erste Geheimdienst des Volkes« die Weltmacht USA herausforderte
Vor zehn Jahren veröffentlichte Wikileaks die brisanten Afghanistan-Dokumente
Washington. Julian Assange wird einen ganz besonderen Jahrestag im Gefängnis verbringen. Vor zehn Jahren, am 25. Juli 2010, wurde die von dem Australier gegründete Enthüllungsplattform Wikileaks mit der Veröffentlichung zehntausender größtenteils geheimer Dokumente zum Afghanistan-Krieg endgültig weltweit bekannt. Es folgten zahlreiche weitere Coups, doch Wikileaks geriet auch immer mehr in die Kritik. Assange selbst wird heute von den einen als furchtloser Held verehrt, von den anderen als egomanischer Geheimnisverräter gebrandmarkt - und kämpft gegen eine Auslieferung an die USA.
Die Afghanistan-Dokumente schlugen vor zehn Jahren ein wie eine Bombe und waren eine Kampfansage an die USA. Die insgesamt 92.000 geheimen US-Militärberichte zeichneten ein »düsteres Bild« von der Lage am Hindukusch, schrieb damals das Nachrichtenmagazin »Spiegel«, das die Dokumente gemeinsam mit der US-Zeitung »New York Times« und dem britischen »Guardian« ausgewertet hatte.
Geheime Militäreinsätze, das Wiedererstarken der radikalislamischen Taliban, der Tod von Zivilisten - die Dokumente lieferten der Öffentlichkeit schockierende Einblicke in einen Krieg, dessen Grausamkeiten viele Regierungen gerne geheim gehalten hätten.
Es war nicht das erste Mal, dass Wikileaks für Aufsehen sorgte. Schon drei Monate zuvor hatte die Enthüllungsplattform ein Video veröffentlicht, das den tödlichen Beschuss von US-Kampfhubschraubern auf Journalisten und andere Zivilisten in Bagdad im Jahr 2007 zeigte. Die Aufnahmen lösten international Empörung aus.
Und Wikileaks legte nach. Im Oktober 2010 veröffentlichte die Plattform rund 400.000 Dokumente zum Irak-Krieg, im November dann 250.000 US-Diplomatendepeschen mit allerhand brisanten Details. Wikileaks hatte die Daten von der Whistleblowerin Chelsea Manning erhalten, die vor einer Geschlechtsumwandlung Bradley Manning hieß und als US-Soldat im Irak stationiert war.
Wikileaks machte alles publik. Der selbsternannte »erste Geheimdienst des Volkes« und sein ebenso charismatischer wie streitbarer Gründer Assange sehen sich als Vorkämpfer für Transparenz, um staatlichen Machtmissbrauch aufzudecken.
Kritiker werfen der Plattform dagegen vor, mit den Enthüllungen die nationale Sicherheit und das Leben von Informanten zu gefährden - zumal Wikileaks Dokumente teilweise ungeschwärzt mit Klarnamen veröffentlichte. Für die USA wurde Assange zum Staatsfeind. Auch Mitstreiter und Medienpartner wandten sich zunehmend vom heute 49-Jährigen ab, weil sie einige seiner Methoden ablehnten.
Scharfe Kritik zog sich Wikileaks 2016 zu: Inmitten des US-Präsidentschaftswahlkampfes veröffentlichte die Plattform interne Dokumente der Demokratischen Partei von Kandidatin Hillary Clinton. Erbeutet worden waren die Dokumente mutmaßlich von russischen Hackern, um dem rechtspopulistischen Kandidaten Donald Trump zu helfen. Wikileaks musste sich den Vorwurf gefallen lassen, von Russland instrumentalisiert worden zu sein. »Wir lieben Wikileaks«, jubelte der spätere Wahlsieger Trump.
Zu diesem Zeitpunkt saß Assange schon seit Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London fest. Denn 2010 war nicht nur das Jahr der bedeutsamsten Enthüllungen von Wikileaks - es war auch das Jahr, in dem die Justiz-Odyssee um Assange ihren Lauf nahm.
Wegen Vorwürfen der Vergewaltigung und des sexuellen Missbrauchs erließ Schweden einen internationalen Haftbefehl gegen Assange. Dieser floh im Juni 2012 nach langen juristischen Auseinandersetzungen in die Botschaft Ecuadors, weil er fürchtete, Schweden könnte ihn letztlich an die USA ausliefern.
Sieben Jahre lang lebte Assange auf engstem Raum in dem Botschaftsgebäude, bis Ecuador ihm das Asyl entzog und die britische Polizei ihn festnahm. Während Schweden die Ermittlungen gegen Assange längst eingestellt hat, kämpft der Wikileaks-Gründer jetzt gegen eine Auslieferung in die USA, wo er wegen Spionagevorwürfen angeklagt ist. Er sitzt, gesundheitlich und psychisch schwer angeschlagen, im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh.
Vor zehn Jahren hatte Assange die Weltmacht USA herausgefordert. Seine Enthüllungsplattform hat seitdem viel an Glanz und Glaubwürdigkeit verloren. Doch mit ihrem unerbittlichen Vorgehen trägt die US-Regierung womöglich dazu bei, aus Assange einen tragischen Helden zu machen und einen neuen Mythos zu schaffen. AFP/nd
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